Politiker mögen große Zahlen. Eine nicht zu unterschätzende Masse an Wählern überwältigt schlichtweg der Gedanke, von ihrer Regierung mit Hilfsprogrammen gerettet zu werden, die finanzielle Dimensionen erreichen, wie sie für den einfachen Menschen nicht erfassbar sind. Ministerpräsident Viktor Orbán hat im fünften Punkt des zweiten Abschnitts für seinen neuesten Aktionsplan zum Schutz der Wirtschaft den älteren Generationen eine dreizehnte Monatsrente versprochen. Es war tatsächlich der letzte Punkt unter den jüngsten Ansagen im Kampf gegen das Coronavirus, also gewissermaßen als „Ohrwurm“ gedacht. Wobei die Almosen für jene, die ihr Arbeitsleben hinter sich haben, wirklich nur im übertragenen Sinne etwas mit der Rettung von Arbeitsplätzen zu tun haben, die sich der Premier als Priorität unter den akuten Aufgaben gesetzt hat.


Remis gegen das Virus

„Das Ziel des durch die Regierung ausgearbeiteten Aktionsplans zum Schutz der Wirtschaft lautet, so viele Arbeitsplätze zu schaffen, wie das Coronavirus zerstört“, erklärte Orbán am Montagvormittag. Für diese Ankündigung wählte er nicht mehr die Sozialmedien; er trat vor die Kameras des öffentlich-rechtlichen Nachrichtenfernsehens M1 und verlas die fünfminütige Erklärung im Beisein der Ministerin ohne Geschäftsbereich für das Nationalvermögen, Andrea Mager, des Finanzministers Mihály Varga und des Ministers für Innovationen und Technologien, László Palkovics. Nachdem der Staat in der ersten Phase der Corona-Krisenabwehr den besonders betroffenen Wirtschaftszweigen sowie den Selbständigen mit Erleichterungen bei Sozialabgaben und Steuern entgegenkam beziehungsweise eine allgemeine Stundung von Krediten bis zum Jahresende verkündete, wurde am Montag der zweite Abschnitt eingeläutet.

Dabei sprach der Ministerpräsident zum ersten Mal davon, dass 18-20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) umgeschichtet werden, worunter die kumulierten Effekte der von Regierung und Notenbank eingeleiteten Programme zu verstehen seien. Reichlich diffus erschien in dieser unsicheren Situation der kompletten Neuplanung des Haushalts, dass Orbán erklärte, das Defizit an Stelle des ursprünglich vorgesehenen einen Prozents nunmehr bei 2,7 Prozent am BIP festzusetzen. Verständlich wird diese Ansage nur in dem Kontext, dass der Ministerpräsident auf den Stabilitätsanker verweisen wollte, an den sich seine Regierung seit 2010 konsequent hält und den man auch in dieser außerordentlichen Krisenlage nicht (einfach) aufgeben wolle. Auf einem anderen Blatt steht, dass niemand derzeit verantwortlich voraussagen kann, wie tief die Corona-Rezession ausfallen wird. Ein schrumpfendes BIP lässt das Haushaltsdefizit aber ganz schnell eskalieren – nicht von ungefähr hat die Europäische Kommission längst die diesbezüglichen Regeln auf Gemeinschaftsebene außer Kraft gesetzt.


Zehn Jahre für nichts?

Unter den fünf neu aufgelegten Programmen steht die Bewahrung von Arbeitsplätzen wenig überraschend an erster Stelle. Orbán sprach von einer „spezifischen ungarischen Form“ der Lohnzuschüsse für Arbeitgeber, die ihre Arbeitskräfte notgedrungen in Kurzarbeit schicken, aber immerhin weiter behalten. Für die Schaffung von Arbeitsplätzen kündigte er Investitionsförderungen im Volumen von 450 Mrd. Forint an. Ohne konkrete Ankündigungen versprach der Ministerpräsident die Rettung besonders schwer betroffener Branchen wie Tourismus, Gesundheitsindustrie, Nahrungsmittelindustrie, Agrarsektor, Bauwesen, Logistik, Verkehr und Filmindustrie. Die Liquidität der Unternehmen soll mit mehr als 2.000 Mrd. Forint an zinsgestützten und mit staatlichen Garantien unterlegten Krediten gestärkt werden. Aus dem Programm für Familien und Rentner hob Orbán die besagte Rentenerhöhung hervor, die ab Februar 2021 in Kraft tritt und die Durchschnittsrenten bis 2024 im Wochentakt aufstocken wird, so dass die ältesten Menschen nach vier Jahren über dreizehn Monatsrenten im Jahr verfügen werden können.

Der Ministerpräsident bezeichnete die durch die Coronavirus-Pandemie entstandene Lage als „ungerecht“ und „enorme Herausforderung“, weil sie die Ergebnisse von zehn Jahren angestrengter Arbeit zerstören könnte. Die Aufgabenverteilung stellt sich Orbán in der Weise vor, dass die für das Nationalvermögen zuständige Ministerin Andrea Mager die staatlichen Unternehmen „mit Schwung in den Aktionsplan einbinden“ solle, während Finanzminister Mihály Varga für die Bereitstellung der benötigten Ressourcen sorgen müsse, ohne dabei die Haushaltsdisziplin aufzugeben. Innovationsminister László Palkovics wiederum obliege die Koordinierung und Steuerung des ganzen Programms.


Kurzarbeit auf die ungarische Art

In diesem Sinne ging Palkovics auf einer Pressekonferenz am Dienstag ins Detail. Der Staat wird über drei Monate hinweg 70 Prozent des Lohnausfalls kompensieren, wenn die Unternehmen ihre Arbeitnehmer in Kurzarbeit weiterbeschäftigen und diese auch weiterhin Werte schaffen. Wo Kurzarbeit wie bei Ingenieurleistungen oder F+E-Mitarbeitern keinen Sinn mache, verspricht die Regierung einen Lohnausgleich von 40 Prozent. Weiterbildungen von Arbeitnehmern werden zu 95 Prozent finanziert, Studenten (auch in der Erwachsenenbildung) erhalten Darlehen zum Nullzins. In die Tourismusbranche werden abgesehen von weiteren Erleichterungen 600 Mrd. Forint gepumpt. Eine spezielle Innovationsagentur wird Projekte der Gesundheitsindustrie an Universitäten und privaten Forschungsinstituten koordinieren und fördern. „Dies ist ein historischer Aktionsplan, die Regierung stellt insgesamt 9.200 Mrd. Forint (mehr als 25 Mrd. Euro) bereit. Diese Summe kann im Bedarfsfall weiter aufgestockt werden“, betonte Palkovics.

Die in vielen Details weiterhin unklare Regelung zur „Kurzarbeit auf die ungarische Art“ wurde von den Unternehmen natürlich am sehnlichsten erwartet, stellt sie doch das effizienteste Instrument zur Bewahrung von Arbeitsplätzen dar. Deshalb muss enttäuschen, dass die entsprechende Regelung erst ab 1. Mai gelten wird. In Ermangelung einer Verordnung kann man sich vorerst nur an den Worten des Ministers orientieren, der vom deutschen Vorbild des Kurzarbeit-Modells sprach, aber auch nicht unterschlagen wollte, dass „wir dieses Modell ein wenig umgestaltet haben“. So sei der Staat zur Zahlung der Lohnstütze in dem Fall bereit, wenn 15-50 Prozent der Arbeitsbelastung ausfallen. Außerdem müssten sich die gezahlten 70 Prozent an einer „gerechten Obergrenze“ ausrichten. „Wir möchten schließlich erreichen, dass die Arbeitnehmer in dieser Übergangszeit nicht zu Hause bleiben, sondern für ihre Firma nützliche Tätigkeiten wahrnehmen“, sagte Palkovics. Darunter seien Schulungen ebenso zu verstehen, wie die Weiterentwicklung firmeninterner Projekte und natürlich jede wertschöpfende Arbeit.


Was wirklich bewegt wird

Der offenbar mit der Neuplanung des Staatshaushalts beschäftigte Finanzminister hat vorerst keine Ankündigungen gemacht. Mihály Varga beschränkte sich auf Erläuterungen der von der Regierung beschlossenen Maßnahmen in den Staatsmedien. Dabei betonte er, dass die früher zugesagte Senkung der Sozialabgaben um zwei Prozentpunkte wie vorgesehen ab 1. Juli wirksam wird. Vermutlich an die Stelle der allgemeinen Haushaltsreserven tritt der neu eingerichtete „Fonds zur Corona-Abwehr“, den der Minister auf 634 Mrd. Forint veranschlagte. Ein weiterer Fonds zum Schutz der Wirtschaft wird mit 1.345 Mrd. Forint aufgestellt. Dieses Geld dürfte für die von Anbeginn im Fokus befindlichen Krisenbranchen rund um den Tourismus fließen, aber in Form von Entwicklungsgeldern, Steuersenkungen und Kredithilfen auch für Bauwesen, Verkehr, Logistik, Gesundheits- und Nahrungsmittelindustrie. Varga räumte selbst ein, dass es diese 2.000 Mrd. Forint sind, die innerhalb des Budgets „bewegt“ werden.

#

Die Bewohnerin eines Seniorenheims sagt Dank – noch nicht für die 13. Monatsrente, sondern den vielen Helfern in der Krise. (Foto: MTI/ Márton Mónus)

Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet sprach er von rund 1.000 Mrd. Forint, die als zusätzlicher Spielraum gewonnen wurden, nachdem das ursprüngliche Defizitziel von einem auf 2,7 Prozent am BIP gelockert wurde. Schließlich sei ein dritter Fonds eingerichtet worden, der allerdings vorläufig leer sei. In diesen Topf sollen EU-Gelder zur Krisenabwehr fließen. Allen „Falschmeldungen“ zum Trotz sei aber noch kein solches Geld eingetroffen, erklärte der Finanzminister. Die aus Brüssel angeblich den Mitgliedstaaten überlassenen Euromilliarden würden an Ausschreibungen hängen, die Ungarn längst abgewickelt habe. Wenn jetzt Auszahlungen der EU vorgeholt würden, könnte das einzig die Liquidität verbessern, zusätzliches Geld bedeute dies aber nicht.


Bewährte Rezepte

Die vorläufig letzte große Ansage kam von Seiten der Ungarischen Nationalbank (MNB). Der Währungsrat hob mit sofortiger Wirkung die Obergrenze des Zinses für das Tagesgeld um 95 Basispunkte auf 1,85 Prozent an. Der Leitzinssatz von 0,9 Prozent blieb ebenso unberührt von dieser Maßnahme, wie die Untergrenze des Zinses für das Tagesgeld, die demnach unverändert bei minus 0,05 Prozent steht. MNB-Vizepräsident Márton Nagy kündigte auf einer Pressekonferenz am Dienstag außerdem den Kauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt sowie die Neuauflage eines Programms an, mit dem die Liquidität des Bankensektors gestärkt wird. Laut Notenbankpräsident György Matolcsy wird die MNB mit bis zu 3.000 Mrd. Forint die Sicherheit der Finanzsysteme gewährleisten. Hierbei kommt es zur Neuauflage und Ausweitung der sogenannten Wachstumskreditprogramme (NHP), die sich in verschiedenen Versionen gezielt an Klein- und mittelständische Unternehmen beziehungsweise an Großunternehmen wenden.

Der Bankenverband begrüßte die Maßnahmen der Regierung und der Notenbank sogleich. Der Bankensektor sei der Motor für eine gut funktionierende Wirtschaft, der in Krisenzeiten stabilisierend wirke. Andere sind da weniger enthusiastisch. Aus all den Ankündigungen der jüngsten Tage lassen sich mehrere Dinge ablesen, selbst wenn die Orbán-Regierung – bewusst oder unbewusst – weiterhin manch wichtige Bausteine für die Vollendung des Puzzles zurückhält.

So sind die unmittelbaren Auswirkungen auf den Staatshaushalt erstaunlich eng begrenzt. Das größte Teilprogramm mit einem Volumen von über 3.000 Mrd. Forint, das eine allgemeine Stundung laufender Kreditverträge bis zum Jahresende zur Folge hat, müssen die Geldinstitute tragen – und ab 2021 wird sich zeigen, inwieweit dessen Kosten auf die Kreditnehmer abgewälzt werden. Abgesehen von der Krisenabwehr, die zusätzliche Aufwendungen im Gesundheitswesen verursacht, dürfte der Staat aktuell allein in Sachen Kurzarbeit in die eigenen Taschen greifen. Wie tief dieser Griff ausfällt, wird sich ebenfalls erst noch herausstellen.


Enges Korsett für die Zeit danach

Vorläufig wissen wir nur, dass die Orbán-Regierung das deutsche Modell „abwandelt“ anwenden will. Unternehmen, die dringend auf Finanzhilfen angewiesen sind, um die praktisch bei jeder Wortmeldung von Regierungspolitikern beschworene Bewahrung der Arbeitsplätze in die Praxis umzusetzen, müssen bis Mai warten. Da verstreichen mehrere Wochen wertvoller Zeit – im bizarren Kontrast zur überzeugten Stellungnahme des Bankenverbandes, die Regierung treffe alle Maßnahmen nicht nur angemessen, sondern auch rechtzeitig. Unter den Schritten der Notenbank erscheint allein der Kurswechsel in der Geldpolitik als einschneidend. Die Kreditprogramme gab es schon zu Konjunkturzeiten, weshalb die MNB anhaltenden Kritiken ausgesetzt war, die Wirtschaft zu überhitzen. Nicht unterschlagen werden kann, dass diese Programme nur eine den Banken „genehme“ Klientel erreichen.

Die Regierung hat sich offenbar freiwillig das enge Korsett angelegt, die Krise ohne Fremdkredite und Geldpresse, aus den vorhandenen Mitteln zu stemmen. Wozu das reichen soll, wenn die Wirtschaft tatsächlich in eine tiefe Rezession stürzt, muss sich zeigen. Derzeit glaubt gerade der Notenbankpräsident weiter felsenfest daran, dass Ungarn auch im Jahre 2020 ein Wachstum seiner Wirtschaftsleistung vorlegen kann. Dabei hat sich in der Minikrise um 2012 schon einmal gezeigt, dass sich Steuererhöhungen als kontraproduktiv erweisen. Genau solche hat Kanzleramtsminister Gergely Gulyás aber am Samstag angekündigt, in Höhe von 55 Mrd. Forint für die Banken und 36 Mrd. Forint für den Einzelhandel.

Derweil passen eine Solidaritätsteuer für die Reichen, die Einführung eines Grundeinkommens, eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes und großzügige Sozialmaßnahmen nicht ins Konzept dieser Regierung. Die mit dem gesamtgesellschaftlichen Notstand als Antwort auf das Coronavirus in die Ungewissheit entlassenen Arbeitnehmer werden durch keine der vielen bewilligten Maßnahmen aufgefangen, die Rentner mit Almosen abgespeist, die erst ab 2021 wirksam werden und somit nur einen arg verspäteten Ausgleich für ihren seit Wochen extrem verteuerten Warenkorb bieten. So, wie die Regierung ihr Rettungspaket kommuniziert, scheint sie bereits auf die Zeit nach der Krise zu fokussieren, um eine durch und durch wettbewerbsfähige ungarische Volkswirtschaft ohne unnötige Altlasten in der neuen-alten Weltordnung antreten zu lassen. Deshalb wirkt es wie eine leere Phrase, wenn Viktor Orbán verspricht, dass „wir selbst in diesen schweren Zeiten keinen einzigen Ungarn alleine lassen“.

Konversation

WEITERE AKTUELLE BEITRÄGE
Regierungsbeschlüsse

Ende für Transitzonen

Geschrieben von BZ heute

Am kommenden Dienstag reicht die Regierung jene Vorlage im Parlament ein, mit der sie um die…

Im Gespräch mit Columbo, Frontmann der Band Irie Maffia

Musik in der Quarantänezeit

Geschrieben von Péter Réti

Vor 15 Jahren wurde die ungarische Band Irie Maffia gegründet. Die Budapester Zeitung sprach mit…

Brettspielverleih „Játszóház Projekt”

Lasset die Spiele beginnen!

Geschrieben von Elisabeth Katalin Grabow

Gezwungenermaßen verbringen viele Menschen heute mehr Zeit daheim. Da wird die Suche nach neuen…