Es ist gerade zwei Wochen her, da schwor Ministerpräsident Viktor Orbán seine Wirtschaftspolitiker noch darauf ein, die Rezession dürfe nicht die Ausmaße von 2008/09 erreichen. Er glaubte, der Corona-Krise mit gezielten, branchenspezifischen Programmen beikommen zu können. Seither holen immer mehr Länder – von Deutschland und Schweden bis Spanien oder Italien – die Brechstange hervor, um eine Schockstarre der von Quarantäne und Ausgangssperre gelähmten Volkswirtschaften irgendwie zu vermeiden. Brüssel hebt alle Reglements zum Schuldenmanagement aus den Angeln, frei nach dem Motto: Verschulde sich, wer kann. Dabei weiß derzeit niemand, wie die Wirtschaftsakteure – die global agierenden Großunternehmen, der Mittelstand und die Kleinfirmen, Arbeitnehmer und Angestellte sowie nicht zuletzt die öffentliche Hand – einst dastehen werden, wenn der Corona-Spuk erst einmal vorbei ist. Die ungarische Regierung legt bisher überaus zurückhaltend Hand an: Sie hat keine Gießkanne für aufkommende Frühlingsgefühle parat, die Medikamentierung des Notfallpatienten erfolgt in kleinen Dosen.


Eine Art Stresstest

Das kann nicht losgelöst von jener außerordentlichen Situation betrachtet werden, in der die Prämisse eines um jeden Preis zu haltenden Wachstumsvorsprungs von zwei Prozentpunkten gegenüber der Europäischen Union jede Relevanz verloren hat. Aktuell sinnieren die Wirtschaftsforschungsinstitute, ob die Wirtschaft ein- oder zweistellig schrumpfen wird, ob um zehn oder vielleicht sogar um fünfundzwanzig Prozent. Ein Viertel weniger Wirtschaftsleistung – kaum auszumalen die systemischen Folgen. Wie überall tappen vorläufig auch die hiesigen Wirtschaftslenker im Dunkeln; Finanzminister Mihály Varga erwähnte im Zusammenhang mit der Neuplanung des laufenden Haushalts eine Größenordnung von 3.000 Mrd. Forint. Das kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr als ein Bauchgefühl sein, aber es ist doch bereits mehr, als der ungarische Staat über ein ganzes Jahr hinweg für das Gesundheitswesen aufwendet, ganz zu schweigen vom Bildungswesen.

Regierungsnahe Institute heben gerne hervor, dass die im abgelaufenen Jahrzehnt erreichte politische und makroökonomische Stabilität Ungarn eine relativ gute Ausgangsposition in der Corona-Krise verschafft. Was sie geflissentlich übersehen: Das heute einer Art „Stresstest“ unterzogene Gesundheitssystem hing schon in Friedenszeiten am Tropf. Dennoch hat der Ministerpräsident in seinen Rettungsplänen für die Mitarbeiter des Gesundheitswesens bestenfalls ein paar aufmunternde Worte übrig; von der Erhöhung ihrer Bezüge oder der Ausschüttung von Prämien ist kein Sterbenswörtchen zu hören. Immerhin scheint nach zwei Wochen Anlaufschwierigkeiten mit der einsetzenden Luftbrücke aus China wenigstens in Sachen adäquater Schutzausrüstungen eine Besserung in Sicht.


Gegen Engpässe bei der Liquidität

An wen sind also die ersten konkreten Maßnahmen gerichtet, die Orbán innerhalb von fünf Tagen in zwei Stufen verkündete? Zunächst einmal wurde mit sofortiger Wirkung ein allgemeines Moratorium für Kredite von Unternehmen und Privatkunden verhängt, das bis Jahresende gilt. Die Stundung erstreckt sich auf sämtliche Kapital-, Zins- und Gebührenzahlungen bestehender Kredite. Mit anderen Worten müssen Zahlungspflichten, die zwischen Mitte März und Ende Dezember fällig werden, nicht erfüllt werden. Entsprechend werden alle Kreditverträge um diese Periode einer Ausfallzeit von mehr als neun Monaten verlängert. Das Zahlungsmoratorium tritt automatisch in Kraft – wer weiter über Liquidität verfügt oder als korrekter Kreditnehmer den Unwägbarkeiten des Aufschubs besser aus dem Weg gehen möchte, muss demnach bei seiner Hausbank intervenieren, wenn er seinen Kredit unverändert bedienen möchte.

Das Moratorium schiebt Tilgungslasten von monatlich 400 Mrd. Forint auf, die sich bis Jahresende somit auf 3.600 Mrd. Forint summieren werden – neben einer Kapitaltilgung im Volumen von 3.150 Mrd. Forint werden auch Zinsen und Gebühren in Höhe von rund 450 Mrd. Forint ausgesetzt. Die Ungarische Nationalbank (MNB) hat die Geldinstitute bereits gewarnt, die Kreditnehmer dürften nach Ablauf der Schonfrist nicht mit steigenden Tilgungsraten konfrontiert werden. Die Lösung bestehe in einer Verlängerung der ursprünglichen Kreditlaufzeit. Beobachter verweisen darauf, dass die Laufzeiten ganz bestimmt um mehr als neuneinhalb Monate gestreckt werden. Die Kreditnehmer werden die aufgelaufenen Zins- und Gebührenzahlungen zusätzlich zur Kapitaltilgung irgendwann erbringen müssen.

Die Maßnahme wurde von den Handelsbanken zur Kenntnis genommen; der Bankenverband bezeichnete das Moratorium als „wesentliches Element“ der durch den Ministerpräsidenten verkündeten Schritte zum Schutz der Wirtschaft. Die Stundung bringe Familien und Unternehmen, die wegen der Coronavirus-Pandemie unter Liquiditätsengpässen zu leiden hätten, schnell und effizient Hilfe. Die zeitlich aufgeschobenen Zinserlöse von 450 Mrd. Forint stellten die Geldinstitute vor Herausforderungen, die freie Liquidität des Bankensektors sei jedoch mit 13.000 Mrd. Forint in Konsequenz der Finanzkrise von 2008 auf ein außerordentlich hohes Niveau gehoben worden. Dessen ungeachtet bitten die Banken in Kompensation des ihnen abverlangten Opfers um die komplette Streichung der Sondersteuer und der auf Transaktionen erhobenen Gebühren ab 2021.


Leiden unter sozialer Distanz

Unter den sechs Maßnahmen im ersten Rettungspaket des Ministerpräsidenten dürfte die Festschreibung eines maximalen Effektivzinssatzes für Konsumkredite weniger relevant gewesen sein. Zwar haben in dieser Woche bereits die ersten Handelsbanken ihre neuen, der Verordnung angepassten Angebote vorgestellt, die das gesetzliche Maximum von fünf Prozentpunkten über dem Leitzins der Notenbank exakt ausschöpfen. Die Banken werden in einem Inflationsumfeld von drei-vier Prozent aber kaum Millionen-Kredite zur freien Verwendung ausreichen, deren Marge nicht als kostendeckend angesehen werden kann.

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Amtliche Aufforderung an die ältere Generation: Bleibt zu Hause!


Eine Erleichterung für die von der Krise auf Anhieb betroffenen Branchen stellt das Verbot der Kündigung von Pachtverträgen bis Ende Juni sowie der Anhebung von Pachtgebühren dar. Geschützt werden sollen damit Wirtschaftsakteure im Tourismus- und Gastgewerbe sowie in der Unterhaltungsindustrie. Für die vier Monate März-Juni verzichtet der Staat weitgehend auf die Abgabeneinzahlungen der Arbeitnehmer dieser Branchen. In Ungarn gibt es mehr als 50.000 solcher Firmen, die überwiegend als Familienbetriebe geführt werden.

Schließlich wurden Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches gelockert, um beispielsweise über die flexiblere Handhabung des Arbeitszeitrahmens möglichst viele Arbeitsplätze zu bewahren. Außerdem wurden als besonders schwer betroffene Branche die Taxifahrer gleich im ersten Paket von der Einzahlung der Pauschalsteuer für vier Monate befreit.

Am Montag ergänzte Orbán die Maßnahmen aus der Vorwoche: Nun wurden insgesamt 81.000 Kleinunternehmer, die ähnlich wie die Taxifahrer die Pauschalsteuer KATA entrichten, bis Ende Juni von dieser Zahlungspflicht befreit. Damit werden Anbieter eines breiten Spektrums an Dienstleistungen vom Friseur über den Glaser und den Fliesenleger bis zum persönlichen Fitnesstrainer entlastet, die unter der neuartigen Prämisse der „sozialen Distanz“ leiden. Solange der landesweite Notstand anhält, darf es keine Zwangsräumungen von Wohnungen und Beschlagnahmungen von Eigentum geben, ebenso werden Vollstreckungsverfahren ausgesetzt. Für Eltern bedeutsam ist die Entscheidung, dass in diesen Monaten auslaufende Berechtigungen zu Kindergeld automatisch verlängert werden.

Ein Dutzend Maßnahmen hat die Orbán-Regierung seit vergangener Woche aufgelegt, deren Kosten sich ganz klar in Grenzen halten. Offenbar will sich der Ministerpräsident nicht vergaloppieren, solange sein Finanzminister noch fieberhaft an den Haushaltszahlen für das laufende Jahr arbeitet, die von Grund auf neu addiert werden müssen. Damit ist aber gleichzeitig klar, dass der sich zusammenbrauenden Wirtschaftskrise mit den bisherigen Ankündigungen nicht beizukommen ist. Bislang hat es den Anschein, als wollte Budapest das Defizit höchstens bis auf drei Prozent am Bruttoinlandsprodukt freigeben, obgleich doch Brüssel mit Blick auf die einzigartige Katastrophenlage längst eine bedingungslose Befreiung von diesem Maastricht-Kriterium gestattet hat. Ebenso hält sich die Ungarische Nationalbank weiterhin zurück, die mit dem Kauf von Staatsanleihen ein mehrfaches Finanzierungsvolumen sicherstellen könnte.

Während sich Regierungen und Notenbanken im Westen nicht scheuen, Pakete zu schnüren, die gut und gerne ein Zehntel der jeweiligen Wirtschaftsleistung erreichen, kleckert Ungarn mit Beträgen im Bereich von Nullkommanichts herum. Steuer- und Abgabenerleichterungen für Unternehmen sind jedoch vergebliche Liebesmüh, wenn deren eingebrochene Umsätze nicht einmal mehr die Fixkosten garantieren, ganz zu schweigen von einer Deckung der Nettolöhne. Bewährte Kriseninstrumente wie Kurzarbeit und Einkommensergänzungen finden sich weiterhin nicht im Wortschatz der hiesigen Wirtschaftslenker. Vermutlich trifft der Konsens der Analysten den Nagel auf den Kopf, wonach die Regierung bisher eher Sozialmaßnahmen ergriff – wie sie hingegen die Wirtschaft wieder anzukurbeln gedenkt, wird auf einem zukünftigen Blatt Papier geschrieben.

Blitzumfrage der DUIHK zu Auswirkungen des Coronavirus

Im Zusammenhang mit dem Coronavirus hat die Deutsch-Ungarische Industrie- und Handelskammer (DUIHK) bereits drei Blitzumfragen durchgeführt. In die nachfolgend präsentierten Ergebnisse flossen die Antworten von 149 Mitgliedsunternehmen mit Stand 19. bis 21. März ein.

Aufgrund der Epidemie erwarten 88% der Unternehmen negative Auswirkungen auf ihr Geschäft, ernste oder schwere Störungen verzeichnen mittlerweile 43% (vor einer Woche waren dies erst 8%). Innerhalb einer Woche ist die Zahl der Unternehmen, die ihre Geschäftsaussichten für die nächsten sechs Monate als günstig einschätzen, von einem Viertel gegen null tendiert. Der Anteil an Unternehmen, die praktisch keine negativen Auswirkungen auf Produktion, Lieferketten oder Leistungserbringung feststellen, hat sich gegenüber der Erhebung Mitte März von 63% auf 30% mehr als halbiert.

Jedes fünfte Unternehmen ist schon heute von den Folgen der Epidemie betroffen, innerhalb einer Woche wird sich diese Zahl verdoppeln, in zwei Wochen fürchten bereits 55%, betroffen zu sein. Galt die erschwerte Verfügbarkeit von Arbeitskräften Mitte März noch als ein Hauptgrund, wie das Virus Unternehmen beeinträchtigt, benennen aktuell nur noch 27% diese Problematik, während 44% die reduzierten Aufträge inländischer Kunden, 36% einen Rückgang der privaten Nachfrage und 28% zurückgehende Exporte unter den Mehrfachnennungen angaben. Glaubte bei der zweiten Umfrage noch jedes dritte Unternehmen, ein Ersatz für ausfallende Importe sei erforderlich, gab dies aktuell nur noch jedes fünfte Unternehmen an. Fast so hoch ist die neu hinzugekommene Nennung des „Shutdown“ in unterschiedlichen Facetten.

Nach dem Abklingen der Epidemie wird es nach den Erwartungen von 60% der Unternehmen noch mindestens sechs Monate brauchen, bis das Umsatzniveau aus der Zeit vor der Krise wieder erreicht ist. Die verfügbaren finanziellen Reserven zur Erfüllung laufender finanzieller Verpflichtungen reichen bei einem Viertel der Unternehmen für weniger als zwei Monate, bei weiteren 36% für 2-3 Monate. Eine überwiegende Mehrheit der Unternehmen (87%) wandte sich in der neuartigen Lage dem Home Office zu, nahezu jedes zweite Unternehmen ordnete bezahlten Urlaub bzw. eine Inanspruchnahme von Arbeitszeitkonten an. Ein Viertel behilft sich mit dem Abbau von Überstunden, jeweils ein Viertel ordnet unbezahlten Urlaub an bzw. baut Stellen ab.

Immerhin glauben derzeit 85% daran, keine oder nur wenige Arbeitskräfte entlassen zu müssen. Entlassungen im größeren Umfang sehen 12% der Befragten, 2% gehen gar von einer Geschäftsschließung aus. Einen Fonds zur Gewährung zinsgünstiger Kredite gegen vorübergehende Liquiditätsstörungen würden zwei Drittel der Unternehmen begrüßen. Arbeitsplatzgarantien würde ein Viertel der Befragten damit aber nicht verbinden wollen. Ein frei verfügbarer Kontokorrentkredit ohne Zinsen und Bürgschaftskosten würde 54% der Unternehmen helfen.

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