Als erste europäische Regierung hat sie unter dem Programm „Hungary helps“ eine Solidaritätsaktion für die verfolgten Christen des Nahen Ostens ins Leben gerufen und für mehr als umgerechnet 30 Millionen Euro Hilfspakete geschnürt. Der amtierende ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán meinte jedoch Ende November auf der Budapester Konferenz zum Thema „Verfolgtes Christentum“, dass es auch innerhalb Europas um die Christenheit nicht besonders gut bestellt sei und dass diese nur gerettet werden könne, wenn Europa zu seiner christlichen Identität zurückfände.

Das sind pathetische Worte und sie klingen nach einer geplanten Wiedereinführung des christlichen Dogmas auf allen Ebenen des Landes. „Vor dreißig Jahren haben wir gedacht, dass wir den kommunistischen Gedanken endgültig auf den Müll geworfen haben.“ sagte Viktor Orbán bereits zu Beginn des Jahres 2019 in seiner Rede an die Nation. „Doch erneut verkünden sie eine Welt ohne Nation, sie wollen offene Gesellschaften und auch die sind wieder da, die unsere Traditionen wegfegen wollen.“


Die zunehmende Bedeutungslosigkeit der Kirchen aufhalten

Doch wie soll so eine Wiedereinführung von christlicher Tradition und religiösem Glauben in dieser technologisch hoch entwickelten und globalisierten Welt überhaupt aussehen? Dort, wo das bestehende Christentum als Minderheit angegriffen und wo Städte zerstört werden, kann man wiederaufbauen, doch in Europa, in denen es den Menschen noch relativ gut geht, wie kann da die zunehmende Bedeutungslosigkeit der Kirchen aufgehalten werden? Welche Bereiche sollen von einer solchen Christianisierung betroffen sein und welche Rolle spielen dabei Ökumene und religiöse Toleranz gegenüber Andersgläubigen?

Bislang sind es die Technologie und die Naturwissenschaften, die über die Religion zu siegen scheinen, wie auch über jedwede Form transzendenten Denkens. Der Mensch ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts in West und Ost langsam zur „Maschine Mensch“ geworden, so wie ihn schon der französische Philosoph Julien Offray de la Mettrie zu Beginn des 18. Jahrhunderts bereits angedacht hat. Die Neurowissenschaften verlegen Denken und Fühlen in irgendwelche Gehirnwendungen. Die Globalisierung predigt nachkommenden Generationen den „Erfolg“ und verspricht ihnen dafür höchstes Glück durch den Konsum von wertvollen Gegenständen, schönen Körpern, Essen und weiten Reisen. Und die Digitalisierung spannt die gesamte Kommunikation, den Austausch von Ideen in ein fest umrissenes, weltweit zugängliches und doch sehr vergängliches Netzwerk. Damit entsteht Schritt für Schritt die Vorstellung der totalen Machbarkeit, Beherrschbarkeit und der ständigen Veränderbarkeit des Lebens. Und darin spielen Religion, der Bezug zu einem jenseitig existierenden Schöpfer oder zumindest zu einem jenseitigen Sinn des Lebens überhaupt keine Rolle mehr.


Fehlendes Wissen um unsere christlichen Wurzeln

Wie unbedeutend in dieser neuen Welt der Glaube mittlerweile ist, zeigen die Antworten von Schülern in Bezug auf die Geschichte von Religion und Kirche. Kaum noch ein Schüler zwischen 15 und 18 Jahren kennt die Geschichte des Christentums. Sie glauben, die katholische Kirche wäre von Jesus Christus in Jerusalem gegründet worden und sind fest davon überzeugt, dass der Islam die älteste Religion der Welt ist. Und auch vor den Statuen und christlichen Symbolen stehen sie wie Blinde. Die Statue einer Mutter Gottes ist „die verschleierte Frau da“ und das Lamm Gottes mit der Osterfahne „das Schaf mit der Schweizer Flagge.“

Sie haben nie etwas von Karl Martell und der Schlacht bei Poitiers im Jahre 732 gehört. Sie wissen nichts über die Islamisierung Nordafrikas und schon gar nichts über die spanische Reconquista, die Wiedereroberung Spaniens durch das Christentum, die fast drei Jahrhunderte andauerte. Sie haben jedweden Bezug zu ihrer eigenen Geschichte verloren und denken nur noch in „internationalen“ Dimensionen. Abgesehen von Weihnachten, bleibt das, was christlich ist, in ihren Vorstellungen fast ausschließlich negativ besetzt. Kreuzzüge, Hexenverbrennungen, korrupte Päpste, missbrauchende Priester, das sind die Bilder, die durch ihre Köpfe geistern.

Es liegt auf der Hand, dass hierfür die Bildungsprogramme und die Vorstellungen unserer westeuropäischen Gesellschaften von Kultur verantwortlich sind. Zu sehr wurde jahrzehntelang auf den Machtaspekt der Kirche gestarrt und ihre Bedeutung als moralische Instanz durch die erste Erklärung der Menschenrechte im Jahre 1789 in Frage gestellt. Der Faden der Kontinuität riss und die europäische Menschheit des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts vergaß, dass ihr gesamtes Denken und Schaffen grundlegend vom Judentum und Christentum ausgingen, selbst da, wo es diese kritisiert. Dabei gӓbe es ohne das jüdisch-christliche Erbe keine Kantate von Johann Sebastian Bach, keine romanischen und gotischen Kirchenbauten, die ja viel mehr sind, als nur ansprechende Klänge und funktionelle Gebäude.


Die tiefere Bedeutung christlicher Bauwerke und Musik

So ist die Schönheit eines Doms oder einer Kathedrale, die selbst die rationalsten Menschen heute noch beeindruckt, nicht durch ihre Funktion, sondern durch ihre spirituelle Symbolik zu erklären und zu verstehen. Die gesamte Tektonik, die die Wucht und die Erdenschwere eines romanischen Doms ausmachen, reflektiert die Größe Gottes und seiner Himmelsburg. Die hochstrebenden Säulen der Gotik und die sich vernetzenden Rippen der Kreuzgewölbe führen symbolisch in die Höhe des Himmels und stellen ein spirituelles Netz dar, in welches der Gläubige aufgenommen und „nach oben“ getragen wird. Die gesamte Konstruktion der sakralen Bauten besteht aus präzise definierten geometrischen Figuren, aus Kugeln, Prismen, Quadern, Pyramiden, aus geometrischen und rationalen Grundformen, die die mathematische Idealität, die Vollkommenheit Gottes darstellen.

Die Musik einer Kantate Bachs besteht aus dem Sopran oder den Violinen der Engel, den Tenören als Stimme Jesu und den Pauken und Trompeten als den für das Gute Kämpfenden. Oft wurden Worte, Instrumente und Melodien perfekt aufeinander abgestimmt. Doch das wird nicht mehr wahrgenommen und nach Belieben verjazzt und verpoppt. Letzteres kann auch durchaus interessant und schön sein, nur schade, dass die tiefere Bedeutung der Originale dabei im wahrsten Sinne des Wortes „flöten geht“.


Derivate der jüdisch-christlichen Idee des Menschen als dem Ebenbild Gottes

Selbst die so genannte säkulare und atheistische Weltanschauung mit ihrer Vorstellung von dem gleichen Wert aller Menschen ist ein Derivat der jüdisch-christlichen Idee des Menschen als dem Ebenbild Gottes. Sozialistische Denkstrukturen, die für ein gerechteres Leben kämpfen, sowie die Pflicht des Spendens und die moralische Verpflichtung, sich für notbedürftige Menschen einzusetzen, finden ihre Begründung unter anderem im Gebot der fünf Bücher Moses „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.“ (3. Buch Mose, 19.18.7.) Im Hinduismus gilt Armut und Elend dagegen als Karma, als gerechte Strafe für eine böse Handlung in einem vergangenen Leben und es brauchte lange, bis sich auch dort Organisationen herausgebildet haben, die Bedürftigen helfen.

Daneben entwickelte das Mittelalter überaus reiche Meditationspraktiken, die heute keiner mehr kennt, weil sie lediglich in ein paar übrig gebliebenen Benediktinerklöstern noch praktiziert werden. Schon im Mittelalter wurden die ersten Meditationsanweisungen in den Schriften der Theresa von Avila veröffentlicht. Schade eigentlich, denn immer mehr Menschen suchen im Yoga nach Ruhe und Entspannung, es wäre somit interessant, sich auch einmal mit den benediktinischen und franziskanischen Meditationspraktiken auseinanderzusetzen.


Warum in die Fern schweifen …

Trotz aller Neurowissenschaften verstehen viele Menschen, dass Gedanken und Gefühle ebenso wenig in Gehirnwendungen zu finden sind, wie Radiosendungen in den Kabeln eines Radios. Der Konsum befriedigt sie nicht vollständig, unsere Gesellschaften sind krisenge-schüttelt und das Leben erscheint immer bedrohlicher und instabiler. So machen sich viele auf die Suche nach einem höheren Sinn des Lebens. Sie lesen Bücher über den Islam, über Buddhismus und Hinduismus und wissen nicht, welche reichen Gedanken die mittelalterliche Scholastik, sowie die Philosophie der europäischen Renaissance in sich tragen. So furchtbar schwer sind diese Texte nun auch wieder nicht und man könnte große Teile von ihnen auch für ein breiteres Publikum populärwissenschaftlich aufbereiten. Doch man hält sie fest verschlossen in irgendwelchen Bibliotheken, zu denen nur Wissenschaftler und Spezialisten Zugang haben. Warum eigentlich?

Wer also Europas christliche Identität stärken will, muss wissen, wo er ansetzt. Innerhalb der westlichen Kirchen gibt es mittlerweile eine doch recht gut funktionierende Ökumene und auch der jüdisch-christliche Dialog ist bereits integraler Teil der europäischen Religionsgemeinschaften. Der christlich-jüdisch-muslimische Dialog ist gerade am Entstehen und hat noch einen sehr langen Weg vor sich. Dies alles ist in den letzten Jahrzehnten von den Kirchen und Glaubensgemeinschaften auf den Weg gebracht worden. Ansonsten gilt es, den gesamten Bildungs- und Kulturbereich neu zu füllen. Vereinzelt gibt es Ansätze, wie etwa im Leipziger Schulbuchverlag Militzke, der in seinen Ethikbüchern in kurzen Paragraphen und in sehr vereinfachter Form schon für die 7.Klasse auf die großen christlichen Denker des Mittelalters verweist. Wenn etwa von Heilpflanzen die Rede ist, dann steht daneben eine kurze Erklärung, wer Hildegard von Bingen gewesen war und dass sie die erste Klosterfrau war, die in Europa ein Buch zur Heilpflanzenkunde herausgebracht hat.


Bezug zur europäisch-christlichen Geistesgeschichte wiederherstellen

In der gesamten Bildung und Kultur muss der enge Bezug zur europäisch-christlichen Geistesgeschichte wiederhergestellt werden. Dafür reicht es aber nicht aus, nur von Kirchenfesten und christlicher Nächstenliebe zu berichten und den konfessionellen Religionsunterricht reicher zu gestalten. Es geht darum, in unseren Gesellschaften überhaupt erst einmal wieder ein grundlegendes Verständnis für alles Religiöse zurückzubringen.

Der gesamte Bildungsbereich in Mathematik, Physik, Biologie, Musik, Geschichte und Geographie sollte darum auch das transzendente Denken wieder mit aufnehmen. Das ginge etwa über den Begriff der Unendlichkeit in der Mathematik. Man könnte die Biologie vor die Aufgabe stellen „Leben“ zu definieren, denn dafür reicht die reine Funktion der Organe nicht aus. Transzendenz und Quantenphysik erlauben es der Physik, an die Grenzen der Erklärbarkeit zu gelangen. In Geschichte und Geographie wäre es eine detaillierte Sicht auf die Geschichte der drei monotheistischen Religionen und der Völker- und Volksgruppen, die mit diesen in Berührung kamen.

Es gibt so viele spannende spirituelle, kulturelle und selbst wissenschaftliche Aspekte, die in den letzten Jahrzehnten in der europäischen Bildungs- und Kulturvermittlung von jedwedem religiösen Denken abgeschnitten wurden. Sich mit diesen Aspekten zu beschäftigen, muss nun nicht jeden zur Religion zurückführen, es soll viel eher das Verständnis dafür wecken, dass Fragen nach Gott und dem Jenseits nicht absurd oder gar irrational sind. Auch das stärkt indirekt alles Religiöse, was sicherlich auch noch einen anderen, sehr positiven Effekt hätte: den einer wirklichen kulturellen Integration von Migranten.

Integrieren kann nämlich nur derjenige, der sich selbst kennt und auch genau weiß, welchen Bezug er zu seinen eigenen Werten hat und welchen zu jenen Kulturen, die nun nach Europa kommen. Welche Werte will er aufnehmen und welche nicht? Nur eine Gesellschaft, die weiß, woher sie kommt und was sie spirituell darstellt, kann Neuankömmlingen eine neue Identität anbieten. Es scheint fast paradox, aber ein betont christlicheres Europa ist sicherlich ein Ort, der besser integrieren wird, als ein Europa, in dem alles wahllos durcheinanderwirbelt und in dem Extremisten ihre Wahnvorstellungen ausleben können, weil Europa sich selbst immer nur „kritisch“ sehen will und die eigene kulturelle Dekonstruktion vorantreibt.

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