Die ungarische Wirtschaft ist im IV. Quartal noch immer um viereinhalb Prozent und im Gesamtjahr 2019 um knapp fünf Prozent gewachsen, teilte das Zentralamt für Statistik (KSH) in einer ersten Schätzung am Freitag mit. Gegenüber dem III. Quartal legte das BIP am Jahresende um ein Prozent zu. „Noch nie hat es ein vergleichbares Wachstum über drei Jahre hinweg wie zwischen 2017 und 2019 gegeben“, kommentierte Finanzminister Mihály Varga die starken Zahlen. Seit Anfang 2017 lag die Jahreskonjunktur in jedem einzelnen Quartal saisonal und nach Kalendertagen bereinigt über vier Prozent; den absoluten Gipfel erreichte das Wachstum im Herbst 2018 mit bereinigten fünfeinhalb Prozent.


Wenn China bremst…

Ungarns Wirtschaft habe bislang dem internationalen Abschwung standgehalten, fügte der Minister hinzu. Das machte er hauptsächlich an dem Umstand fest, dass die Abhängigkeit der ungarischen Wirtschaft von internationalen Prozessen deutlich gesunken sei. Die Konjunkturlokomotive Investitionen wurde durch Kapazitätsausweitungen der Großunternehmen, eine zielgerichtete Verwendung der EU-Fördermittel und die verschiedenen Programme zur Stimulierung des Wohnungsbaus angeheizt. Die dauerhaft stabilere Einkommenslage der privaten Haushalte und die soliden Arbeitsmarktzahlen (mit einer Beschäftigungsquote oberhalb von 70 Prozent und einer auf dreieinhalb Prozent gesunkenen Erwerbslosenquote) stärkten den Privatverbrauch, unterstrich Varga.

Die Notwendigkeit der (dabei noch immer ausstehenden konkreten) Maßnahmen eines neuen Aktionsplans zum Schutz der Wirtschaft begründete der Finanzminister mit dem Hinweis, das Wachstumstempo mindestens zwei Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt zu halten. Das sollte auch 2020 machbar sein, selbst wenn Mihály Varga noch am Freitag die offizielle Wachstumsprognose der Regierung für dieses Jahr deftig von vier auf dreieinhalb Prozent kappte. Nach den überraschend robusten Zahlen für das vierte Quartal und somit für das Gesamtjahr 2019 bedeutete dies die nächste – dieses Mal kaum positive – Überraschung binnen weniger Stunden. Hauptgrund sei das Coronavirus, das sich auf den Tourismus und die globalen Wertschöpfungsketten auswirke. „Wenn China bremst, wird das die ganze Welt zu spüren bekommen“, sagte der Finanzminister, der weiterhin einräumte, die hohe Inflation von 4,7 Prozent im Januar habe die Regierung überrascht. Unbestimmt bleiben die Auswirkungen des Brexit, und auch die globalen Schuldenberge geben Anlass zur Sorge.


Positiver Ausblick

Die eigenen Staatsschulden hat Ungarn unterdessen im abgelaufenen Jahr so intensiv wie lange nicht senken können. Die Ungarische Nationalbank (MNB) setzt die Summe mit Stand Jahresende 2019 auf gut 31.000 Mrd. Forint an. Das sind noch zwei Drittel des vorläufig auf 46.750 Mrd. Forint geschätzten BIP und somit anteilig nahezu vier Prozentpunkte weniger, als Ende 2018 gemessen wurden. Das in Europa herausragende BIP-Wachstum und der seit einigen Jahren an Fahrt aufnehmende Schuldenabbau legten die Basis für die dritte Überraschung, die der vergangene Freitag bereithalten sollte: Am Abend wurde die Einstufung der ungarischen Kreditwürdigkeit zwar nicht grundsätzlich angehoben, aber immerhin von der führenden Ratingagentur Standard & Poor´s mit einem positiven Ausblick versehen.

Damit besitzt Ungarn die Chance, bei der ersten der großen Bonitätsfirmen binnen zwei Jahren von einer durchschnittlich guten zu einer sicheren Anlage aufgewertet zu werden. Allerdings verdeutlichte die ebenfalls am Freitag veröffentlichte Überprüfung durch Fitch Ratings, wie weit der Weg bis dahin noch werden kann. Während Ungarn aktuell darauf setzt, die Schuldenrate bis Ende 2021 unter den Maastricht-Schwellenwert von 60 Prozent am BIP zu drücken, bewegt sich der Median-Wert der mit Ungarn vergleichbaren Länder um 40 Prozent.


Brüchiges Gleichgewicht?

Schließlich stellt der Forint ein Handicap bei der Anlageplanung dar, sofern man nicht auf spekulative Geschäfte aus ist. Unter den Visegrád-Staaten (V4) gilt die Slowakei schon allein wegen ihrer Mitgliedschaft im Euroraum als sicherer Hafen. Nur die Polen verbreiten mit ihrem Zloty ähnliche Unsicherheiten wie die Ungarn mit ihrem Forint, denn die Tschechen sind weitaus wettbewerbsfähiger, weshalb sie sich eine starke Krone und eine strenge monetäre Politik leisten können. Nicht von ungefähr erklärte Mihály Varga auch am Freitag wieder: „Wir brauchen einen stabilen und berechenbaren Forint.“

Keinesfalls nur wegen der in Devisen zu tilgenden Schulden, die in der Zwischenzeit unter ein Fünftel der Staatsschulden gesunken sind. Nach dem Inflationsschock vom Januar wird wieder das Schreckgespenst vom brüchigen Gleichgewicht an die Wand gemalt. So kommt es, dass die Orbán-Regierung wohl zum ersten Mal überhaupt weniger zuversichtlich ob des zu erwartenden Wirtschaftswachstums ist, als die Marktanalysten.

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