Zu Beginn der an der Verwaltungsuniversität stattfindenden Konferenz betonte der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, wie wichtig es für die zivilisatorische Entwicklung Europas gewesen sei, dass die moralischen Wertvorstellungen nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-48) weitgehend ins Private verlegt wurden. Wenn die Menschen unterschiedliche Überzeugungen in Bezug auf moralische Werte hätten, so würde das allgemein geltende Recht ein „moralisches Minimum“ darstellen. Das Recht ermögliche damit allen Bürgern, in Frieden und Freiheit miteinander zu leben. „Die Moral hat das Haupt zu beugen, wenn das Recht spricht“, unterstrich Maaßen.

Generell waren sich die Teilnehmer – darunter der ungarische Minister a.D. und Pastor der reformierten Kirche, Zoltán Balog und der parlamentarische Staatssekretär Balázs Orbán – darin einig, dass es nicht nur human und moralisch geboten sei, Menschen in Not beizustehen: zur Humanität gehöre es ebenso, die Sicherheitsinteressen der eigenen Bevölkerung zu wahren und die Demokratie in Europa zu schützen.


Zivilisatorischer Rückfall

Die Herrschaft des Rechts sei als Ergebnis der Aufklärung ohne Zweifel eine zivilisatorische Errungenschaft, hinter die wir nun – vor allem im Zuge der illegalen Massenimmigration – in Teilen zurückfallen würden, kritisierte Maaßen. So sei es sehr bedenklich, wenn sich gewisse Leute als „moralisch wertvoller“ betrachteten, wenn sie ihre Moral über die der anderen stellten und dabei auch noch das Recht brechen würden. Das „riecht nach Totalitarismus“, meinte der ehemalige BfV-Präsident. Dann sei man wieder an dem Punkt angelangt, an dem der Zweck die Mittel heilige – ganz ähnlich wie im Sozialismus, der sich über dem Recht stehend wähnte. Der Willkür der gerade Herrschenden wären somit keine Grenzen gesetzt.

Auch heute wieder, 30 Jahre nach der Befreiung von der sowjetischen Gewaltherrschaft, gebe es wieder „Kräfte, die auf Totalitarismus und Sozialismus zusteuerten“, wobei gerade die Migrationspolitik, in der das Recht aus vermeintlich moralischen Gründen immer wieder gebrochen werde, eine große Rolle spiele. In diesem Zusammenhang ging Maaßen auf die Frage der „humanitären Pflicht“ ein und betonte, dass er sie in erster Linie als Jurist beantworten könne. Er habe das Flüchtlingsrecht über viele Jahre lang studiert, später selbst unterrichtet und sei unter Bundesinnenminister Otto Schily Referatsleiter für Ausländerrecht gewesen.


Asyl als Gnade

Maaßen ging auf die Geschichte des Asyls ein und betonte, dass es vom Mittelalter bis nach dem Zweiten Weltkrieg grundsätzlich begrenzt gewesen sei. „Asyl war im Prinzip eine Frage der Gnade und kein individuell einklagbares Recht.“ Durch die Genfer Flüchtlingskonvention habe man zwar mehr Rechte gewährt, das änderte jedoch nichts an der grundlegenden Begrenztheit des Asylrechts: Niemand kann sich – aufgrund einer Notlage, oder weil er meint, in Europa ein besseres Leben zu haben – einfach niederlassen, wo es ihm gerade gefällt.

Maaßen stellte zudem heraus, dass Asyl immer nur „temporär gewährt“ werde. Ändere sich die Situation im Heimatland, beispielsweise im Falle eines beendeten Krieges, dann müsse die Anerkennung des vormals Asylberechtigten widerrufen werden. In diesem Rahmen sei Deutschland seinen humanitären Verpflichtungen vollends nachgekommen. Entsprechend müsse auch darauf gepocht werden, dass Menschen, die keinen Schutz in Anspruch nehmen könnten, an den europäischen Außengrenzen zurückgewiesen würden.

Inzwischen, so Maaßen, würden jedoch „diffuse moralische Anschauungen den Diskurs über die Migration bestimmen“. Das habe sich bereits im Jahre 2012 angesichts der steigenden Zahl der Flüchtlinge gezeigt. Schon damals habe der „politische Mut“ gefehlt, diese Zahlen – auch bezogen auf die Familiennachzügler – zu reduzieren.

Maaßen erinnerte auch an die Flüchtlingskrise im Jahr 2015: „An manchen Tagen kamen 10.000-15.000 Flüchtlinge pro Tag.“ Dass es seitdem zu einer Reduzierung gekommen ist, sei in besonderem Maße auch Ungarn zu verdanken.

Heutzutage würden pro Tag „nur noch“ 500-700 Asylsuchende nach Deutschland kommen. Maaßen wies darauf hin, dass dies übers ganze Jahr, mit 150.000-200.000 Einwanderern, immer noch der Dimension einer Großstadt gleichkomme. Auch für diese Menschen müsse entsprechend die Infrastruktur ausgebaut werden: Kindergärten, Krankenhäuser, Arbeitsplätze und vieles mehr.


Integration vs. Scharia

Maaßen berichtete, wie er sich als Referatsleiter im Innenministerium intensiv mit Integrationskursen beschäftigte. Damals sei ihm bewusst geworden, dass diese Kurse nur sehr bedingt erfolgreich waren. Was könne man schon ausrichten, wenn die Menschen, die aus dem nichteuropäischen Ausland kommen, ein völlig gegensätzliches Gesellschaftsbild vor Augen hätten und eine ganz andere Gesellschaft anstrebten?

Viele Einwanderer könne man auch von Anfang an gar nicht erreichen, weil sie – wie im Falle der türkischen Minderheit – inzwischen die Möglichkeit hätten, in Deutschland zu leben wie in ihrem eigenen Heimatland. Beim Arzt, auf der Bank, beim Gemüsehändler: überall könnten sie mühelos alles auf Türkisch erledigen. Das Leben in Parallelgesellschaften sei leider zu einer Normalität geworden.

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„Niemand kann sich – aufgrund einer Notlage oder weil er meint, in Europa ein besseres Leben zu haben – einfach niederlassen, wo es ihm gerade gefällt.“


Darüber hinaus gebe es in Deutschland an die 30.000 Menschen muslimischen Glaubens, sogenannte „Legalisten“, die ohne Gewaltanwendung die Durchsetzung der Scharia anstreben. Diese hätten sich auf einen „Marsch durch die Institutionen“ begeben. Hinzu kämen über 2.000 Personen, darunter auch Salafisten, denen man Maaßen zufolge „jederzeit einen Anschlag zutrauen“ könnte. Die Gewaltbereiten würden eine Brücke schlagen zwischen den Legalisten und den Dschihadisten. Dass nicht mehr Anschläge verübt wurden, sei ganz besonders den Nachrichtendiensten zu verdanken, die auch dieses Jahr wieder mehrere Anschläge verhindert hätten.


Mut zum Realismus

„Einen Asylsuchenden aufzunehmen ist Humanität, Millionen aufzunehmen sei eine Gefahr für die Stabilität der Demokratie in Europa“, sagte Maaßen. Auch Balázs Orbán wies darauf hin, dass es völlig irrational wäre, zig Millionen in Europa aufzunehmen. Das würde nur zu einer „dramatischen Destabilisierung“ führen und die Aufnahmestaaten empfindlich schwächen. Am Ende würden wir in Europa die gleichen Bedingungen bekommen wie in den Ursprungsländern.

Maaßen fügte hinzu, man dürfe sich gleichzeitig auch nicht der Illusion hingeben, dass Europa die Probleme tatsächlich vor Ort lösen könne. „Wir können Hilfe leisten, wir können Rat geben“, erklärte er. Doch seien alle bisherigen weitergehenden Strategien gescheitert, unter anderem auch deshalb, weil die Führungseliten in Afrika wenig Interesse daran hätten, die Lage der Menschen dort zu verbessern.

Generell bräuchten wir eine realistischere Politik, die nicht von moralischen Wunschvorstellungen ausgeht. Früher oder später müsse man sich damit abfinden, so Maaßen, dass man nicht allen in Afrika helfen könne – weder vor Ort, noch indem man immer mehr Menschen in Europa aufnehme. Auch die Politiker würden sich eines Tages dazu bequemen müssen, bedrückende Bilder von Asylsuchenden zu ertragen, und sie politisch wie ethisch zu vertreten.

In diesem Rahmen sagte Zoltán Balog, dass es auf Dauer sehr gefährlich sei, wenn man vom Staat ein „gesinnungsethisches Verhalten“ erwarte, bei dem man das vermeintlich Gute tue, ohne über die entsprechenden Konsequenzen nachzudenken. „Liebe ohne Vernunft mündet schnell in das Gegenteil dessen, was man ursprünglich beabsichtigte“, warnte Balog. Der Staat und seine Vertreter müssten sich stattdessen „verantwortungsethisch“ verhalten, wobei die tatsächlichen Ergebnisse und deren Verantwortbarkeit im Vordergrund stehen sollten.


Die neue Bevormundung

Zum Schluss fragte der Moderator und Direktor des Nationalen Instituts für Strategische Studien, Gergely Prőhle, wie es in Deutschland zu so einem zivilisatorischen Rückschritt kommen konnte. „Wie konnte es passieren, dass sich diffuse Moralvorstellungen gegenüber dem Recht durchgesetzt haben? Wie kann man es erklären, dass es in Deutschland schon wieder sozialistische beziehungsweise totalitäre Tendenzen gibt, welche die Zukunft des ganzen Landes in Gefahr bringen?“

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„Einen Asylsuchenden aufzunehmen ist Humanität, Millionen aufzunehmen ist eine Gefahr für die Stabilität der Demokratie in Europa.“


Maaßen wies zunächst auf die großen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland hin. Im Westen sei den Menschen die Freiheit nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten geschenkt worden. Man wisse sie womöglich nicht mehr so sehr zu schätzen wie im Osten, wo sich die Menschen ihre Freiheit unter Lebensgefahr erkämpft hätten.

In Ostdeutschland müssten die Menschen nun mit ansehen, wie die von ihnen errungene Freiheit von der vorherrschenden Politik und den Medien zusehends bedroht wird. So kehre nur 30 Jahre nach dem Sieg über den kommunistischen Totalitarismus die wohlbekannte Bevormundung in neuem Gewande zurück. Im Namen einer vermeintlich höheren Moral werden die Menschen schon wieder bevormundet, und wenn sie sich gegen den aufziehenden Sozialismus stellten, würden sie nun als Rassisten diffamiert. Hier zeichne sich eine äußerst gefährliche Situation ab, die in Deutschland die Demokratie auf den Kopf stellt.

„Was kann man dafür tun, damit sich die verschiedenen Standpunkte in Deutschland und Ungarn annähern?“ – wollte Prőhle wissen. Maaßen zuckte darauf nur mit den Schultern und erklärte: „Wenn ich das wüsste, würde ich es sofort tun.“ Dabei würde er sich wünschen, dass Deutschland an der Stelle von Ungarn wäre. Dann könnten die anderen sagen, „es ist uns egal, was Deutschland macht.“ Dadurch aber, dass Deutschland in der Mitte Europas liegt und so groß ist, wären die deutschen Probleme leider immer auch europäische. Ohne Deutschland werde man diese Probleme aber nicht lösen können. Auf die Frage der BZ, warum man denn im Jahr 2015 in Anbetracht der Reduzierung der Lebensmittelhilfe für Flüchtlinge in Syrien, dem Libanon und der Türkei nicht gehandelt habe, antwortete Maaßen, dass man in der Tat davon gewusst habe. Dennoch habe man seitens der Politik nicht oder viel zu spät gehandelt.

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