Beim Umdichten lassen sie ihrer Fantasie freien Lauf. Teilweise nutzen sie reale Aspekte, teilweise erfinden sie aber auch ganz neue hinzu, die mit der Realität kaum noch etwas zu tun haben. Gerne wird auch maßlos übertrieben und überhöht. Beliebte Themen sind die Abschaffung der Demokratie und der Pressefreiheit. Regelmäßig werden auch dem Parlamentarismus die Sterbeglöckchen geläutet. Jüngst schwadronierten oppositionelle Abgeordnete bezüglich der Schaffung von Notfallkapazitäten in Krankenhäusern sogar von Massenmord und „Volksausrottung“.

Ziel dieser Rhetorik ist in erster Linie die Profilierung gegenüber den Wählern. Ein weiteres Ziel ist es, das Interesse ideologisch verwandter ausländischer Politiker und Journalisten zu wecken. Dieses Ziel kann umso besser erreicht werden, je drastischere Szenarien entworfen werden. Problematisch wird das Ganze nur, wenn die ausländischen Verbündeten der ungarischen Opposition nicht mehr zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden können oder wollen.

Dies führt immer wieder zu paradoxen Konstellationen. So wie jüngst, als in der einen Woche der Parlamentarismus beerdigt wurde und sich die Parlamentarier in der Woche darauf wieder im Plenarsaal einfanden. Ebenso zeugte die nicht zutreffende Behauptung von gewaltigen zusätzlichen EU-Geldern, die im Rahmen der Krisenbekämpfung nach Ungarn fließen würden, von nicht gerade gründlicher Recherche.

Nun wurde erneut ein Widerspruch zwischen Dichtung und Wahrheit offenbar. Erst wurde dem Corona-Gesetz zugeschrieben, dass es nicht weniger als den Übergang in eine Diktatur bildet. Dann kamen die Rechtsexperten der EU-Kommission zum Schluss, dass das Gesetz formal EU-konform sei und nichts darin gegen die EU-Regeln verstoße. Die zuständige EU-Kommissarin Vera Jourová findet sogar, dass es mit Gesetzen in anderen EU-Ländern vergleichbar sei. Mit anderen Worten: Entweder sind weitere EU-Länder auf dem Weg in eine Diktatur, oder Ungarn ist es doch nicht.

Natürlich machen die Kritiker der Orbán-Regierung um ihre drei jüngsten peinlichen Fehlgriffe kein großes Aufheben. Auf eine Entschuldigung oder wenigstens Korrektur von ihnen zu warten, ist so aussichtslos wie die Hoffnung, aus ihrer Feder einmal eine anerkennende Bemerkung zur ungarischen Wirtschafts- oder Familienpolitik zu lesen. Im besten Fall werden sie einige Wochen lang etwas weniger lautstark über Ungarn herziehen. Bei der nächstbesten Gelegenheit werden sie aber ganz bestimmt wieder die ungarische Demokratie zu Grabe tragen oder was sie sich sonst noch zusammendichten mögen, um ihrer persönlichen Antipathie gegenüber der Orbán-Regierung mal wieder Luft zu machen.

Um diesen regelmäßigen Empörungswellen nicht auf den Leim zu gehen, bleibt dem wahrheitsinteressierten Teil der Öffentlichkeit und der Medien nur, sich stets selbst ein Bild vom vermeintlichen Stein des Anstoßes zu machen und natürlich – wie beim echten Journalismus üblich –, sich stets auch bei der Gegenseite zu informieren.

Hilfreich wäre es natürlich auch, wenn die Ungarn-Kritiker wenigstens so korrekt wären, stets die jeweilige Quelle ihrer schockierenden Informationen über Ungarn mit anzugeben. „Die ungarische Demokratie geht unter“ und nach Meinung der linken Partei XY geht die ungarische Demokratie unter, sind nämlich keine gleichwertigen Aussagen.

Permanent die Meinung von Kräften, die der gegenwärtigen Regierung ganz klar ablehnend gegenüberstehen, als vollumfängliche Wahrheit über Ungarn zu verkaufen, ist jedenfalls hochgradig unseriös. Und birgt zudem für Leute, die das tun, stets die Gefahr in sich, sich zu blamieren. Schließlich meldet sich die Realität immer wieder zurück.

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