Renata Dömsödi ist das Paradebeispiel für Willenskraft. Erst mit Mitte zwanzig beschloss sie, Profiboxerin zu werden und setzte diesen Plan unaufhaltsam in die Tat um. Ihren letzten Weltmeistertitel errang sie 2015 im Federgewicht, doch ein Autounfall und die davon verbleibenden Schäden ließen sie die Handschuhe zumindest als aktive Kämpferin an den Nagel hängen. Seitdem konzentriert sie sich aufs Trainieren anderer und schenkt dabei nicht nur dem Körperlichen Aufmerksamkeit.


Klienten brachten neue Richtung

„Ich habe schon vor meinem Autounfall als Trainerin gearbeitet, aber als ich aus dem aktiven Wettkampfleben ausgestiegen bin, habe ich mich komplett darauf konzentriert.“ Schnell kristallisierte sich ein bestimmter Schlag an Menschen heraus, die zu Renata zum Training kamen: „Immer mehr Kinder und Jugendliche kamen, die durch Boxen und Sport ihre Seele entlasten und einfach Dampf ablassen wollten.“ So entwickelte sich das Boxtraining immer mehr zur Boxtherapie und Renata trug dem Rechnung: „Einerseits bin ich zurück an die Uni, um mich fortzubilden, was Anatomie, Heilung und Prophylaxe angeht. Andererseits habe ich angefangen, mich massiv teils autodidaktisch, aber auch viel in Kooperation mit meinem eigenen Sportpsychologen mit den seelischen Aspekten des Sports zu beschäftigen und wie Sport der Psyche helfen kann.”

Das wohl am leichtesten nachzuvollziehende Beispiel in der Boxtherapie sind Schläge: „Hier in Ungarn sagt man, wenn du wütend bist, schmeiß ein Glas an die Wand. Tatsächlich ist mittlerweile untersucht und bewiesen, dass dies eine entspannende Wirkung hat. Nun lässt sich dieses Gefühl der Entspannung auch mit Schlägen reproduzieren und genau darauf baue ich.“


Die richtige Sportart finden

Doch warum haben Sport und Boxen allgemein eine heilende Wirkung? „Zuallererst ist wichtig, die richtige Sportart zu finden. Wer beispielsweise sehr verkopft ist und fortlaufend über fünf Dinge parallel nachdenkt, für den wird Laufen nie die befreiende, den Geist entspannende Wirkung haben, weil man während des Laufens noch hervorragend nachdenken kann.“ Viel eher empfiehlt die erfahrene Trainerin derartigen Menschen solche Bewegungen, die sie auch geistig fordern: „Wichtig ist, dass auch der Kopf beschäftigt ist, dass beispielsweise Wiederholungen gezählt werden müssen und Bewegungsabläufe wiederholt werden müssen, die ungewohnt sind und deswegen ein bestimmtes Maß an Aufmerksamkeit benötigen.“ Dies könne von Übungen mit Gewichten über sogenanntes Eigengewicht-Training fast alles sein, hier spielt vor allem die persönliche Präferenz und das gewünschte Ziel eine Rolle.

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Wer hingegen vor allem mental und seelisch erschöpft ist, dem tun repetitive Aufgaben gut, die man quasi mit leerem Kopf machen kann, „Aufgaben, die körperlich anstrengen, geistig aber entspannen“.

Hier kommt dem Trainer eine wichtige Rolle zu, denn oft ist man selbst sein größter Feind, wenn es um Sport geht: „Am wichtigsten ist es, einfach anzufangen. Denn Ausreden dafür, warum man keinen Sport machen kann oder keine Zeit hat, sind wie Zähne: Jeder hat etliche.“ Hat man diese Hürde genommen und seinen Weg ins Fitnessstudio oder den Boxclub gefunden, übernimmt am besten ein erfahrener Coach das Kommando: „Gutes Training bedeutet, dass man während der Einheiten an nichts anderes denken kann, als was man dem Coach alles antun will und dann beim Duschen später feststellt, wie gut man sich eigentlich fühlt”, erklärt Renata mit frechem Grinsen.

Sie weiß, ein guter Trainer ist dafür da, um seine Kunden bis an seine Grenzen und ein minimales Stück darüber hinaus zu führen, „aber man muss extrem vorsichtig sein, denn Grenzüberschreitungen bergen immer auch Verletzungsrisiken in sich, deswegen ist es wichtig, dass du als Trainer weißt, wo der Punkt ist, bis zu dem du gehen kannst.“ Dass Renata diesen Punkt bei ihren Klienten gut trifft, zeigt die Vielfalt an Menschen, die Im „You Can Fight Club“ trainieren. Neben einer Paralympionikin und mehreren Kunden mit teils schweren körperlichen Beeinträchtigungen, sind es auch ganz durchschnittliche Otto Normalverbraucher, die sich von und mit Renata in Form bringen (lassen).


Bewegung, die nicht nur dem Körper hilft

Doch warum ist Sport auch für die mentale Gesundheit wichtig? „Jeder kennt wohl das Gefühl, wenn man körperlich wohltuend erschöpft ist, wie viel Ruhe das auch für den Geist bedeutet. Dies ist jedoch nur ein Teil der Gleichung. Wichtiger ist vielleicht noch das Erfolgsgefühl etwas geschafft zu haben.“ Hier ist es doch enorm wichtig, dass der Trainer seine Kunden und deren Belastungsgrenze kennt, „denn es gibt nichts frustrierenderes, als beim Sport gesetzte Ziele nicht zu erreichen“. Doch auch wer allein trainiert, sollte sich stets darum bemühen, sich Ziele zu setzen, die nicht einfach, aber doch zu erreichen sind.

Neben langfristigen Wirkungen hat der Sport auch kurzfristig positive Effekte. Renata erinnert sich besonders an einen Fall: „Ein junger Familienvater trainierte seit einiger Zeit bei mir und rief mich an, dass ihm ein wahnsinnig wichtiges, seine Karriere entscheidendes Meeting bevorsteht und dass er gern vorher trainieren würde und sich von mir auch geistig fit machen lassen wolle.“ Gesagt, getan, der junge Mann kam, trainierte und trat sein Meeting an. „Er meldete sich ein paar Tage später und sagte mir, seine Chefs wären vollkommen überrascht gewesen, da sie an ihm ganz neue, ungeahnte positive Seiten entdeckt hatten.“ Eine beachtliche Beförderung war das Ergebnis. „Wir haben uns an dem Morgen vor allem darauf konzentriert, ihn mental zu stärken und das ist uns, so glaube ich, auch ganz gut gelungen“.

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„Wichtig ist, dass auch der Kopf beschäftigt ist.“
Training ist nicht gleich Training, betont Renata: „Wichtig ist, dass eine Trainingseinheit immer mit Erwärmung begonnen und mit Stretching abgeschlossen wird. Wer diese Schritte auslässt, der trainiert nicht richtig.“ Einerseits sei es wichtig, den Körper auf die bevorstehende Belastung vorzubereiten und auch mental bereit für die anstehenden Aufgaben zu sein. Andererseits müssen Muskeln nach starker Belastung gedehnt werden, da sie sich während des Trainings verkürzen: „Viele Leute halten das Stretching am Ende für überflüssig, dabei ist nur ein gut gedehnter, lockerer Muskel gut belastbar und auch gleichzeitig viel weniger anfällig für Verletzungen.“ Eine komplette Trainingseinheit dauert nach Ansicht Renatas nicht weniger als anderthalb Stunden, „alles, was drunter ist, ist kein ernstzunehmendes Work-out.“


Bewegen, egal wie!

„Eines ist wirklich wichtig zu sagen: je schlechter der physische Zustand ist, umso wichtiger ist Bewegung!“ Renata verweist auf die Medizin: „In den 60er Jahren hieß es nach einer Bänder-OP ab ins Bett mit Liegegips und ruhen. Heute jedoch weiß man, der Körper heilt dann am besten, wenn er fortlaufend bewegt wird.” Deswegen vertritt sie streng die Meinung, wer der Ansicht ist, er ist zu schwach, zu verletzungsanfällig oder zu erschöpft für Sport, der sollte am aller ehesten trainieren: „Wenn du Probleme hast, aus dem Sessel hochzukommen und deswegen der Meinung bist, dass du nicht trainieren kannst, dann ist das genau das Hauptargument für Sport!“ Erneut ist hier die Rolle des Trainers nicht zu unterschätzen, denn wer mit körperlichen Leiden kämpft, der bedarf besonderer Übungen und fachlicher Anleitung, um das Verletzungsrisiko zu minimieren. Dass aber selbst schwere Krankheiten keine Ausreden sind, beweist Renatas neuester Kunde: „Ich habe einen Parkinsonpatienten heute das erste Mal trainiert und musste extrem Acht geben auf jede Bewegung, jeden Atemzug, um zu wissen, was geht noch, was nicht.“ Doch das gute Gefühl einer erfolgreichen Trainingseinheit – so hat sich auch hier bewiesen – ist wirklich für jeden zum Greifen nah.


Renata Dömsödi spricht fließend Englisch, trainiert werden kann im You Can Fight Club mit ungarischer oder englischer Unterstützung


You Can Fight Club

XI. Budapest, Kruspér utca 3

Konversation

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