Mehr als 21.000 Neubauwohnungen wurden 2019 übergeben, verkündete das Zentralamt für Statistik (KSH) die aktuellen Zahlen. Das ist wieder ein Fünftel mehr, als 2018 realisiert wurde, und doch nur gut die Hälfte des potenziell benötigten Neubauvolumens, um das Niveau des Wohnungsbestands nicht nur qualitativ zu verbessern, sondern auch quantitativ wenigstens zu bewahren. Die Regierung mag sich nun in die Brust werfen, dass es seit 2010 keine zwanzigtausend Neubauwohnungen im Jahr mehr gab. Da litt das Land extrem unter den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, von der es sich eigentlich nie erholen konnte. Tatsächlich wurde der absolute Tiefpunkt im Zeitraum 2013-2015 durchschritten, als der Markt dermaßen daniederlag, dass drei Jahre benötigt wurden, um die Zwanzigtausender-Marke zu knacken. Ein solches Wohnungsbauvolumen galt um die Jahrtausendwende für ungarische Verhältnisse als normal, wenn auch nicht weltbewegend.


Bruchlandung nach der ersten Blase

Nachdem die Branche jahrelang auf künstliche Impulse gedrängt hatte, legte die erste Orbán-Regierung 2001 ein Wohnungsbauprogramm auf, das die Kreditnachfrage mittels üppiger Zinszuschüsse ankurbelte. Im Jahre 2002, als diese Regierung überraschend abgewählt wurde, kam es landesweit bereits zur Übergabe von mehr als 30.000 Neubauwohnungen, ein Jahr später wurde endlich das von der Branche als „Mindestmaß“ betrachtete Volumen erreicht. Doch nur 2004 und 2005 konnten mehr als 40.000 Neubauwohnungen fertiggestellt werden – ein Jahr später wirkte bereits die ungarische Krise als Folge einer katastrophal verfehlten Wirtschaftspolitik.

Übrigens wollten sich die Sozialisten auch gar nicht mit den fremden Federn schmücken: Sie hatten unverzüglich das Programm der Zinszuschüsse auslaufen lassen, das dem Staatshaushalt immer größere Verpflichtungen aufbürdete. Als neues Allheilmittel wurden die Fremdwährungskredite propagiert, die der freie Markt zu deutlich günstigeren Zinsen offerieren konnte, als wollte der gemeine Bürger einen Kredit in Forint aufnehmen. Der Staat war die lästigen Zahlungen von Zinszuschüssen los, die Kreditnehmer vertrauten auf die Konjunktur und den starken Forint. Zwischen 2007 und 2009 wurden mehr als einhunderttausend Wohnungen übergeben, von denen ein ungewöhnlich großer Teil alsbald – und gegen den Wunsch der Inhaber – in Form von Zwangsversteigerungen auf den Immobilienmarkt zurückkehrte.

Eine Lehre aus dieser (Wohnungs-) Krise lautete, dass die Nebenwirkungen einer künstlichen Belebung des Wohnungsbaumarktes genaueste Beachtung verdienen. Nach einer Anlaufphase von vier Jahren wurde das große Ziel der vierzigtausend Einheiten endlich erreicht, aber eben unter alles andere als nachhaltigen Rahmenbedingungen, so dass die Blase bereits nach zwei guten Jahren platzte. Mit dem Instrument der Fremdwährungskredite wurde der Boom um weitere vier Jahre in die Länge gestreckt, bevor die „Selbstreinigung des Marktes“ eine katastrophale Bruchlandung heraufbeschwor. Über ein ganzes Jahrzehnt hinweg wurden so wenig Neubauten bezogen, wie in drei gesunden Jahren zu erwarten wären.

Noch 2015/16 gab es Quartale, in denen im ganzen Lande weniger als zweitausend Wohnungen übergeben wurden. Im Jahre 2016 wurden selbst im besten Quartal kaum fünftausend Wohnungen als bezugsfertig gemeldet, im zweiten Halbjahr 2017 verdoppelte sich diese Zahl immerhin. Daraus wurden im vierten Quartal 2019 knapp elftausend übergebene Wohnungen; gut die Hälfte des Bauausstoßes dieses Segments für das gesamte vorige Jahr wurde somit zwischen Oktober und Dezember realisiert. Das lässt Anomalien am Markt vermuten, ähnlich wie die Tatsache, dass jede zweite Wohnung wieder in Budapest und seiner Agglomeration entstand, während der Anteil der privaten Bauherren landesweit auf vierzig Prozent gedrückt wurde. Oder der Umstand, dass – erstmals seit fünf Jahren wieder – mehr Wohnungen übergeben, als neue Baugenehmigungen erteilt wurden. Auf die drei Kategorien Budapest, Komitatsstädte und sonstige Städte entfielen jeweils rund ein Viertel der Neubauwohnungen, auf den ländlichen Raum ein gutes Fünftel.


Galopprennen schreckt Käufer ab

Heute steht die Baubranche im Grunde genommen am gleichen Ausgangspunkt, wie unmittelbar nach der Jahrtausendwende. Doch dieses Mal winkt erst gar nicht verlockend der Anbruch eines fulminanten Zeitalters: Jetzt, da ungefähr die gleichen Kapazitäten in der Folge eines brutalen Läuterungsprozesses wiederaufgebaut wurden, die vor zwanzig Jahren gewissermaßen natürlich gewachsen zur Verfügung standen, blasen die Akteure selbst zum Rückzug. Wie kann das sein?

Ein entscheidendes Moment ist die am Jahresende ausgelaufene Regelung, wonach beim Verkauf von Wohnimmobilien eine vergünstigte Mehrwertsteuer von nur fünf Prozent angewendet werden durfte. „Das Segment für Neubauwohnungen des Immobilienmarktes wird nicht länger funktionieren können“, lautete die summierende Einschätzung des Urteils von Immobilienentwicklern und Investoren durch die Experten von Duna House noch im Herbst. Die Branche befürchtete wenige Monate vor dem kritischen Stichtag des 1. Januar 2020 einen erheblichen Rückfall beim Verkauf von „Projektwohnungen“.

Die Sorge handelte davon, wie man den Käufern eine weitere Teuerung um ein gutes Fünftel erklären sollte, wo doch die Wohnungspreise in Budapest und anderen Städten mit Zukunft bereits seit Jahren ein Galopprennen veranstalten. Im Grunde genommen erleben wir in diesen Monaten die Rückkehr zur Normalität, hatte der Markt doch seine Kapazitäten wegen der vergünstigten Umsatzsteuer künstlich gestreckt. Der Übergabeboom am Jahresende 2019 ist somit ebenfalls der ordnungspolitischen Steuerung zuzuschreiben und deshalb weit davon entfernt, normale Verhältnisse am einheimischen Wohnungsbaumarkt abzubilden.


Angebote machen sich rar

Laut Duna House arbeiten Projektentwickler gewöhnlich mit Spannen um 10-15 Prozent. Die auf 27 Prozent zurückgehobene Mehrwertsteuer lässt ihnen kaum eine andere Wahl, als die Abwälzung des Kosteneffekts auf die Kunden. Im nächsten Schritt folgt eine Überprüfung der Geschäftspläne, mit dem leicht denkbaren Resultat, dass man keine neuen Projekte mehr in Angriff nimmt. Die Quadratmeterpreise haben im Neubausegment in den exklusiveren Vierteln der Hauptstadt längst 1 Mio. Forint überschritten. Luxus darf man dafür nicht unbedingt erwarten, liegen die Durchschnittspreise für Neubauten in ganz Budapest doch bereits über 850.000 Forint pro Quadratmeter.

Die Budaer Berge, die Innenstadt von Pest und der 13. Stadtbezirk (Angyalföld) sind die besten Lagen für eine Wohnimmobilie, doch finden sich daneben noch weitere sieben Stadtbezirke in der Hauptstadt, in denen Neubauprojekte 700.000 Forint und mehr je Quadratmeter kosten. Immobilienexperten warnen, dass Neubauprojekte zu erschwinglichen Preisen unabdingbar sind für die kontinuierliche Modernisierung des Immobilienbestands in Budapest. Wo sich Angebote von Neubauwohnungen rar machen, verschiebt sich die Nachfrage in Richtung des Sekundärmarktes und treibt die Preise auch in diesem Segment in die Höhe. So kosteten moderne Second-Hand-Wohnungen am Jahresende auf der Pester Seite der Donau auch schon um die 650.000 Forint, auf der Budaer Seite um 850.000 Forint pro Quadratmeter.


Wohnungspolitik für Familien

Das Drängen der Immobilienbranche auf eine verlängerte Vergünstigung stieß beim Staat auf taube Ohren, was gute Gründe hat. Immer häufiger brachten Experten die Anzeichen einer Überhitzung der ungarischen Volkswirtschaft mit der Entwicklung im Bauwesen in Verbindung. Finanzminister Mihály Varga räumte nicht nur in einem Interview ein, dass man spekulative Geldanlagen mit Instrumenten wie der sogenannten Superanleihe sehr wohl „umleiten“ wollte. Was ihn nicht davon abhält, die grundlegenden Zielstellungen der staatlichen Wohnungs- und Familienpolitik im Auge zu behalten. Damit Familien und junge Menschen an eigenen Wohnraum gelangen, wird der Staat auch weiterhin großzügige Unterstützung gewähren.

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Nicht zu unterschätzen ist das Wohlwollen der Wirtschaftspolitik, das allgemeine Reallohnniveau anzuheben und die ultralockere Geldpolitik möglichst lange aufrechtzuerhalten. Das Wohnungsbauprogramm für Familien (CSOK) hat bis Ende 2019 Zuwendungen von deutlich über 350 Mrd. Forint generiert, die rund 125.000 Familien zugutekamen. Das Programm wurde seit Anfang 2016 ständig ausgeweitet und enthält neuerdings eine spezielle Förderung für junge Familien mit Bauabsichten auf dem Lande. Die Aufnahme neuer Wohnungskredite erhöhte sich im vergangenen Jahr auf 900 Mrd. Forint. Diese Entwicklung wird von einer aktuellen Erhebung des Wirtschaftsforschungsinstituts GKI flankiert, wonach die Bereitschaft zum Bau oder Kauf von Wohnimmobilien heute endlich wieder das hohe Niveau aus der Zeit vor der großen Krise erreicht hat.


Preisspirale in Gang gesetzt

Diese positive Sichtweise konterte Notenbankpräsident György Matolcsy auf die ihm eigene provokative Art, als er im Januar einen Artikel mit der These verfasste, die aktuelle Lage am Immobilienmarkt und die von der Regierung verfolgte Wohnungspolitik seien nicht aufrechtzuerhalten. Der Mann, dessen Wirtschaftsministerium einst das erste große Wohnungsbauförderprogramm im neuen Jahrtausend ersann, meinte nun erkannt zu haben, die seit 2014 geltenden Leitlinien in der Wohnungspolitik hätten extrem einseitig die Nachfrage gestärkt, ohne das Angebot auszuweiten. Warum ihn das als obersten Währungshüter stören muss? Es wurde eine Preisspirale in Gang gesetzt, was binnen fünf Jahren zu einer Verdopplung der Wohnungspreise in Ungarn und sogar zu ihrer Verdreifachung in der Hauptstadt führte.

Auf die katastrophalen „Nebenwirkungen“ des CSOK-Förderprogramms hatte die Budapester Zeitung freilich schon Anfang 2017 hingewiesen: Bereits die bizarre Entwicklung am Markt im ersten Jahr des Konjunkturprogramms verdeutlichte, dass die Familien selbst im Falle der Höchstförderstufe von 10 Mio. Forint kaum Vorteile erzielen konnten. Die zur Unterstützung der Familien gedachten Steuergelder teilten sich eher die Marktakteure untereinander auf. Zumal die zehn Millionen vor allem Propagandazwecken dienten; in der Realität wurden den Antragstellern im Durchschnitt zweieinhalb Millionen Forint bewilligt – damit aber war das CSOK in Budapest ein totgeborenes Kind.


Vier Monatslöhne für einen Quadratmeter

Matolcsy beklagt nun – einige Jahre verspätet – den tragischen Umstand, dass ein Median-Einkommen nach aktuellem Stand 15 Jahre lang aufgehäuft werden müsste, um den Kaufpreis einer Wohnung mit 90 Quadratmetern aufbringen zu können. „Das Scheitern der Wohnungspolitik steht außer Frage“, resümiert der Notenbankchef. Wie der Neuanfang aussehen soll, weiß er natürlich auch nicht wirklich. Die Zahl der Baugenehmigungen ist jedenfalls längst wieder rückläufig. In diesem Umfeld müsste die Wirtschaftspolitik den Akteuren neue Impulse vermitteln, um die Baulust anzufachen.

Das EBI-Barometer für die Aktivitäten des Bausektors (also den kompletten Hoch- und Tiefbau) wies für das Jahr 2019 den Start von Projekten im Gesamtvolumen von weniger als 2.200 Mrd. Forint aus – damit fiel die Aktivität des Sektors gegenüber 2018 um nahezu ein Viertel zurück! Die Experten von der Hypothekenbank der OTP rechnen für 2020 nur noch mit 16.000 Neubauwohnungen, für 2021 und 2022 gar nur mit 12.-13.000 Wohnungen, die pro Jahr übergeben werden. Der Preisanstieg dürfte sich derweil verhalten fortsetzen: In diesem Jahr soll der Quadratmeter in einer bezugsfertigen Wohnung in Budapest im Durchschnitt 860.000 Forint kosten, ein Jahr später dann 960.000 Forint.

Der durchschnittliche monatliche Nettolohn lag im vergangenen Jahr bei 250.000 Forint. Wer das Kunststück vollbringt, vier komplette Monatslöhne im Jahr anzusparen, könnte somit immerhin einen Quadratmeter in einer Neubauwohnung finanzieren. Nach den von Matolcsy erwähnten 15 Jahren würde es für ein Zimmer reichen, und es bräuchte ein Arbeitsleben, um sich eine kleine Wohnung zu leisten. Diese Sichtweise mag sehr simpel erscheinen. Dennoch hilft sie, die Augen zu öffnen, warum Ungarns Wohnungsmarkt Welten von den so sehnlich erhofften vierzigtausend Neubauten im Jahr trennen.

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