Von einem Ende der Demokratie in Ungarn schreiben internationale Medien, seit das Parlament am Montag eine „unbefristete“ Verlängerung der „Gefahrensituation“ verabschiedete – also eine Verlängerung der Notstandslage zur Bekämpfung des Coronavirus. Dazu gibt es keine zeitliche Befristung. Das unterscheidet sich von den Notstandsgesetzen anderer Länder, die immer zeitlich begrenzt sind, etwa auf sechs Monate in England oder Italien. Ungarn, so heißt es nun vielerorts, sei eine „Diktatur“ und „Autokratie” oder zumindest auf dem besten Wege dahin. Denn Ministerpräsident Viktor Orbán könne nun unbefristet ohne Parlament regieren.


Linke, liberale und grüne Parteien fordern Sanktionen

Linke, liberale und grüne Parteien fordern bereits Sanktionen der EU, und sowohl das EU-Parlament als auch die EU-Kommission haben angekündigt, die Entwicklung in Ungarn „zu verfolgen“. Eine schriftliche Stellungnahme von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vermied es jedoch, Ungarn beim Namen zu nennen, und enthielt eigentlich keine Formulierungen, die in Widerspruch stünden zu den ungarischen Entscheidungen. Alle Notstandsregelungen, so hieß es da, müssten „notwendig“ und „verhältnismäßig“ sein, und dürften nicht unbegrenzt dauern. Kommunikations-Staatssekretär Zoltán Kovács erklärte, die Regierung sehe das genauso.

Es liegt viel Rauch über dem politischen Schlachtfeld. Nicht alle Behauptungen über Ungarns Ausnahmezustand stimmen. Das Parlament ist beispielsweise nicht, wie vielerorts geschrieben, „ausgeschaltet“.

Es obliegt ihm vielmehr laut Paragraph 8 des Gesetzestextes, den Ausnahmezustand aufzuheben: „Über die Außerkraftsetzung dieses Gesetzes entscheidet mit der Beendigung der Gefahrensituation das Parlament.“ Paragraph 3.2 besagt, dass das Parlament die Sondervollmachten der Regierung auch „vor dem Ende der Gefahrensituation“ zurückziehen kann. Also jederzeit.

Da aber die Regierungspartei im Parlament über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, ist kaum davon auszugehen, dass es in dieser Frage zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Parlament und Regierung kommen wird.


Parlament arbeitet weiter

„Ich gehe davon aus, dass das Parlament seine Arbeit weiter verrichten wird, weiter tagen und auch weiterhin Gesetze verabschieden wird”, sagte eine ranghohe Quelle gegenüber der Budapester Zeitung. Nur in Fragen, die mit der Bekämpfung der Coronavirus-Krise und ihrer wirtschaftlichen und sozialen Folgen zu tun haben, ist die Regierung jetzt berechtigt, ohne Hinzuziehen des Parlaments und gegebenenfalls in Abweichung von geltenden Gesetzen „dort, wo notwendig“ und „verhältnismäßig“ zu entscheiden. Und das auch nur, solange die Epidemie andauert.

Wann aber ist die Epidemie unter Kontrolle und damit die „Gefahrensituation” beendet? Dafür ist im Gesetzestext kein inhaltliches Kriterium angegeben, etwa eine entsprechende Feststellung der WHO oder die Verfügbarkeit eines Impfstoffes. Insofern unken Kritiker, die Regierung könne ihre Vollmachten auf ewig behalten – denn das Virus werde so bald nicht verschwinden. Kommunikations-Staatssekretär Zoltán Kovács hat zur Frage, ob die Regierung ihre Notstandsvollmachten jemals wieder aufgeben werde, jedoch unmissverständlich gesagt: „Ja, wir werden.“ Ebenso äußerte sich auch Justizministerin Judit Varga.

Es liegt im Ermessen der Regierung, ob eine Maßnahme als Bekämpfung der Coronavirus-Krise zu bewerten ist. Ihre Entscheidungen sind aber vor dem Verfassungsgericht anfechtbar.


Parlamentswahlen unberührt

So gut wie alle wirtschafts-, sozial- und steuerpolitischen Entscheidungen dürften im Rahmen des Ausnahmezustands als „notwendig“ betrachtet werden, ebenso Entscheidungen zum Grenzschutz, zur Verkehrsordnung und zum Abhaltung von Wahlen – Letzteres ist genau das Detail, das bei vielen internationalen Beobachtern die Alarmsirenen schrillen lässt.

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Die Opposition bezweifelt, dass die Regierung mit dem Ende der Pandemie dem Parlament auch wirklich wieder alle Rechte zurückgibt. (Foto: MTI / Márton Mónus)


Konkret sind jedoch nur Nachwahlen und Volksbefragungen untersagt. Daraus wurde dann in manchen Medien ein „Ende der Demokratie“ oder gar der „Beginn einer Diktatur”.

Die Demokratie ist aber nur zu Ende, wenn es keine Parlamentswahlen mehr gibt. Die werden im Gesetz jedoch nicht erwähnt. Ein neues Parlament wird erst 2022 gewählt, bis dahin dürfte die Krise vorbei sein. Der jetzige Notstand bildet auf keinen Fall eine ausreichende rechtliche Grundlage, um Parlamentswahlen auszusetzen. Dafür müsste die Verfassung umgeschrieben werden, die für solche Wahlen ein genaues Zeitfenster vorschreibt. Nichts deutet derzeit darauf hin, dass die Regierung das plant. Umso weniger, als die Regierungspartei Fidesz und Ministerpräsident Viktor Orbán den Umfragen zufolge gute Chancen haben, wieder zu gewinnen.

Eine andere Frage sind die für Sommer 2021 geplanten Vorwahlen der Oppositionsparteien. Das Coronavirus-Gesetz sagt dazu nichts, und es sind ja auch keine amtlichen Wahlen. Vermutlich wird die Pandemie bis dahin ohnehin unter Kontrolle sein.

Viele Beobachter in Ungarn gehen davon aus, dass das Fehlen einer zeitlichen Begrenzung letztlich ein innenpolitischer Schachzug Orbáns war, um die Opposition zu zwingen, gegen das Coronavirus-Gesetz zu stimmen. „Er hat uns in eine Falle gelockt”, formulierte es ein ranghoher Oppositionspolitiker, der damit aber nicht zitiert werden wollte, gegenüber der Budapester Zeitung.

Eine Falle insofern, als die Regierung nun behaupten kann, die Opposition verweigere in der Krise die Zusammenarbeit. Was nicht stimmt – die Oppositionsparteien waren durchaus bereit, eine mittelfristige Verlängerung von 90 Tagen mitzutragen. Wahrscheinlich wäre auch ein etwas längerer Zeitraum verhandelbar gewesen.

Die Regierung argumentierte in der Parlamentsdebatte am Montag, es gebe sehr wohl eine zeitliche und inhaltliche Begrenzung. Sie darf ihre Sondervollmachten nur zur Bekämpfung des Virus verwenden. Diese Maßnahmen müssen „notwendig“ und „verhältnismäßig“ sein. Die Formulierung entspricht einem Antrag der Opposition, den die Regierungspartei akzeptierte.

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Die Fake-News-Passage des Notstandsgesetzes bezieht sich offiziell nur auf Nachrichten im Zusammenhang mit dem Coronavirus. (Foto: MTI / Zsolt Czeglédi)


Das Parlament oder – wenn es nicht zusammentreten kann – dessen Fraktionschefs müssen regelmäßig unterrichtet werden. Das Verfassungsgericht geht seinen Aufgaben weiter nach.


Haftstrafen für Fake News

Ein anderer umstrittener Punkt des Notstandsgesetzes: Die Verbreitung von falschen Nachrichten oder von „wahren, aber verzerrt dargestellten“ Tatsachen wird unter Haftstrafe gestellt, wenn dadurch die Bekämpfung des Virus behindert wird, oder diese Falschnachrichten dazu führen, dass mehr Menschen sich infizieren oder gar sterben.

Es gibt gute Gründe dafür. Beispielsweise wurde auf fragwürdigen Webseiten verbreitet, dass die Regierung Budapest abriegeln würde. Die Folge war, dass viele Budapester die Stadt verließen, und sich auf diese Weise das Virus vermehrt in der Provinz verbreitete.

Kritiker sind besorgt, dass mit dieser neuen Regel Journalisten belangt werden könnten. In seiner jetzigen Form ist dieser Paragraph aber nur auf Nachrichten anwendbar, die mit dem Coronavirus zu tun haben. Nach dem Ende der Epidemie, oder in Fragen, die mit ihr nichts zu tun haben, dürfte diese Regel irrelevant sein.

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