Frau Novák, das Europaparlament hat eine Resolution verabschiedet, in der Ungarns Notstandslage in der Coronavirus-Krise als „total gegen die europäischen Werte“ gerichtet bezeichnet wird. Noch dazu hat Ihre eigene Parteienfamilie, die EVP, dafür gestimmt. Ist Ihnen das nicht peinlich?

Es ist schändlich und traurig, dass es zu einem solchen Beschluss kommen konnte. Solche Beschlüsse, die der Realität widersprechen, schwächen die EVP, statt uns zu stärken. Manche stimmten dagegen, viele enthielten sich, und manche stimmten aus Unkenntnis dafür – manche aber natürlich, weil sie dem Ungarn-Bashing zum Opfer gefallen waren.


Die EVP trat sogar als Mit-Verfasser des Textes auf. Wenn der nicht den Fakten entspricht – sind Ihre EVP-Kollegen dann dumm oder bösartig?

Es war wenig weise, eine Haltung einzunehmen, die die EVP nicht stärkt, sondern schwächt, nicht eint, sondern spaltet. Tatsächlich hat die Mehrheit der EVP-Abgeordneten dafür gestimmt, manche, wie einige selbst einräumten, ohne detaillierte Kenntnis der Tatsachen. Wie sehr Fake News auch in diesem Fall präsent sind, zeigen die Vorwürfe, dass wir angeblich die Tätigkeit des Parlaments eingestellt haben, wobei jeder sehen und hören kann, wie dort jede Woche heftige Debatten stattfinden. Aber mehrere größere Parteien waren gegen den Beschluss, etwa Frankreichs Republikaner oder Spaniens Christdemokraten oder die italienische Forza Italia...


Die Partei von Silvio Berlusconi. Auch die deutsche Regierung hat sie scharf kritisiert, etwa Außenminister Heiko Maas und Europa-Staatsminister Michael Roth.

Ich frage mich, warum wir in dieser schwierigen Zeit nicht lieber daran arbeiten, dass in Europa eine Gemeinsamkeit darüber entsteht, wie wir in Zukunft anders leben und Politik betreiben können. Gute Beziehungen mit Deutschland sind uns immer wichtig. Ich fürchte, Maas und vor allem Roth, der sich zu inakzeptablen Formulierungen über Ungarn hat hinreißen lassen, betreiben in dieser Hinsicht weniger Regierungs- als vielmehr linksliberale Parteipolitik. Demokratie und Rechtsstaat sind für uns selbstverständliche Prinzipien, da haben wir aus unserer Sicht keine Differenzen. Aber wenn man sich dazu versteigt, grundlose Vorwürfe in den Raum zu stellen, dann können wir das nicht akzeptieren.


Die Kritik an Ihrem Coronavirus-Gesetz betrifft vor allem das Fehlen einer zeitlichen Begrenzung. Jetzt, da Sie die politischen Folgen erkennen: War das nicht ein Fehler? Sie hätten ja einfach eine Zeitgrenze einbauen und dann kraft Ihrer Zweidrittelmehrheit im Parlament immer wieder verlängern können.

Die Kritik kommt grundsätzlich aus der Vergangenheit. Viele wollen in der europäischen Politik die Corona-Krise dazu benutzen, die ungarische Regierung vor allem wegen ihrer damaligen unorthodoxen Haltung in der Migrationskrise endlich zu bestrafen. Übrigens, in der ganzen Welt gibt es niemanden, der sagen könnte, wann diese Epidemie zu Ende sein wird, zudem kann das Parlament den Ausnahmezustand jederzeit beenden und die Sonderbefugnisse widerrufen. Demokratischer geht es doch gar nicht!


Nur, dass Ihre Partei dort eine Zweidrittelmehrheit hat. Insofern gibt es kaum einen Unterschied zwischen Partei und Regierung. Hingegen könnten Sie diese – knappe – Zweidrittelmehrheit durch Erkrankungen in der Epidemie verlieren. Ist das der wahre Grund für die fehlende Zeitgrenze? Geht es darum, Ihre Zweidrittelmehrheit zu wahren?

Da widersprechen Sie sich doch selbst. Wenn das Risiko besteht, dass wir keine Zweidrittelmehrheit mehr haben, dann besteht auch das Risiko einer Beschlussunfähigkeit im Parlament.


Wieso? Die Opposition hätte die Verlängerung der Notstandslage doch mitgetragen, nur eben mit Zeitgrenze. Denken Sie etwa, die Opposition will nicht gegen die Epidemie kämpfen?

Die Opposition wollte lediglich das Krisenmanagement behindern und politisches Kapital für sich herausschlagen. Sie verhielt sich verantwortungslos.


Wann soll die Notstandslage denn enden? Wenn es keinen Coronavirus mehr gibt? Was, wenn er ewig bleibt?

Das Parlament wird darüber entscheiden. Wir sehen zwar mutige Überlegungen in Österreich und anderen Ländern, die Ausnahmeregelungen zurückzufahren, aber bislang sind das nur Pläne. In fast allen europäischen Ländern sind Ausnahmeregeln in Kraft und niemand kann sagen, wann wir in Europa zu unserem gewohnten Alltag und zu unserer Rechtsordnung zurückkehren können.


Teil Ihrer Maßnahmen sind Haftstrafen für das Verbreiten „falscher Nachrichten“. Das regierungsnahe Századvég-Institut hat eine Liste mit Namen veröffentlicht, die für Haftstrafen in Frage kämen – vor allem kritische Journalisten, aber auch Oppositionspolitiker. Wie viele werden bald hinter Gittern sein?

Kein Journalist ist hinter Gittern. Fake News sind in dieser Krise aber ein echtes Problem. Etwa über angebliche Heilmittel und Therapien. Eine Falschmeldung besagte, dass Budapest abgeriegelt werden soll, und das rief eine Panikreaktion in der Bevölkerung hervor. Das sind Dinge, die absichtlich und mit bösem Willen in Umlauf gebracht werden, und die den Kampf gegen die Epidemie beeinträchtigen. Nur das kann bestraft werden. Ich habe von dieser Liste, die Sie erwähnen, übrigens noch nicht gehört.


EVP-Chef Donald Tusk fordert den Ausschluss des Fidesz noch vor Jahresende. Fraktionschef Manfred Weber äußert sich dagegen kaum. Gibt es Differenzen zwischen den beiden EVP-Spitzen?

Nicht nur Weber ist erfreulich zurückhaltend, allgemein beschäftigen sich die konservativen deutschen Politiker eher mit der Epidemie als mit politischen Spiegelfechtereien. Ich begrüße das.


Tusk hat Ministerpräsident Orbán mit einem Virus verglichen. Wollen Sie ihn auch mit etwas vergleichen?

Als Mutter dreier Kinder habe ich deren Trotz-Phase erlebt. Wenn man nicht das spielt, was sie wollen, werden sie trotzig. Mit meinem Ehemann haben wir dann oft die Tür geschlossen und sie sich austoben lassen.


Sie vergleichen den Vorsitzenden Ihrer eigenen Parteienfamilie mit einem trotzigen Kleinkind?

Schauen Sie mal an, was Tusk in der polnischen Innenpolitik anrichtet. Er ruft gerade die Polen zum Boykott der Präsidentenwahlen auf. Seinen Posten als EVP-Vorsitzenden benutzt er für innenpolitische Spiele in Polen, aber wir wollen dabei nicht sein Spielkamerad werden. Und in dieser Zeit jemanden oder eine Partei als Virus zu bezeichnen, ist unseriös und geschmacklos. Dies ist eines Politikers unwürdig.


In der EVP ist der Fidesz politisch doch gar nicht mehr zuhause. Wieso gehen Sie nicht?

Wir krallen uns nicht fest. Aber diese Zeit ist nicht geeignet, die Parteienfamilie zu wechseln. Wir sind jetzt mit anderen Dingen beschäftigt, und alle anderen in Europa auch. Zudem: In schweren Zeiten zeigt sich der wahre Freund. Das erleben wir auch in der EVP. So postete der Chef der französischen Republikaner, Christian Jacob, auf Twitter seine Antwort an Tusk, in der er dessen Angriffe gegen den Fidesz kritisierte und klarstellte, dass seine Partei zu uns steht. Ich bekomme auch von vielen anderen Zuspruch. Es trifft nicht zu, dass eine Mehrheit in der EVP gegen uns wäre. Natürlich pflegen wir ungeachtet dessen auch gute Beziehungen zu konservativen Parteien außerhalb der EVP.


Sie fordern im sogenannten „Orbán-Memorandum“ eine Rückkehr der EVP zu konservativeren, christlicheren Werten. Ist das nicht eine Anleitung zum Selbstmord? Es gibt dort nicht nur Konservative, sondern auch viele Liberale. Muss man da nicht ein Gleichgewicht suchen, statt Bruchlinien?

Wir machen das gerade. Dieser Brief von Ministerpräsident Orbán an die EVP war ein Denkanstoß – welche EVP wollen wir? Er hielt darin sehr klar an den konservativen, christlichen Wurzeln der EVP fest. Die Frage ist nicht, ob das spaltet, sondern ob eine solche konservative Haltung überhaupt noch Platz findet in der EVP. Das ist der grundsätzliche Unterschied zwischen Konservativen und vielen Liberalen. Konservative können auch Andersdenkende akzeptieren, aber viele Liberale tun sich schwer damit, andere Weltsichten als ihre eigene zu dulden, obwohl sie sich liberal nennen.


Die deutschen Unionsparteien gehen den entgegengesetzten Weg – sie suchen die Mitte der Gesellschaft. Sogar die CSU unter Markus Söder. Weil in der Mitte die Wähler sind.

Es ist spannend, was gerade in Deutschland passiert. Ich glaube, dass diese Krise dort zu einer Renaissance klassischer christdemokratischer Werte führen kann – Familie, Nation, Souveränität, Sicherheit, christliche Kultur –, aber auch Marktwirtschaft, Subsidiarität, Ablehnung des Multikulturalismus, der Einwanderung, des Globalismus und der Bürokratie. Man sieht ja, wie die Unionsparteien in der Krise erstarken, weil sie Handlungsfähigkeit zeigen. Ich wünsche unseren deutschen Freunden, dass sie bald sogar ohne Koalitionszwang auskommen können. Da würden wir dann sehen, welche Werte in den Vordergrund treten, wenn CDU/CSU nicht mehr auf Grüne, Liberale oder Sozialdemokraten angewiesen sind.


Dieses Erstarken der Union – das macht es für Sie strategisch noch wichtiger, in der EVP zu bleiben?

Natürlich, wir freuen uns über den Erfolg der Union und glauben, dass es gut für Deutschland ist und gut für die EVP.


Unter Markus Söder haben sich Ihre Beziehungen mit der CSU deutlich abgekühlt. Gibt es überhaupt einen direkten Draht zwischen Orbán und Söder?

Die Beziehungen haben sich zuletzt nicht so dynamisch entwickelt wie früher. Aber es gibt enge historische, menschliche und vor allem auch wirtschaftliche Verflechtungen. Wir sind aufeinander angewiesen. Ich denke, die Menschen in Bayern und Ungarn haben viel gemeinsam an Lebensvorstellungen. Ich hoffe, dass die bayerisch-ungarischen Beziehungen nach der Krise wieder erstarken werden.


Ein Bundeskanzler Armin Laschet nach den nächsten Bundestagswahlen – wäre das gut oder schlecht für Sie?

Egal, wer Kanzlerin oder Kanzler wird, wir werden die beste Zusammenarbeit anstreben. Selbstverständlich wäre aber sowohl für Deutschland als auch für Europa statt des Globalismus die Stärkung der europäischen Bodenständigkeit wichtig.


Gibt es denn unter den denkbaren Unionskandidaten welche, die diese Werte nicht vertreten?

(Lacht) Darüber können wir uns gerne bei einer Tasse Kaffee unterhalten, aber nicht in einem Interview.

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