Die Herausforderungen und Risiken werden nicht weniger: Während der Handelskrieg zwischen den Vereinigten Staaten und China in 2020 eventuell beigelegt werden könnte, eskaliert derzeit der geopolitische Dimensionen aufweisende Konflikt rund um den Irak, wo sich die NATO an der Seite der USA gegen den Iran positioniert. Dabei sind die benachbarten Konfliktherde in Syrien und Libyen alles andere als befriedet. Auch weil die EU nicht den richtigen Ton im Umgang mit der Türkei findet, schwellen die Migrantenströme seit Monaten wieder spürbar an. Zwar wird Ungarn seinen Grenzzaun an der Südgrenze zu Serbien in absehbarer Zeit weder ausbauen noch verlängern müssen, die Personalaufwendungen für die Grenzsicherung nehmen aber dennoch zu, nachdem soeben eine Verdopplung der Streifen beschlossen wurde.

Insofern würde die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Montenegro und Nordmazedonien zumindest mittelfristig eine Entlastung Ungarns bringen können, schließlich stellt das ehemalige Mazedonien so etwas wie einen zweiten Vorposten der Wohlstandsfestung Europa dar. Steigende Kosten fürs Militär bringen aber auch die Verpflichtungen im Militärbündnis mit sich, denn die USA sind es leid, von ihren Partnern mit Alibis und Versprechungen hingehalten zu werden. Die bis spätestens 2024 geforderten zwei Prozent am Bruttoinlandsprodukt würden hierzulande einer Kostenposition von rund 1.000 Mrd. Forint entsprechen – die Orbán-Regierung ist bereit, diese Verpflichtung vorzeitig zu erfüllen. Doch damit nicht genug: Im Dezember 2019 brachte US-Präsident Donald Trump erstmals sogar eine Forderung von vier Prozent am Bruttoinlandsprodukt ins Spiel.


Staat nimmt Kinder an die Hand

Deutlich mehr Geld müsste für Bildung und Gesundheit fließen. Beide Bereiche werden immer häufiger als Hemmschuhe der ungarischen Wettbewerbsfähigkeit definiert. Im Bildungswesen hat die Regierung bereits in den vergangenen Jahren manche Weichen gestellt, ohne deshalb irgendeinen Durchbruch verzeichnen zu können. Die duale Ausbildung wurde nach deutschem Vorbild an Berufs- und Hochschulen eingeführt; neuerdings ist von einer angestrebten Verfeinerung nach dem Ansatz Österreichs zu hören. Das Stiftungsmodell einer nicht-staatlichen Trägerschaft für die Corvinus-Wirtschaftsuniversität Budapest könnte im Erfolgsfall mehr Verbreitung finden.

Die Forschungsinstitute der Akademie werden in einem neuen Netzwerk organisiert und finanziert. Der Staat möchte seinen Beitrag an Forschung, Entwicklung und Innovationen massiv erhöhen (und fordert Gleiches von der Privatwirtschaft ein) beziehungsweise setzt auf eine zentralisierte Steuerung der Strukturen, in der Hoffnung auf eine effizientere Verwertung der begrenzten Ressourcen.

Plätze in Kinderkrippen sollen landesweit flächendeckend für alle Familien, die es wünschen, zur Verfügung stehen, der Besuch von Kindergärten ab drei Jahren ist praktisch Pflicht. Damit die Grundschüler auch bei der PISA-Studie besser abschneiden, befindet sich ein neuer Nationaler Rahmenlehrplan (NAT) in Vorbereitung. Familien werden mit der nach Darstellung der Regierung großzügigsten Förderung in ganz Europa nicht nur zum Kinderkriegen animiert, der Staat nimmt diese Kinder auch von klein auf „an die Hand“.


Beste Praxis und Einsparpotenzial

Im Gesundheitswesen hat sich bislang nicht einmal der im Besitz von Zweidrittelmehrheiten regierende Fidesz an eine tiefgreifende Reform getraut. Die jüngste Entwicklung lässt nun aber den Willen für eine Umstrukturierung erahnen. Angestoßen wurde diese offenbar durch die Schuldenberge der Krankenhäuser. Als die Orbán-Regierung diese vor Jahren feierlich konsolidierte, sollte die Finanzierung nach neuen Kontrollprinzipien eigentlich sicherstellen, dass sich keine neue Schuldenberge anhäufen. Doch dann entstanden sie wieder, jedes Jahr aufs Neue. Nun soll damit endgültig Schluss sein, und ein unter vielen anderen Belangen auch für das Gesundheitswesen zuständiges Spitzenministerium für Humanressourcen, das von einem Medizinprofessor geleitet wird, könnte die beste Vorbedingung bilden, damit das Vorhaben endlich gelingt.

Minister Miklós Kásler bekräftigte auf einer Pressekonferenz an diesem Montag, „die Umgestaltung der Strukturen im Gesundheitswesen“ habe begonnen – von einer Reform spricht der Professor lieber nicht, denn dieses Wort ist hierzulande reichlich abgenutzt. Es gehe um eine Modernisierung der Versorgungsleistungen, einen verbesserten Zugang der Patienten zu diesen und eine lebensnahe Finanzierung. So sollen gleich am Anfang Krankenhäuser mit Milliarden zusätzlich ausstaffiert werden. Diese mussten in der Vergangenheit ihren Finanzierungsrahmen deshalb ausschöpfen, weil sie kompliziertere Fälle und spezielle Leistungen auf sich nahmen.

Gleichzeitig solle die „beste Praxis“ jener Gesundheitseinrichtungen Verbreitung finden, die wie die Komitatskrankenhäuser von Miskolc, Győr oder Eger beziehungsweise wie zentrale Einrichtungen gleich dem Landesinstitut für Rheumatologie und Physiotherapie unbeeindruckt von ihren immensen Patientenzahlen schuldenfrei agieren. Dabei verspricht eine Verschiebung der Gewichte von der stationären zur ambulanten Gesundheitsbetreuung ein großes Einsparpotenzial: Die durchschnittliche Länge von Klinikaufenthalten wurde im letzten Jahrzehnt immerhin schon von sechs auf fünfeinhalb Tage verkürzt.


Pokern geht auf Dauer nicht

Dass mehr Effizienz notwendig wird, sobald die Wirtschaft nicht länger boomt und die Fördermittel der Europäischen Union versiegen, hat man an den Schaltstellen der Wirtschaftspolitik, im Finanzressort, bei der Notenbank und den Kammern, längst erkannt. Effizienz steht aber bekanntlich im Widerspruch zu Korruption. Wie stark diese das Wirtschaftsleben vergiftet, darüber gehen die Meinungen auseinander. Als durch das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) aufgedeckter, mit Abstand größter Korruptionsskandal aller Zeiten in Ungarn gilt die Ausschreibung für die U-Bahnlinie M4 in Budapest – und die wurde unter den Sozialisten in Auftrag gegeben. Auf der vom Fidesz beherrschten Kommunalebene kamen derweil Begriffe wie „Mister zwanzig Prozent“ in Umlauf, quasi als Kosenamen für Bürgermeister.

Die Zwanzig-Prozent-Regel fand offensichtlich auch in dem von der Wettbewerbsaufsicht GVH jüngst geahndeten Fall Anwendung, bei dem Lieferanten von Diagnosetechnik belangt wurden. Dabei hatten Siemens & Co. überhöhte Preise an die mit CT und MRT belieferten Krankenhäuser in Rechnung zu stellen. Dieser Aufpreis sei anschließend angeblich von einem „Koordinator“ abgesahnt worden. Allein diese eine Ausschreibung kostete den ungarischen Steuerzahler schätzungsweise 6-8 Mrd. Forint. Damit nicht genug, wurde den Kliniken untersagt, die abgelöste ältere Technik weiter zu nutzen – eigentlich ein Unding in einem System mit Mangelerscheinungen. Solche Praktiken werden der Effizienz kaum zum Durchbruch verhelfen.

Die mittels ultralockerer fiskalischer und Geldpolitik angeheizte ungarische Wirtschaft konnte diese Makel bislang mit eindrucksvollen Wachstumsraten übertünchen. Obendrein war 2019 ein weiteres Jahr, das im globalen Maßstab durch eine gewisse Ruhe und Kontinuität geprägt war. Dank der weltweiten Niedrigzinsen konnte Ungarn weiterhin mühelos seine Schulden bedienen, und auch die Energierechnung blieb überschaubar. Die Lenker der einheimischen Wirtschaftspolitik pokerten hoch, meint Wirtschaftsprofessor László Csaba, doch ging ihre Rechnung aufgrund der einmalig günstigen Stellung der Sterne auf. Das wird aber nicht auf Dauer so sein.

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