Politisch gesehen bringt die Corona-Krise Opposition und Regierung nicht näher zueinander. Die Bevölkerung hat jedoch erkannt, dass politische Gegensätze in diesen Zeiten keinerlei Bedeutung haben.


Helden des Alltags

Eine Bewegung, die sich langsam über ganz Ungarn (und auch weltweit) ausbreitet, ist das „Applaudieren für Mitarbeiter im Gesundheitswesen“. Ihren Anfang nahm die Bewegung im 10. Bezirk in Budapest. Inzwischen wird fast überall in der Hauptstadt und auch im Rest des Landes applaudiert.

Mitmachen ist ganz einfach: Jeden Abend um 20 Uhr stellen sich Menschen ans offene Fenster und klatschen in die Welt hinaus. In einer eigens dafür gegründeten Facebook-Gruppe berichten unzählige Teilnehmer bereits von dem erhebenden Gefühl, welches sich dabei breit macht: „Gestern habe ich noch allein geklatscht, aber heute war schon aus mehreren Fenstern Applaus zu hören.“ Postings und Kommentare wie diese sind ebenso häufig, wie dankbare Zeilen all jener, für die geklatscht wird. (Warum das gemeinsame Klatschen der Seele so gut tut, erklärt Psychologin Kinga Tóth-Ádám im Kasten.)

Geklatscht wird dabei mittlerweile für all jene, die an vorderster Front sind. Dabei sind bei weitem nicht mehr nur die Mitarbeiter des Gesundheitswesens gemeint (wobei sie weiterhin eine herausragende Rolle spielen), sondern auch all die Helden des Alltags, die die Wirtschaft und das Leben auch unter diesen Umständen am Laufen halten. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit wird hier Verkäufern, Kassierern, LKW-Fahrern, Apothekern, Lagerarbeitern, Postzustellern, Sozial- und Pflegearbeitern sowie all jenen Respekt gezollt, die nicht daheim bleiben können. Aber ebenso den Lehrern, die quasi ohne Vorlauf auf Unterricht via digitaler Medien umsteigen mussten. Falls Sie sich also gewundert haben, warum Ihre Nachbarn abends immer klatschen, dann wahrscheinlich deshalb. Und übrigens: Mitmachen ist ganz einfach.


„Fütter den Dok!“

Doch die Anerkennung der Frontkämpfer der Pandemie hat auch ganz handfeste Auswüchse. Wie beispielsweise die Facebook-Gruppe #etesdadokit!, in der der international renommierte Koch Márton Keve damit begann, selbst pro Tag 100 Mahlzeiten für Mitarbeiter im Gesundheitswesen zu kochen und zu liefern. Seitdem haben sich zahlreiche Restaurants, Pizzerien und Konditoreien angeschlossen und versorgen täglich Krankenhäuser mit Speisen aller Art.

Ein weiterer „Held am Herd“ – oder vielmehr am Ofen – ist Tamás Kásás. Der fünfmalige Olympionike und dreimalige Goldmedaillengewinner im Wasserball liefert mit seinem Restaurant Tommy di Napoli ebenfalls bereits seit zwei Wochen täglich 200 Pizzen an Krankenhäuser. Daneben gibt es auch zahllose Restaurants und auch Caterer, die mit kleinen, aber nicht weniger wichtigen Spenden sowohl Krankenhäuser als auch andere Hilfseinrichtungen unterstützen. Und die Hilfe wird dankbar angenommen!


Rettungskräfte sagen „Danke“

Neben den zahllosen Posts und Kommentaren kursieren aber auch Videos, in denen die Rettungskräfte auf liebenswerte Weise „Danke“ sagen. Mehr als drei Millionen Mal bereits wurde beispielsweise das Video angesehen, in dem Rettungskräfte zum 90er-Jahre-Hit Macarena zwischen Häuserblocks tanzen und gar noch einen bekannten ungarischen Schlager singen. Ihr Dank gilt dabei sicherlich auch den Hilfsangeboten, aber ebenso all jenen, die, wie es im Video heißt, „zuhause bleiben und damit auch uns schützen“.

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Foto: MTI / Zsolt Czeglédi
Eine weitere Initiative, die den Hilfskräften und ihrer Sicherheit dient, ist eine Facebook-Gruppe, in der Ingenieure und Tech-Enthusiasten gemeinsam an Plänen für 3D-druckbare Gesichtsmasken gearbeitet haben – und nunmehr deren Verteilung angegangen sind. Rückmeldungen von Fachleuten wurden ebenso aufgenommen und umgesetzt, wie auch untereinander Erfahrungen und Best Practices ausgetauscht wurden. Seit Beginn dieser Woche trudeln immer mehr Berichte und vor allem Dankesbotschaften von Pflegekräften und Ärzten ein, in denen sie die heimgefertigten Schutzmittel bereits in Aktion präsentieren.

Ein von Psychologen oft wiederholter Ratschlag in diesen Zeiten ist, sich auf das Schöne zu konzentrieren. Und auch wenn es aus dem eigenen Wohnzimmer vielleicht manchmal schwer fällt, Schönes und Liebenswertes gibt es weiterhin reichlich um uns herum zu entdecken.

Ebenfalls auf Facebook kursiert eine Luftaufnahme Budapests, in der eine Drohne durch die zwar sonnigen, jedoch fast menschenleeren Straßen Budapests fliegt. Dieses Video ist auf eine ganz eigene Art bezaubernd, weit über die offenkundige Schönheit der Stadt hinaus.

Obwohl mittlerweile bekannt scheint, dass sowohl das Foto der Delfine in der Bucht von Venedig als auch die angetrunkenen Elefanten in der Teeplantage wohl eher Wunschträume denn real vorhanden sind, Budapest hat seine eigenen kleinen Tierwunder. Obgleich seit dem 15. März sämtliche Thermalbäder der Stadt für Gäste geschlossen sind, ein Bad steht auch weiterhin im Fokus der Aufmerksamkeit. Im Lukács Heilbad wurde eine Entenmama mit ihren Entlein abgelichtet, wie sie in aller Seelenruhe in einem der Becken des Bades ihre Runden ziehen.

Und obwohl leere Spielplätze ein herzzerreißender Anblick sind, laut ersten optimistischen Schätzungen hat die in den vergangenen Wochen demons­trierte solidarische „Bleib daheim“-Mentalität die Ausbreitung des Virus verlangsamen können.

Dafür allein gehört dem Land heute Abend applaudiert.

Psychologin Kinga Tóth-Ádám über den psychologischen Wert des gemeinsamen Applaudierens

Gutes tun tut gut


Warum beschreiben Menschen das gemeinsame Klatschen als erhebendes und verbindendes Gefühl?

In Zeiten, in denen wir zwangsläufig isoliert sind, suchen wir nach Möglichkeiten der Verbindung. Beim Klatschen haben wir genau das. Wir sehen, dass auch andere es tun, wir sind damit darin bestätigt, was wir tun, weil der andere es ja auch tut. Normalerweise erhalten wir diese Art von Rückmeldung, dass das, was wir tun, gut ist, über unseren Freundeskreis.


Gibt es auch andere Wege, dieses Gefühl zu erleben?

Ja. Auch beim Spenden erleben wir das sehr stark. Diese Form der (Selbst-)Bestätigung und des Feedbacks ist sehr präsent, wenn wir für andere etwas Gutes tun.


Warum wird jetzt für Schwestern, Pfleger und Ärzte geklatscht? Sie retten täglich Leben, nicht nur während einer Pandemie.

Mitarbeiter im Gesundheitswesen sind jetzt mehr denn je einer spürbaren Gefahr ausgesetzt. Ein Autounfall oder Verbrennungen können nicht übertragen werden, man kann sich nicht daran anstecken. Jetzt jedoch, insbesondere mit restriktiven Maßnahmen für die gesamte Gesellschaft, spürt ein jeder, dass diese Menschen für andere nicht weniger als ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen. Sie sind wahrlich an vorderster Front, wie in einem Krieg, und dieses Bewusstsein greift nun um sich. Die Anerkennung dieser Aufopferungsbereitschaft ist jetzt aber stärker und präsenter als sonst.


Immer mehr Menschen schließen sich an. In der Facebook-Gruppe gibt es keine politischen Diskussionen, sondern nur Einstimmigkeit, dass Respekt gezollt werden muss, obwohl gerade das Gesundheitssystem ein hoch politisches Thema ist.

Die Bewegung selbst orientiert sich an einem französischen Beispiel, wurde aber durch ganz durchschnittliche Bürger nach Ungarn „importiert“. Das Gefühl von „einer von uns“, das Gruppengefühl kommt hier erneut zum Tragen und führt auch deswegen dazu, dass Menschen sich leichter mit dieser Bewegung identifizieren können und daran teilnehmen. Ich bezweifle, dass sich so viele Menschen mit so einem Enthusiasmus angeschlossen hätten, wenn die Idee von offizieller Stelle gekommen wäre.


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