Es war erst die zweite ihrer Art, aber die jährliche Pressekonferenz von Ministerpräsident Viktor Orbán zum Jahresbeginn kann schon als Tradition gelten. Es ist der eine Tag im Jahr, an dem Journalisten aus dem In- und Ausland fragen können, was sie wollen, zwei Stunden lang. Daneben twitterten sie pausenlos, was Orbán sagte. Das taten auch manche Politiker: Vor allem Kommunikationsstaatssekretär Zoltán Kovács und Familienstaatssekretärin Katalin Novák, die in den letzen anderthalb Jahren so etwas wie das internationale Gesicht des Fidesz geworden ist.


Orbán verspricht ruhigere Phase des „Aufbaus“

Wem die zwei Stunden im Januar zu wenig sind: Orbán ging diesmal auf die Kritik ein, er stelle sich den Medien zu selten zur Verfügung, und versprach, das künftig mehr zu tun.

Wie überhaupt eine ruhigere, konstruktivere Zeit in der Politik anbreche: Die vergangenen zwei Jahre, sagte er, seien „eine zu lange Wahlkampfperiode“ gewesen, mit Parlamentswahlen 2018, dann Europawahlen im Mai 2019 und den Kommunalwahlen im vergangenen Oktober.

Jetzt aber stünden zwei Jahre ohne Wahlen an. Eine ruhigere Phase des „Aufbaus“ beginne nun, sagte er. Und gab sich mild und kooperativ: Dem neuen Budapester Oberbürgermeister Gergely Karácsony stünden „100 Tage Schonzeit“ zu, betonte er. Karácsony stehe vor einer schweren Aufgabe, nämlich gleichzeitig sein Team aufzubauen, im Rahmen der Viel-Parteien-Koaltion, die ihn ins Amt trug, gemeinsame Positionen auszuarbeiten, und einen Haushalt zusammenzustellen. Das sei eine der kompliziertesten Aufgaben überhaupt in der Politik.

Der Sieg der Opposition in Budapest? Darüber solle man sich in einer Demokratie nicht wundern, sagte Orbán. Da siege nämlich mitunter der „bessere Kandidat“. Es sei mithin die Aufgabe des Fidesz, besser zu sein als die Opposition – die dasselbe versuche und natürlich potentiell auch bei Parlamentswahlen damit Erfolg haben könne.


Orbán: „Österreichs Kanzler Sebastian Kurz überrascht immer wieder“

Das war ein ausgesprochen demokratischer Ton, fair und offen. Noch aufgeschlossener wurde es, als Orbán auf eine Frage der Budapester Zeitung die Grünen und ihren Aufstieg in Österreich und Deutschland würdigte. „Österreichs Kanzler Sebastian Kurz überrascht immer wieder“, sagte dabei. „Erst hat er eine Koalition mit der FPÖ gewagt, und noch wichtiger, hat deren Zusammenbruch politisch überlebt“, und habe die Neuwahlen souverän gewonnen. Das sei schon für sich genommen ein Bravour-Stück gewesen. „Und nun wagt er eine Koalition mit den Grünen”, auch das erfordere Bravour. Diese „Dynamik“ des Kanzlers und sein „Mut“ seien „für uns inspirierend“, sagte Orbán, der Kurz eine der „maßgeblichen Figuren in der europäischen Politik“ nannte.

Es sei durchaus denkbar, sagte Orbán, dass „dieses Modell“ – eine Koalition von Christdemokraten und Grünen – nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen Ländern sowie „in Europa“ funktionieren könne. Auf die Frage der Budapester Zeitung, ob er sich auch in Ungarn eines Tages eine Koalition der jetzigen Regierungspartei Fidesz mit einer wie auch immer gearteten grünen Partei vorstellen könnte, antwortete er jedoch mit einem klaren „Nein“ – zumindest nicht unter seiner Führung.

„Es kann sein, das seine solche Kombination eines Tages auch für Ungarn nötig ist“, sagte er. „Aber das wäre dann nicht mit mir als Ministerpräsident.“


Orbán: „Grüne sind Wassermelonen“

Im Oktober hatte der sich selbst als „grün“ bezeichnende Oppositionspolitiker Gergely Karácsony (MSZP/Párbeszéd) mit Unterstützung aller Oppositionsparteien die Budapester Bürgermeisterwahl gewonnen und gilt als potentieller Herausforderer Orbáns bei den nächsten Parlamentswahlen. Die ungarischen Grünen seien jedoch „wie die Wassermelone“, sagte Orbán, „außen grün und innen rot“, also in ihrem Wesenskern links. Deswegen würde er selbst in Ungarn nie eine solche Koalition führen wollen.

Auf die Frage der Budapester Zeitung, wo er die Gründe für die Erfolge der Grünen vielerorts in Europa sehe, antwortete Orbán: „Die Welt ändert sich, und einen Teilaspekt davon – den Klimawandel – haben sie thematisch aufgegriffen.“ Ihr Erfolg käme nicht von ungefähr, und sei mit einem gleichzeitigen Versagen der Christdemokraten verbunden.

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In den nächsten Wochen wird sich Orbán entscheiden, wie es mit dem Verhältnis Fidesz-EVP weitergeht. (Foto: MTI / Zsolt Szigetváry)


Denn ein Grund für deren relativen Bedeutungsverlust in vielen Ländern Europas sei, dass sie auf diesem Gebiet keine eigene Sicht formuliert, sondern viele Positionen und Argumente der Grünen übernommen hätten. Umweltschutz als Schutz der Schöpfung sei ureigene christdemokratische Überzeugung, aber den Konservativen in Europa sei es nicht gelungen, das überzeugend in den Vordergrund ihrer Politik zu stellen.

Damit war bereits das Thema eines Verbleibs der ungarischen Regierungspartei Fidesz in der christdemokratischen Parteienfamilie EVP angeschnitten. Seine Mitgliedschaft dort ist suspendiert, „in den nächsten Wochen“, so Orbán, werde sich entscheiden wie es weitergeht. Nach wie vor sei er für einen Verbleib in der EVP – aber nur, wenn diese „zurückfindet zu einer christdemokratischen Politik, die die Grenzen und die Familien sowie die nationale Identität schützt“. Von diesen Prinzipien entferne sich die EVP aber immer mehr. Und deswegen verliere sie zunehmend an Rückhalt bei den Wählern, lasse „das ganze Feld christdemokratischer Themen“ unbestellt.


Orbán für neue Initiative für christdemokratische Politik

Orbán deutete an, der Fidesz werde im Falle eines Austritts nicht einfach einer anderen Fraktion beitreten – etwa die EKR, wo die polnische Regierungspartei PiS dominiert. Sondern „dann ist es nötig, eine neue Initiative für christdemokratische Politik ins Leben zu rufen“. Dafür suche er derzeit nach Verbündeten: „Ich komme gerade aus Warschau”.

Die italienische Zeitung La Republicca berichtete derweil von Gesprächen zwischen der polnischen Regierungspartei PiS, dem Fidesz und der rechtskonservativen italienischen „Lega“ von Matteo Salvini, um eine neue Fraktion im europäischen Parlament zu bilden.

Orbáns Worte auf der Pressekonferenz enthielten eine potentielle Drohung gegen die EVP: Ihr erwüchse damit nämlich Konkurrenz um ihren Markenkern „christdemokratische Werte“. Es ist eine Sache, den Fidesz auszuschließen, und dann sagen zu können, die Ungarn seien zu den „Rechtskonservativen“ – und eine ganz andere Problemlage, wenn statt dessen eine neue, dem Selbstverständnis nach „christdemokratische” Formation entsteht. Noch nie sah sich die EVP in der EU bislang einer anderen chrsitdemokratischen, mit ihr rivalisierenden Kraft gegenüber. Das kann die EVP noch starker schwächen als der Abgang von 15 Abgeordneten – so viele etwa würde sie mit einem Austritt des Fidesz verlieren.

Vor einer endgültigen Entscheidung wollte Orbán noch mit Kanzler Kurz sprechen, danach mit Annegret Kramp-Karrenbauer. Und mit EVP-Chef Donald Tusk – dafür gebe es aber noch keinen Termin.

Verbleib in der EVP oder Austritt und Bildung einer neuen Fraktion? Die EVP will möglicherweise bereits bei ihrem nächsten Treffen am 3. und 4. Februar entscheiden. Die Signale sind gemischt, aber eher negativ – auch die EVP-Reaktionen auf Orbáns Pressekonferenz.


Zerreißprobe für die EVP?

Mit seiner Bemerkung, die EVP müsse wieder zu ihren christdemokratischen Werten zurückfinden, verletzte er nämlich eine Auflage, die ihm hinter den Kulissen gemacht worden war: Er möge damit aufhören, die EVP nach rechts rücken zu wollen. Das zerreiße nämlich nicht nur die Parteienfamilie, sondern jede der darin enthaltenen Parteien. In jeder von ihnen sind Liberale und Konservative. Ein Ruck nach rechts (oder links) würde das zarte Gewebe zerreißen, das sie zusammenhält.

Manfred Weber, der nicht zuletzt wegen Orbán gescheiterte EVP-Spitzenkandidat bei den Europawahlen im vergangenen Mai und jetzige EVP-Fraktionschef, fand scharfe Worte: Man habe als Sieger der Europawahlen keine Belehrungen von Orbán Wahlergebnisse oder Demokratie nötig. Zuvor hatte er bereits gesagt, er hoffe, dass der Fidesz nicht in den Reihen der Christdemokraten bleibe.

Für den Fidesz schlug Familienstaatssekretärin Katalin Novák auf Twitter ebenso hart zurück: „Wir brauchen keine Lektion von Manfred Weber über Demokratie. In Ungarn belehren wir niemanden wegen einer Meinung. Ist das jetzt Usus in der EVP geworden?“

Das klang schon so, als sei das Tischtuch zerschnitten. Aber nur zwischen Weber und Orbán, oder zwischen den Parteiführungen? Frau Novák war wenige Tage später in Berlin, um dort für Unterstützung der Unionsparteien zu werben. „Wir sitzen nicht einfach herum und warten bis wir aus der EVP geschmissen werden“, sagte sie. Und: „Wir haben viel Vertrauen in unsere deutschen Verbündeten.“ Anders als Orbán sprach sie nicht (nur) von einer „Rückkehr“ der Volkspartei zu christdemokratischen Werten, sondern zurückhaltender davon, dass diese „nicht noch weiter nach links“ abdriften dürfe.

Das war klassische doppelte Kommunikation auf allen Seiten: Drohgebärden und Friedenssignale gleichzeitig, und das allseitige Bemühen, als Sieger aus seiner Schlacht hervorzugehen, in der es in Wahrheit, so oder so, nur Verlierer geben kann.

Konversation

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