Sollten wir nicht daran arbeiten, in dieser schweren Zeit Gemeinsames zu suchen, um künftig anders leben und anders Politik machen zu können? Diese rhetorische Frage stellte Ungarns Familienstaatssekretärin Katalin Novák vergangene Woche im BZ-Interview. Und natürlich: Sollte man.

Aber Politik bleibt Politik, also die Ausübung von Einfluss zur Durchsetzung eigener Interessen, und jeder Politiker weiß, dass Krisen jeder Art dafür oft die besten Chancen eröffnen. Alle nutzen die Krise, um politisch zu punkten, auch Ungarn.


Maskendiplomatie

Es beginnt mit der sogenannten „Maskendiplomatie“, die zuerst von China zu einem Instrument der Politik gemacht wurde. Die Regierung in Peking schenkte und verkaufte Millionen Gesichtsmasken und Covid-19 Tests an eine ganze Reihe von Ländern, wobei das hart getroffene Italien zuerst bedacht wurde – zu einem Zeitpunkt, da China selbst auf dem Höhepunkt seiner Coronavirus-Krise stand. Das brachte den Chinesen in Italien viel Sympathie ein, und führte damit einhergehend zu einem ungeheuren Ansehensverlust für die EU. Denn von dort war keine Hilfe gekommen. Wie auch? Die Union hat keine Kompetenzen in der Gesundheitspolitik, keine Firmen, die Gesichtsmasken herstellen, und keine strategischen Reserven etwa an Impfstoffen für gefährliche Krankheiten, oder eben an Gesichtsmasken.

Die EU verurteilte die chinesischen Hilfen sofort als „Einflussnahme“, und auch das war Coronavirus-Diplomatie: Gegner muss Gegner bleiben, auch wenn er Gutes tut. Einflussnahme war es sicher irgendwie auch – aber vielleicht weniger aggressiv, als unterstellt wurde. China muss international um eine enorme Rufschädigung fürchten, wegen seiner intransparenten Handhabung der Krise. „Vertuschung“ in der Anfangsphase wird den Chinesen vorgeworfen. Das habe, so lautet die Kritik, in Europa und den USA Menschenleben gekostet. Ein wenig chinesische Großzügigkeit bei Schutzmasken soll also vielleicht helfen, den politischen Schaden zu begrenzen.

Viele Länder halfen auf ähnliche Weise, um politisch einzuwirken. Rumänien schickte Schutzausrüstung nach Moldawien (wo viele der Einwohner ethnische Rumänen sind), die Türkei schickte trotz eigener Probleme Masken in die USA (um die ewigen Spannungen mit dem US-Kongress zu lindern) und in jene Regionen Afrikas, in denen Ankara als Regionalmacht auftritt – etwa Somalia.

Auch Ungarn pflegte seine politische Einfluss-Sphäre mit Masken-Diplomatie. So sagte Justizministerin Judit Varga – in einem Gespräch mit der BZ (vom 13. April): „Ungarns Diplomatie hat geholfen, den Rücktransport kroatischer, slowakischer und slowenischer Staatsbürger aus dem Ausland zu organisieren. Wir haben außerdem insgesamt 300.000 Gesichtsmasken und 15.000 Schutzanzüge Serbien und Nord-Mazedonien geschenkt. Auch Kroatien und Slowenien bekamen von Ungarn Schutzausrüstungen.“

Wie schon im Mittelalter die ungarischen Könige den Westbalkan als ihr Einflussgebiet betrachteten, so versucht die heutige ungarische Regierung dort exzellente Beziehungen aufzubauen. In der Migrationskrise half (und hilft man immer noch) diesen Ländern mit Stacheldraht und Grenzschutz-Kontingenten, heute mit Gesichtsmasken.


Schlachtfeld EU – auch in der Epidemie

Eigentlich müssten sich in der stets von Solidarität sprechenden EU alle zusammenraufen, um die Epidemie gemeinsam zu bewältigen, und teilweise geschieht das auch – mit einer wohlklingenden Resolution des EU-Parlaments, getragen von allen Main­stream-­Fraktionen, einem von der EU aufgelegten mittelfristigen Wiederaufbaufonds und kurzfristigen Soforthilfen in Höhe von 500 Millionen Euro.

Das alles ist aber, wie immer in der EU, Gegenstand intensiver politischer Instrumentalisierung, und wie immer raufen sich dabei „Integrationisten“ mit „Souveränisten“, und alle raufen sich ums Geld. So wird unter anderem von Linken und Liberalen gefordert, die – noch nicht endgültig festgezurrten – Wiederaufbauhilfen an „Rechtsstaatlichkeit“ zu binden, also potentiell als Druckmittel gegen „reninente“ Regierungen wie die ungarische verwenden zu können. Forderungen Frankreichs und der südlichen EU-Länder nach „Coronabonds” und zusätzlichen Finanzmitteln für die EU zielen auf eine tiefere Integration und eine Vergemeinschaftung der Schulden. Dieselben Länder fordern eine Vorzugsbehandlung bei Wiederaufbauhilfen – Deutschland und die Mitteleuropäer, so auch Ungarn, fordern hingegen, dass alle Länder etwas bekommen sollen.

Die Coronavirus-Resolution des Europaparlaments enthielt einen Hinweis darauf, dass die Notstandsmaßnahmen Polens und Ungarns „total gegen die europäischen Werte“ gerichtet seien. Das war ein politischer Schachzug linker und liberaler Fraktionen. Was dann, peinlich für das Parlament, von Statements der für „Werte“ zuständigen EU-Kommissarin Vera Jourová entkräftet wurde – Ungarns Ausnahmezustand widerspricht demnach nicht geltendem EU-Recht. Parallel dazu verlief eine politische Schlammschlacht in der konservativen Parteienfamilie EVP, deren Chef Donald Tusk die Krise nutzte, um Ungarns Ministerpräsident Orbán (genauer gesagt dessen Politik) mit einem Virus zu vergleichen. Auch er sah nach der Klarstellung von Frau Jourová nicht gut aus.

Ungarn seinerseits betonte, von der EU „nichts“ bekommen zu haben (was so auch wieder nicht stimmt), bedankte sich aber überschwänglich bei China. So hielten es auch die Regierungen in Italien, Serbien und anderen Ländern. Warum? Weil man das Geld von der EU alles in allem sowieso bekommt, chinesische Investitionen aber einfacher auszuhandeln sind, wenn man politisch atmosphärisches Entgegenkommen zeigt.

Komplimente gehören auch zum Instrumentarium der Diplomatie, auch Schmeicheln kann Einfluss potenzieren. Mit wem welches Land sich gut stellen möchte, kann man an den Komplimenten ermessen, die die jeweilige Regierung dem jeweiligen Land macht. In Ungarns Fall sind das neben China vor allem Deutschland und Österreich. Ministerpräsident Viktor Orbán, Justizministerin Judit Varga und Fidesz-Vizechefin Katalin Novák haben in der Krise nur Gutes über diese beiden Länder gesagt. Deren anlaufende Lockerungen seien „mutig“ und Ungarn beobachte diese Länder genau, um von ihrem Beispiel zu „lernen“. „Spannend“ sei „die Stärkung christdemokratischer Werte“ in Deutschland in der Krise, sagte Frau Novák in ihrem kürzlichen BZ-Interview, und wünschte Deutschlands Christdemokraten gleich noch eine absolute Mehrheit bei den nächsten Wahlen.

Das war nicht zuletzt auch dazu gedacht, Ungarns Freunde in den deutschen Unionsparteien zu ermutigen, Linken und Liberalen kraftvoller Paroli zu bieten.

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