Am 3. Februar tritt die politische Versammlung der Europäischen Volkspartei (EVP) in Brüssel zusammen. Der EVP-Vorsitzende Donald Tusk will sich dort nach eigenem Bekunden dazu äußern, was mit der Mitgliedschaft der ungarischen Regierungspartei Fidesz geschehen soll. Offenbar ist das aber bereits geschehen: Am Mittwoch wurde bekannt, dass bei einem Treffen Tusks mit EVP-Abgeordneten eine Verlängerung der seit fast einem Jahr bestehenden „Suspension“ als die beste Lösung angesehen wurde, da sich „in Budapest nichts geändert“ habe.


Keine Entscheidung vor März

Nach Aussagen von Fidesz-Vizepräsidentin Katalin Novák, die federführend für die diesbezüglichen Gespräche mit der EVP zuständig ist, steht das Thema weder auf der Tagesordnung des Treffens am 3. Februar, noch werde es eine Abstimmung darüber geben. Das sagte sie in einem Interview mit dem TV-Sender ATV. Insofern ist eine Entscheidung frühestens im März vor dem nächsten EU-Gipfel zu erwarten. Denkbar ist dabei die Setzung einer Frist, bis zu der Fidesz konkrete Forderungen erfüllen soll. Zuvorderst wäre das wohl die Forderung, die US-akkreditierten Studiengänge der Central European University (CEU) wieder nach Budapest zu holen.

Die EVP-Mitgliedschaft des Fidesz ist seit dem vergangenen März „suspendiert“. Ein Ausschuss von „Drei Weisen“ war damals damit beauftragt worden, zu untersuchen, ob die Politik des Fidesz noch mit „christdemokratischen Werten“ kompatibel sei. Zugleich stellte auch die ungarische Seite einen solchen dreiköpfigen Ausschuss auf, um ebenfalls zu prüfen, ob die EVP überhaupt noch christdemokratische Werte vertrete, oder inhaltlich überwiegend bereits linksliberal geworden sei. Frau Novák hat dazu öffentlich gesagt, es gebe EVP-Mitglieder, die inhaltlich so wenig christdemokratisch seien, dass sie sich wundere, wieso sie überhaupt noch bei der EVP seien und nicht bei den Sozialdemokraten, Grünen oder Liberalen.

Eine Lösung ist nicht wirklich in Sicht. Aus ungarischen Regierungskreisen ist zu hören, es gebe in der EVP keine Mehrheit für eine volle Rehabilitierung des Fidesz (also dessen Verbleib als volles Mitglied), selbst dann nicht, wenn die einflussreichen deutschen Unionsparteien sich hinter Orbán stellen sollen – was sie bisher nicht tun. Das bedeutet, dass das Beste, was der Fidesz erwarten darf, ist eine langfristige Suspension ohne Stimmrechte. Frau Novák hat dazu gesagt, dass das für Fidesz keine annehmbare Option sei und dass man so oder so zu einem Ende kommen müsse.


Die Folgen eines EVP-Austritts

In der Politik ist vieles möglich, aber nach derzeitigem Stand der Dinge scheint die logische Schlussfolgerung aus all dem zu sein, dass der Fidesz früher oder später selbst die EVP verlässt. Was aber dann? Was wären die Folgen für Ungarn, den Fidesz und die EVP?

Am leichtesten lässt sich das für die EVP sagen. Der Fidesz hat 12 und die mit dem Fidesz verbündete KDNP einen Abgeordneten in der EVP-Fraktion. Die KDNP hat wissen lassen, dass sie in der EVP bleiben würde. Diese würde also die 12 Fidesz-Abgeordneten verlieren. Zugleich aber gewinnt sie durch die Neuordnung der Sitze nach dem Brexit fünf Sitze dazu. Das macht auf den ersten Blick einen fast irrelevanten Verlust von sieben Mandaten aus, die EVP hätten in der neuen Sitzordnung damit noch 175 Mandate und wäre immer noch die bei weitem stärkste Fraktion, vor den Sozialdemokraten (148 in der neuen Sitzordnung).

Allerdings könnten auch die zwei Abgeordneten der RMDSZ mit dem Fidesz die EVP verlassen, ebenso die drei Abgeordneten der slowenischen SDS. Und eventuell noch andere, mit Ungarns Ministerpräsident sympathisierende Parteien – aber nur dann, wenn das im Triumph gelingen kann, nicht in Schmach.

Die Voraussetzung dafür wäre die Entstehung einer neuen Fraktion im Europaparlament mit Kräften, die rechts vom EVP-Mainstream stehen, aber nicht als rechtsextrem gelten können. Genau das hatte Orbán auf einer Pressekonferenz in Budapest am 9. Januar angedeutet. Es werde dann, sagte er, eine neue „christdemokratische Initiative“ in Europa geben müssen, für all jene Christdemokraten, die inhaltlich von der EVP im Stich gelassen worden seien.

Frau Novák gab ein paar Anhaltspunkte, wie eine solche neue EP-Fraktion aussehen könnte. Auf keinen Fall, sagte sie, werde der Fidesz der rechten Fraktion “Identität und Demokratie” (ID) beitreten, deren stärkste Kraft die italienische „Lega“ von Matteo Salvini ist. Und auf keinen Fall werde der Fidesz in einer Fraktion sitzen mit der deutschen AfD (ebenfalls ID). Auch ein einfacher Beitritt zur Fraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR) kommt wohl nicht in Frage. Wohl aber erwähnte Frau Novák die Option einer Fraktion „auf der Basis der EKR“, und dass Salvinis Lega „derzeit“ zur ID gehöre. Das klang fast so, als könne sich das ändern.


Eine Katastrophe für die EVP – keine für den Fidesz

Damit zeichnet sich das Bild einer neuen, erweiterten, christdemokratischen, konservativen Reformfraktion im Europaparlament ab. Das wäre eine Katastrophe für die EVP. Erstmals müsste sie Konkurrenz fürchten um den Markenkern „Christdemokratie“. Je nachdem wie erfolgreich sich das Experiment entwickelt, könnte sie zudem deutlich mehr Parteien an die neue Fraktion verlieren als nur den Fidesz. Und jene die blieben, wären tatsächlich kaum noch zu unterscheiden von den Liberalen, Grünen oder Sozialdemokraten. Zudem hätte die EVP damit die Brücken zum immer einflussreicheren Visegrád-Block (V4) abgebrochen. Keine einzige Regierungspartei der V4 wäre mehr EVP-Mitglied.

Wann wäre eine solche Rochade für den Fidesz ein politischer Erfolg, wann eine Schmach? Eine Schmach wäre es, Zuflucht in einer relativ kleinen Fraktion zu suchen, die im öffentlichen Diskurs leicht als „radikal rechts“ gebrandmarkt werden kann. Ein Erfolg wäre es dann, wenn die neue Fraktion deutlich mehr als 100 Mandate hätte und zur drittgrößten Gruppierung im Europaparlament avancieren würde – vor den Liberalen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und neben einer schwer erschütterten EVP. Die beiden derzeitigen konservativen bis rechten Fraktionen, die ID und die EKR, werden nach der neuen Sitzverteilung (also nach dem Brexit) 138 Mandate zählen. Dazu gehören aber auch Parteien, mit denen Fidesz auf keinen Fall zusammen gesehen werden will, wie die AfD (elf Abgeordnete).

Abgesehen davon, wie sich die Kräfteverhältnisse im Europaparlament verändern würden, wäre ein EVP-Austritt keine Katastrophe für den Fidesz. Der größte Nachteil wäre, nicht mehr mit am Tisch zu sitzen mit den großen, christdemokratisch geführten Ländern, allen voran Deutschland. Die EVP stellt derzeit die Ministerpräsidenten von elf EU-Ländern (mit Ungarn).


Weg vom Katzentisch der EVP

Der große Vorteil: der Fidesz und Orbán wären nicht mehr am Katzentisch der EVP marginalisiert, sondern hätten wieder mehr Spielraum für eine schlagkräftige Europapolitik. Orbáns Rückhalt wären nicht mehr die EVP und letztlich die deutsche CDU, sondern der Visegrád-Block, wo er sich sowieso viel mehr Zuhause fühlt.

Ungarn wäre immer noch Teil der EU, Orbán immer noch an der Macht, und das Land wäre immer noch ein unabdingbarer wirtschaftlicher und auch politischer Partner auf der europäischen Bühne. Vergleichbar mit Polen, dessen Gewicht in keiner Weise dadurch abgenommen hat, dass die Regierungspartei PiS nicht zur EVP gehört.

Unberührt von der Debatte um die EVP-Mitgliedschaft bleibt auch die neue Strategie sowohl der EU als auch Deutschlands, mehr auf die Visegrád-Länder zuzugehen. Das bedeutet mehr politische Zusammenarbeit, mehr wirtschaftliche Kooperation, unabhängig von jeglicher Fraktionszugehörigkeit der Regierungsparteien und unabhängig von den laufenden Artikel-7-Verfahren gegen Polen und Ungarn. Es wird in Zukunft mehr Kooperation mit den V4-Ländern auf deutscher wie auf europäischer Ebene geben. Die offenen Fragen um Rechtsstaatlichkeit, Migration und europäische Integration wird man dabei getrennt handhaben.


Keine Änderungen für deutsche Investoren

Es würde wahrscheinlich nicht weniger, sondern mehr persönliche politische Kontakte geben zwischen Deutschland und Ungarn – weil man sich nicht mehr im Rahmen der EVP-Treffen begegnen würde. Um das Beziehungsgeflecht zu pflegen, müßte es häufigerer Besuche deutscher Politiker in Ungarn und umgekehrt bedürfen.

Es würde auch zu einer Aufwertung informeller deutsch-ungarischer Begegnungsstätten kommen, wie die Konrad-Adenauer-Stiftung (oder die entsprechende ungarische Stiftung für ein Bürgerliches Ungarn) oder das Deutsch-Ungarische Jugendwerk.

Für deutsche Investoren würde sich vermutlich gar nichts ändern – so lange Deutschland bei dem derzeitigen Kurs bleibt, in der Wirtschaft größtmögliche Nähe zu suchen und auf der politischen Bühne offene Konfrontationen mit Orbán künftig zu meiden.

Ungarns Opposition würde natürlich versuchen, einen EVP-Austritt so darzustellen, als wäre es ein Austritt aus der EU und Orbán damit endgültig ein politischer Paria. Ob dies jedoch in der Innenpolitik Wirkung entfalten kann, ist freilich zweifelhaft.

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