Die Heirat war ein welthistorisch bedeutendes Ereignis. Sie fand ungefähr zwischen 996 und 1002 statt und trug maßgeblich zur Christianisierung Ungarns bei. Sie brachte auch familiäre Beziehungen zu den bayrischen Herzögen und der Dynastie der Könige und Kaiser dieser Epoche, denn Gisela war eine Liudolfingerin und die Liudol­finger eine Kaiserdynastie.


Gefährlicher Feind sollte neutralisiert werden

Die Ungarn waren im 10. Jahrhundert noch ein nomadisierender Stammesverband. Jahrzehntelang führten sie Raubzüge gen Westeuropa. Dies endete erst mit dem Sieg der Bayern 955 auf dem Lechfeld. Fortan begann sich ein Teil der ungarischen Stämme dem Christentum zu nähern. Unter Stephan I. wurde Ungarn zu einem Agrarstaat mit einem festen Staatswesen. Nach wie vor stellten aber sowohl die Bayern als auch rivalisierende ungarische Stämme eine Bedrohung dar.

Daher sollte Bayern über eine Interessenheirat neutralisiert werden. Die Annäherung zwischen Bayern und Ungarn wurde auch vom Papst unterstützt. Das Bistum Passau stand schon in den 970er Jahren in enger Verbindung zum ungarischen Großfürstentum unter Géza, dem Vater des späteren Königs. So wurde beispielsweise in der Hauptburg von Esztergom das Stephanspatrozinium des Passauer Doms errichtet. Der ungarische Großfürst sorgte für eine weitere Annäherung an Bayern.

Zu dieser Zeit war die Partnerwahl keine private Angelegenheit. Liebesheiraten gab es erst einige hundert Jahre später. Also wurde eine passende Partnerin für den ungarischen König gesucht. Es sollte eine bayrische Prinzessin sein. Mehrere standen zur Auswahl. Sie alle waren hoch gebildet, denn es gab für sie nur zwei Karrieremöglichkeiten: Entweder wurden sie Fürstin oder Äbtissin.

Es gab spezielle Stifte zur Erlangung der umfangreichen Bildung für adelige Damen. Ein bedeutendes befand sich in einem Regensburger Kloster. Dort erhielt auch Gisela ihre Erziehung, und zwar von Wolfgang von Regensburg. Das bayrisch-ungarische Eheprojekt begann sich ungefähr ab 995 zu entwickeln.

Die Wahl fiel schließlich auf Gisela. Sie war die Schwester von Heinrich IV. von Bayern, dem späteren deutsch-römischen Kaiser Heinrich II. Gisela war ein Name für adelige Damen und bedeutete im Althochdeutschen so viel wie aus einem vornehmen Geschlecht entsprossen – „gisil“.

Gisela wurde also um die Jahrtausendwende Königin von Ungarn. Viele Details ihrer Regentschaft sind unbekannt. So etwa, ob sie Ungarisch sprach. Auch über die Ehe weiß man nur sehr sehr wenig. In ihren Krönungsmantel hat Stephan die Worte „dilecta coniunx“ – geliebte Ehefrau einsticken lassen.

Das Ehepaar bekam viele Kinder, von denen jedoch die meisten früh verstarben. Zwei Söhne sind bekannt: Otto und Emmerich (Imre), benannt nach der bayrischen Verwandtschaft. Sie verstarben allerdings vorzeitig, Emmerich 1031 bei einem Jagdunfall. Sie hatten auch mindestens eine Tochter: Agathe. Sie wurde später die Ehefrau Eduards von England. Durch die frühen Tode ihrer beiden Söhne konnte keine Dynastie gegründet werden.

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Im Kloster Niedernburg in Passau ruhen die sterblichen Überreste der ersten Königin von Ungarn. (Foto: BZT / Jan Mainka)

Gisela engagierte sich persönlich viel für den Bau von Kirchen und Klöstern. Sie gilt als Glaubensstifterin und war sehr angesehen in Ungarn. Stephan starb vor Gisela im Jahr 1038. Seinem und ihrem Wirken verdankten Ungarn und seine Nachbarländer 40 Friedensjahre.


Reger bayrisch-ungarischer Wissenstransfer

Die Ehe hatte nicht nur der Christianisierung Ungarns Schwung verliehen, es kam auch zu einem regen Wissenstransfer zwischen Ungarn und Bayern. So kamen beispielsweise bayrische Kanzleibeamte nach Ungarn und halfen bei der Schaffung des ungarischen Rechts, das daher sehr stark an das bayrische Recht angelehnt war (Lex Bajuvariorum).

Bayrische Unterstützung erhielt Ungarn auch bei der Einteilung des Landes in Grafschaften (Komitate). Neue Münzen orientierten sich an Regensburger Münzen. Die bayrischen Benediktiner errichteten in Bel ein Kloster. Bayrische Klosterfrauen brachten ihre Sticktechniken mit und umgekehrt ebenso. Es gingen damals auch viele Ungarn nach Bayern, unter anderem um dort zu studieren, so etwa der spätere Erzbischof von Esztergom.

Nach Stephans Tod fanden die Beziehungen zu Bayern ein abruptes Ende. Gisela geriet zunehmend unter den Druck bisher unterdrückter gesellschaftlicher Kräfte, zu denen auch Heiden gehörten. Thronwirren begannen. Nach langen Streitigkeiten wurde der Sohn einer Schwester Stephans, Peter von Orseolo von Venedig, Nachfolger des später heiliggesprochenen Stephans.

Stephan hatte seiner Gemahlin zwar ein Witwenrefugium gewidmet. Peter hielt sich allerdings nicht an diese Zusage. Schließlich wurde Gisela sogar gefangen gesetzt. 1042 wurde sie von König Heinrich III. befreit und nach Bayern gebracht, wo sie ihren Lebensabend im Benediktinerinnenkloster Niedernburg in Passau verbrachte und schließlich am 7. Mai 1060 starb.

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