Brettspiele? Das klingt für einige nach wohligen Familienabenden, für andere jedoch nach endlosen Stunden der Langeweile überm Monopoly-Brett. Dabei hat sich der Spielemarkt laut dem Brettspielexperten Balázs Sághy in den letzten Jahren enorm entwickelt.


Neue Generation von Spielen

Balázs ist selbst begeisterter Spieler und einer der Köpfe hinter dem „Játszó­ház Projekt” (dt.: „Projekt Spielhaus“). Er erzählt: „Seit rund sieben Jahren gibt es unser Projekt. Wir organisieren Brettspiele-Events, an denen jährlich rund 20.000 Menschen teilnehmen.”

Doch die Corona-Krise zwang auch das „Játszóház Projekt” zum Umdenken: Seit Kurzem bieten sie daher Brettspiele-Abos für daheim an. Dabei bringt ein Kurier (natürlich kontaktlos!) entweder im Zwei-Wochen-Takt oder monatlich zwei bis drei neue Spiele zum Kunden nach Hause. Die Leihgaben werden bei der nächsten Lieferung einfach wieder mitgenommen.

Die Auswahl des Anbieters reicht von schnellen Fünf-Minuten-Geschicklichkeitsspielen für zwei Spieler bis hin zu Strategiespielen für zehn Spieler, die sich über Stunden erstrecken können.

Die Frage ist nur, wie findet man da das richtige Spiel?

„Vor etwa zehn, fünfzehn Jahren kam eine neue Generation von Spielen auf den Markt“, erklärt Balázs. „Diese haben nicht mehr viel mit Monopoly oder ‚Mensch ärgere Dich nicht‘ gemein.” Der größte Unterschied, sagt er, ist, dass bei den neuen Spielen weit weniger das Glück als vielmehr kluge Entscheidungen der Spieler den größten Einfluss auf den Spielverlauf haben. Doch wer jetzt befürchtet, dass man ein Meister der Strategie sein muss, um hier gewinnen zu können, den beruhigt Balázs: „Die Regeln moderner Spiele sind schnell zu erlernen, aber trotzdem gehen diese Spiele strategisch in die Tiefe.”


Siebenjährige Erfahrung

Doch werden sich bei so viel Tiefe auch alle Familienmitglieder fürs Spielen begeistern können? „Die Regeln sind eindeutig und unsere mittlerweile siebenjährige Erfahrung zeigt, dass das oft herangezogene Bild des umgeworfenen Spielbretts, weil jemand die Geduld verloren hat oder sich die Spieler nicht über den Spielverlauf einigen konnten, in der Wirklichkeit einfach nicht vorkommt”, beruhigt der Spielexperte.

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Heute sind Brettspiele nicht mehr nur konfrontativ.


Dass es wirklich nicht zu solchen Ausbrüchen kommt, ist mitunter auch den Mitarbeitern des Játszóház zu verdanken. Sie alle sind erfahrene Spieler und unterstützen ihre Kunden, noch bevor das erste Spielbrett aufgebaut oder die ersten Karten verteilt sind. Unter anderem helfen sie bei der Auswahl des Spiels. „Wichtig ist, wer spielt und wie erfahren die Spieler sind, aber auch, welche Spiele oder Aktivitäten sie bevorzugen”, so Balázs.

Beim neuen Lieferangebot des Játszó­ház geschieht die Vorauswahl mithilfe eines Fragebogens, der durch das Team des Játszóház ausgewertet wird. Der nächste wichtige Schritt ist es, die Regeln zu erklären. Auch hier, so der Experte, bieten die neuen Spiele nicht viel Raum für Missverständnisse: „Sicher, viele Menschen assoziieren Brettspiele noch immer mit Monopoly, aber das hat mit den Spielen und Regeln von heute nichts mehr zu tun.” Statt im Wettstreit gegeneinander zu stehen, gibt es heute immer mehr Spiele, in denen die Spieler gemeinsam als Team gegen das Spiel arbeiten müssen. Sieg oder Niederlage werden als Gemeinschaft erlebt.

Auch bei den kompetitiven Spielen gibt es Veränderungen: Laut Balázs sind viele Spiele heute weit weniger konfrontativ als früher, was das Spielerlebnis aber keinesfalls mindert. Die Regeln werden durch Spielleiter erklärt. Was beim Event persönlich vor Ort geschieht, leisten die Mitarbeiter von Játszóház in Corona-Zeiten über Videos: „Gemeinsam mit dem Spiel erhalten die Abonnenten einen QR-Code, der zu einem Erklärvideo führt“, erzählt Balázs.

„In diesem wird, vom richtigen Aufbau über den Spielablauf bis hin zu möglichen Fragen, alles am ‚lebenden Objekt‘, also im Spiel selbst, erklärt.“ Bisher bietet das Játszóház nur ungarischsprachige Videos, aber in englischer Sprache gibt es zu fast jedem Spiel bereits tolle Erklärvideos im Netz. Viele der zum Verleih stehenden Spiele sind ohnehin englischsprachig oder auch komplett sprachunabhängig. „Es lohnt sich aber, sprachliche Präferenzen im Fragebogen anzugeben”, bekräftigt Balázs.

Ist die erste Hürde genommen, steht dem Spielspaß nichts mehr im Weg.


Verschiedene Vorlieben unter einen Hut bringen

Obwohl es heute wohl für jeden Geschmack das richtige Spiel gibt, ist laut Balázs auch wichtig, mit wem wir spielen: „Je nach Lebensalter unterscheidet sich das Spielerlebnis.”

Während es bei Erwachsenen mit kleinen Kindern oft mehr um die Freude an der Freude der kleinen Spielpartner als um das Spiel selbst geht, kann es beim Spielen mit größeren Kindern laut dem Spielexperten durchaus vorkommen, dass diese ihren Eltern gerade bei kooperativen Spielen weit überlegen sind: „Ab einem Alter von rund zehn Jahren gibt es daher jede Menge Spiele, an denen Kinder und Erwachsene gleichermaßen Freude haben.”

Wer nicht mit der Familie, sondern mit Freunden spielt, der sollte darauf achten, dass der Spielegeschmack zumindest in groben Zügen übereinstimmt. Doch selbst, wenn die eine Hälfte des Freundeskreises für langatmige Strategiespiele schwärmt, während die andere Hälfte begeistert kurze, schnelle Runden mit hoher Drehzahl spielt –, Balázs weiß auch hier das richtige Spiel: „Solange es nur eine minimale Schnittmenge gibt, findet sich immer etwas.” Diese Schnittmenge kann etwa die gemeinsame Vorliebe für logisches Denken sein, oder der Wille, mit Hilfe des Spiels in eine Fantasiewelt einzutauchen.

Doch man muss keineswegs ein „Geek“ sein, wie es Balázs ausdrückt, um zum Brettspieler zu werden. „Die Brettspielbewegung kommt zwar aus Geek-Kreisen”, bestätigt er, „aber das ist heute bei Weitem nicht mehr so.” Das Játszóház Projekt will insbesondere junge Erwachsene an Brettspiele heranführen und zeigen, dass dies ein „ebenso witziges wie erfüllendes Hobby sein kann”.

Dass dies durchaus gut ankommt, zeigt sich unter anderem darin, dass in Budapest vor dem Ausbruch der Corona-Krise die „International Boardgame Nights“ nicht mehr nur monatlich, sondern bereits zweiwöchentlich abgehalten wurden. So groß war die Nachfrage.

Und auch auf geschäftlicher Ebene ist das Játszóház Projekt aktiv: „Wir bieten Teambuildings an, bei denen das Allerwichtigste das Gemeinsamkeitsgefühl ist”, so Balázs. Egal ob kooperative Spiele auf dem Programm stehen oder Spiele, bei denen die Teilnehmer ein wenig schauspielerisches Talent beweisen oder assoziieren müssen: „Das Ziel ist immer, dass die Teilnehmer etwas gemeinsam machen und einander besser kennenlernen.”


Spiele ganz nach Wunsch

Doch natürlich sind Spiele auch weiterhin etwas für die ganze Familie und so bietet das Játszóház auch Alternativen für Familien mit kleinen Kindern: „Wir haben schon oft Spiele-Events in Grundschulen abgehalten, und natürlich werden die Regeln für Kinderspiele auch entsprechend von unseren Spielleitern kindgerecht erklärt.” Daher lohnt es sich auch, Infos zu Kindern bei der Abobestellung im Játszóház anzugeben.

„Wir sind noch ganz am Anfang mit dem Verleih, obwohl es schon lange ein Traum von uns war”, fasst Balázs abschließend zusammen. Sicher ist jedoch, dass dank der neuen Brettspiel-Abos Langeweile daheim bald keine Chance mehr hat.


Weitere Informationen zum „Játszóház Projekt“:

facebook.com/jatszohazprojekt

.jatszohazprojekt.hu.

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