Die Russin mit den wilden Dreadlocks stammt aus Bogorodsk, einer kleinen Stadt rund 500 km von der Hauptstadt Moskau entfernt, „in russischen Relationen also gleich um die Ecke“ fügt sie lachend hinzu. Viel gereist ist sie schon immer, „aber ich hätte nie in einem anderen Land leben wollen“.


„Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl Ihm von deinen Plänen“

Doch alles kam ganz anders, als Ksenia ihren damaligen Freund und späteren Ehemann Róbert, einen Ungarn, kennenlernte. „Nein, ich wollte wirklich nicht umziehen. Aber wie heißt es bei uns in Russland: ‚Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl Ihm von deinen Plänen‘.“ Gemeinsam zog das Paar für zwei Jahre nach Florida, „aber schnell vermissten wir Alma Mater Europa“ und so kehrte die junge Familie – mittlerweile nicht mehr nur zu zweit – in Róberts Heimat zurück.

Ksenia lebt gern in Budapest, auch wenn das Glück nicht immer ungetrübt ist: „Mein Verhältnis zur Stadt ist seltsam. Einerseits, weil ich seit drei Jahren hier lebe, aber noch immer die Sprache nicht spreche. Ich fühle mich deswegen oft, als würde ich in einer Blase leben.“ Es ist nicht leicht für sie, sich als Budapesterin zu fühlen. Ksenia nennt ein Beispiel, an dem es für sie besonders deutlich wird, dass sie weiterhin „nur zu Gast“ ist: „Es gibt Designshops in der Stadt, die meine Töpfereien nicht verkaufen wollen, weil ich keine Ungarin bin.“ Diese Form des Nationalismus ist für die gebürtige Russin schwer nachvollziehbar: „Ich komme aus Russland, wir haben in den USA gelebt. Ich glaube fast, je kleiner ein Land, umso stärker ausgeprägt ist der Nationalismus, denn weder in meiner Heimat noch den USA ist mir so etwas begegnet. Je größer ein Land, umso vielfältiger ist es.”


„Budapest ist eine Stadt für Familien“

Doch die Stadt an sich gefällt ihr sehr: „Ich liebe die Donau und diesen verrückten Mix der Stadt aus Jugendstil und Bauhaus in der Architektur.“ Auch die Größe der Donaumetropole ist laut Ksenia genau richtig: „Wir haben zwei Kinder und kein Auto. Wir verlassen uns allein auf Rad und öffentlichen Nahverkehr und sind damit vollkommen gut bedient.“

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Besonders wichtig ist ihr auch, dass Budapest definitiv eine Stadt für Familien ist: „Ich habe das Gefühl, meine Kinder sind glücklich und es gibt immer etwas Spannendes zu tun oder zu entdecken hier.”

Ihr ambivalentes Verhältnis zur ungarischen Hauptstadt beschreibt sie bildlich: „Budapest ist wie ein wunderschönes Kartenhaus mit jeder Menge Problemen im Inneren. Die Menschen hier leben in einer wunderschönen Kulisse, mitten in luxuriösen Dekorationen und sind doch traurig im Inneren.“ Wohl auch deswegen hat sie Verständnis für die vielen jungen, gut ausgebildeten Menschen, die das Land verlassen haben, „aber es gibt auch die, die geblieben sind und die versuchen, etwas zu verändern. Ich respektiere diese Menschen sehr!“


Aus dem Luftschutzbunker in den Küchenschrank

Ksenia verbringt ihre Tage zumeist unterirdisch, denn ihre Töpferwerkstatt befindet sich im Luftschutzbunker eines 100jährigen Wohnhauses in der Budapester Innenstadt. Die Liebe zum Töpfern reicht in ihrer Familie gar noch weiter zurück, als das Gebäude alt ist: „Als ich 17 war, fing ich an, als Journalistin zu arbeiten. Später war ich sogar Chefredakteurin meiner Lokalzeitung. Mit 26 wollte ich eine Art Familienstammbaum erstellen.“ Sie wusste zwar, dass ihr Urgroßvater Konstantin Zhukov als Töpfer gearbeitet hatte, neu jedoch war ihr, dass sowohl dessen Vater als auch Großvater ebenfalls diesem Beruf nachgegangen waren.

„Und sie alle haben in der ‚Töpferstraße‘ gelebt” erklärt Ksenia. Damals war die Straße jedoch noch unter einem anderen Namen bekannt: „Das Ende der Hölle”. „Töpfern war damals wirklich höllisch. Der Lehm musste ausgegraben werden. Die Arbeit lief an einer Töpferscheibe, die mit Muskelkraft angetrieben werden musste. Nebenbei musste das Feuer im Brennofen am Lodern gehalten werden. Es war hart, heiß und anstrengend.”

Doch der letzte ihrer töpfernden Vorfahren war bereits gestorben als Ksenia zur Welt kam. Als sie dann mit 26 begann, Artikel zu ihrem Großvater zu suchen, grub sie sich wortwörtlich immer tiefer in das Thema ein und stieß auf einen Schüler ihres Urgroßvaters, der tatsächlich noch lebte: „Er war so alt, er konnte kaum noch sprechen, doch er hatte ebenfalls einen Schüler, der sogar noch aktiv war und mit ihm nahm ich dann Kontakt auf.“

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Doch das eigentliche Wunder für Ksenia war, dass der Schüler, Sergey Zarubin, an einer Drehscheibe arbeitete, die von ihrem Großvater entworfen und nach ihm benannt worden war, eine echte „Zhukov“. Ksenia erinnert sich: „Ich war vollkommen fasziniert und wollte die Zhukov ausprobieren, was mir Sergey auch gestattete.“ Und ab diesem Moment veränderte sich Ksenias Leben, denn von nun an wollte sie nichts als Töpfern.

Eine Erfahrung für alle Sinne

„Töpfern ist wie Sex, kein Scherz!“ Neben allen Sinnen des Körpers werden auch alle Elemente der Erde einbezogen, für Ksenia macht das den Reiz dieser sinnlichen Arbeit Tag für Tag aus: „Die Spiritualität der Arbeit und die Erdung, die man erfährt sind einmalig.“ Der Werkstoff Ton bietet Ksenia zudem die Möglichkeit, sich selbst und ihre Kreativität in unterschiedlichsten Formen zum Ausdruck zu bringen, von Skulpturen über Tischware, Schmuck, Dekorgegenstände, alles lässt sich aus dem Erdmaterial schaffen. „Was ich außerdem sehr mag ist, dass ich mich dank des Töpferns fortlaufend weiterbilde. Erst vor Kurzem begann sie, ihre eigenen Glasuren herzustellen und beschäftigt sich nun deswegen auch viel mit Chemie.

Ob es ihr geholfen hätte aus einer Töpferdynastie zu kommen? „Wohl weit weniger als die Tatsache, dass ich einfach dickköpfig bin.“ Oft würde ihr gesagt, sie hätte das Töpfern ja sicher im Blut, „aber die Wahrheit ist, ich war nicht wirklich eine begabte Schülerin in diesem Bereich. Aber ich wollte dieses Handwerk erlernen und die Geschichte meiner Familie hat sicher zu meiner Entschlossenheit beigetragen.“

Ihre erste selbstgemachte Vase brachte sie denn auch ans Grab ihres Urgroßvaters, „obwohl meine Arbeit damals noch sehr tolpatschig war.” Seitdem hat sich ihr Schaffen jedoch entwickelt. Heute töpfert sie vor allem Alltagsgeschirr und Dekogegenstände.

„Ich mag die Herausforderung von Alltagsgeschirr. Es muss sicher, zuverlässig, ergonomisch, und leicht zu stapeln sein. Daneben aber auch praktisch und gleichzeitig ästhetisch ansprechend.” Sicherheit steht bei Ksenia nicht umsonst an erster Stelle, denn als Macherin sieht sie es als ihre Verantwortung, dass ihr Geschirr gefahrlos genutzt werden kann. „Deswegen werden auch alle meine Glasuren im Labor auf ihre Verträglichkeit getestet.” Ergonomisch hat sie den Dreh mittlerweile raus, nur rund zehn bis 15 Proben braucht es, bis sie die optimale Form für ein neues Gefäß gefunden hat, „aber einmal habe ich rund 100 Tassen gemacht, um den perfekten Henkel zu entwickeln. Das hat mich rund zwei Monate gekostet.“

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Im Design bevorzugt Ksenia unaufgeregte Erdtöne, ihre Gefäße strahlen wohl auch deswegen eine ureigene Ruhe aus. Viel Inspiration schöpft sie aus der Natur und dem ästhetischen Konzept Wabi-Sabi, welches die Schönheit der Imperfektion zelebriert. So sind Ksenias Gefäße vielleicht nicht perfekt im Sinne von Maßband und Lineal, aber ebenso perfekt wie Budapest mit all seinen Ecken und Kanten wohl für die meisten ihrer Bewohner – so auch die russische Töpferin.
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