Am 30. Oktober besuchte Russlands Präsident Wladimir Putin Budapest, dicht gefolgt von einem Besuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan am 7. November. Manche Medien erlagen der Versuchung, dies als Treffen von „Autokraten unter sich“ zu charakterisieren, und bezeichneten Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán als „im Westen isoliert“. Dabei war und ist bei Licht betrachtet dieses ganze Jahr bemerkenswert ereignisreich für die ungarische Diplomatie.


Reges diplomatisches Jahr

Am 19. August war Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Ungarn gekommen, am 11. Oktober hatte Orbán den französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris getroffen. Sein Besuch bei US-Präsident Donald Trump am 13. Mai wurde von der „New York Times“ nachträglich gar zur Erklärung herangezogen, warum Trump ein schlechtes Bild von der Ukraine habe – Orbán habe das Land ihm gegenüber schlecht geredet. Der tatsächliche Sinn des Treffens war wohl eher die Vorbereitung von Rüstungskäufen Ungarns bei amerikanischen Firmen im Wert von bis zu 500 Millionen Dollar, unter anderem von Luft-Luft-Raketen.

Nicht nur ein reges diplomatisches Jahr also, vielmehr wurde dem kleinen Ungarn mancherorts ein erstaunlicher und seinem wahren Gewicht kaum entsprechender politischer Einfluss zugedacht. Orbáns Besuch bei Macron beispielsweise rief in Erinnerung, dass Macron und die vier ostmitteleuropäischen Visegrád-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) nach den Europawahlen den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) als neuen EU-Kommissionschef verhindert und statt dessen Ursula von der Leyen (CDU) durchgesetzt hatten.


Neuer Ton im Umgang mit Ungarn

Tatsache ist, dass auf der internationalen Ebene ein neuer Ton eingekehrt ist im Umgang mit Ungarn. Allen voran in Berlin: Abgesehen vom Merkel-Besuch in Sopron kam auch der deutsche Außenminister Heiko Maas am 4. November nach Budapest, nachdem er zuvor bereits gemeinsam mit seinem ungarischen Amtskollegen Péter Szijjártó am 9. September in Berlin das diesjährige deutsch-ungarische Forum eröffnet hatte. Beide Male war der offizielle Anlass das Gedenken an die Wende vor 30 Jahren. Jenseits der Jahrestags-Floskeln war aber dennoch ein neuer Ton zu spüren: Man sprach mehr über das, was verbindet – vor allem die fruchtbare wirtschaftliche Zusammenarbeit –, als über das, was trennt.

Das sind vor allem Fragen der Rechtsstaatlichkeit, die in der Tat ungelöst sind, wie beide Seiten hinter den Kulissen zugestehen. Vielleicht muss man diese Fragen ja auch gar nicht bilateral lösen. Man kann sie auf die EU-Ebene ausgliedern und sich besser auf die konkrete Zusammenarbeit konzentrieren. Etwa (neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit) auf den ebenfalls in diesem Jahr erfolgten Kauf deutscher Panzer, Panzerhaubitzen und Airbus-Kampfhubschrauber sowie auf die rüstungstechnische Kooperation.

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Konzentration auf verbindende Themen: Außenminister Maas und Szijjártó. (Foto: MTI / Máthé Zoltán)


Stimmungsstörungen gibt es zwar neuerdings mit der bayerischen CSU unter ihrem neuen Chef Markus Söder, nicht zuletzt als Folge des offenen Streits im Europa-Wahlkampf zwischen Orbán und dem damaligen EVP-Spitzenkandidaten und CSU-Mann Manfred Weber. Aber am 7. November wurde der frühere CSU-Chef Edmund Stoiber in Budapest erwartet, wo ihn Orbán mit dem Großen Verdienstorden der Republik Ungarn auszeichnete. Stoiber betonte, dass ihm sowohl Manfred Weber als auch Söder dazu gratuliert hätten. Vielleicht dient all das ja dazu, auch zwischen der CSU und Orbán die Wogen zu glätten.


Zusammenführung von Europa und Asien

Doch zurück zu Putins Besuch. Die „Begleitmusik” durch Veranstaltungen am Rande des Treffens war mindestens ebenso interessant, wie der Inhalt der Gespräche: Ein „Eurasien-Forum“ und eine Zusammenkunft von Kirchenführern aus dem Nahen Osten. Auf dem Eurasien-Forum sprach Ungarns Nationalbankchef György Matolcsy von einer „neuen Ära“ nach der „atlantischen”, die Europa und Asien zusammenführen werde. Matolcsy warb für eine gemeinsame eurasische Währung, die digital sein werde. Dazu passte ein Meinungsartikel von ihm in der „Financial Times“ am 3. November, in dem er ausführte, dass die Einführung des Euro ein historischer Fehler gewesen sei. Dieser habe die Bruchlinien in Europa verschärft und besonders den ärmeren Ländern mehr geschadet als genützt. Man sollte ihn also möglichst wieder abschaffen.

Nebenbei blockierte Ungarn einen Nato-Beschluss zur Unterstützung der Ukraine, weil diese weiterhin die Rechte der ungarischen Minderheit missachte. Sehr zur Freude Putins, der es nicht versäumte zu betonen, die Ukraine missachte auch die „Rechte der russischen Minderheit” im Land.

Was die Kirchenführer betrifft, vornehmlich aus dem Irak und Syrien: Eine Begegnung mit ihnen gehörte zum Programm der beiden Staatsführer, die sich damit als die Verteidiger des Christentums im Nahen Osten inszenierten.


Keine großen Durchbrüche bei wirtschaftlichen Themen

Inhaltlich, so hatte es vor dem Treffen besonders in den ungarischen Medien geheißen, werden sich die Gespräche vor allem um russisches Öl und Gas und den bilateralen Handel drehen. Auf der anschließenden Pressekonferenz wurden dann zwar acht Abkommen unterschrieben, aber große Durchbrüche waren nicht dabei.

Etwa bei der geplanten Erweiterung des Atomkraftwerks Paks durch russische Firmen, wo Beobachter eine Beschleunigung des Zeitplans erwartet hatten, da das Projekt unter erheblichen Verzögerungen leidet. Oder hinsichtlich verbesserter Konditionen bei den Krediten, die Russland dafür gewährt.

Auch beim Erdgas gab es keine große neue Entwicklung. 2021 läuft der aktuelle Rahmenvertrag aus, danach will Moskau nicht mehr über die Ukraine liefern, sondern über die derzeit noch im Bau befindliche südliche Pipeline „Turkish Stream”. Dafür muss eine Anschlusspipeline gebaut werden, und Ungarn muss sich sowohl mit den Türken (und anderen Transitländern) sowie mit den Russen über die Konditionen einigen. Putin äußerte sich dafür „offen“, wenn es denn so weit sei.


Permanente ungarisch-russische Verbindung

Putin und Orbán sagten einige Dinge, die im Vergleich zu früheren Treffen etwas aus dem Rahmen fielen. Putin nannte die seit 2014 jährlichen Treffen mit Orbán einen „Mechanismus”. Das ist wohl so, es war aber bis dahin nicht explizit so genannt worden. Es klingt nach einer mehr oder minder permanenten Anbindung der beiden Länder und dürfte weder der EU noch der Nato gefallen.

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Ungarns positive Haltung zur Türkei steht, wie auch seine pragmatische Haltung gegenüber Russland, in krassem Kontrast zur aktuellen Linie der EU. (Foto: Amt des Ministerpräsidenten / Vivien Cher Benko)


Orbán seinerseits trat mit ungewohnt offenen Formulierungen auf. Die jährlichen Treffen seien „mal mehr, mal weniger erfolgreich gewesen“, sagte er (Putin hatte sie hingegen nur „erfolgreich” genannt). Darüber hinaus sagte Orbán, der bilaterale Handel sei zwar erstmals seit Einführung der EU-Sanktionen gegen Russland gewachsen (auf sechs Milliarden Dollar), sei aber bislang sehr ungleichgewichtig, weil Ungarn mehr von Russland kaufe (vor allem Gas natürlich) als umgekehrt. Hier müsse mehr Balance her. In diesem Sinne unterzeichneten beide Seiten Vereinbarungen über ungarische Investitionen in Russland. Inhaltlich war das zweifelsohne der wichtigste Aspekt des Treffens.


Positive Haltung zur Türkei

Zu „Turkish Stream“: Es ist vielleicht kein Zufall, dass am 7. November auch der türkische Staatschef Erdogan nach Budapest reiste. Ungarns positive Haltung zur Türkei steht, wie auch seine pragmatische Haltung gegenüber Russland, in krassem Kontrast zur aktuellen Linie der EU.

So kauft Ungarn als erstes EU-Land türkische Rüstungsgüter, konkret die gepanzerten Mehrzweck-Fahrzeuge „Ejder Yalcin“ und „Yörük“. Über Menge und Kosten gibt es keine offiziellen Angaben. Ungarns Außenminister Péter Szijjártó verteidigte dies auf der Pressekonferenz mit Bundesaußenminister Heiko Maas als Kooperation zwischen Nato-Ländern. Ein weiterer ungarischer Alleingang war Budapests Ablehnung einer gemeinsamen Verurteilung des türkischen Einmarsches in Nordsyrien durch die EU.

Ungarn stellte sich auf den Standpunkt, dass es besser für Europa und für Ungarn sei, wenn die Türkei tatsächlich, wie behauptet, Flüchtlinge in der geplanten neuen „Sicherheitszone” unter türkischer Kontrolle in Nordsyrien unterbringen will, statt wie angedroht die Grenzen nach Europa für Migranten zu öffnen.

Der Handel zwischen beiden Ländern entwickelt sich dynamisch, allerdings langsamer als von beiden Seiten erhofft. Bei einem Besuch Erdogans vor fünf Jahren war von fünf Milliarden Dollar als Ziel die Rede gewesen. Diese Marke ist bei gegenwärtig etwa drei Milliarden Dollar noch weit davon entfernt. Der bilaterale Handel nutzt derzeit eher Ungarn als der Türkei, allerdings wuchsen die türkischen Exporte nach Ungarn in den letzten Jahren schneller als umgekehrt.


Türkische Schule in Budapest

Ein pikantes Thema ist der Plan, im 9. Bezirk von Budapest eine türkische Schule zu eröffnen, deren Träger die Erdogan-treue Maarif-Stiftung wäre. Die erforderlichen Genehmigungen hat die frühere Stadtverwaltung unter dem inzwischen abgewählten Oberbürgermeister István Tarlós bereits erteilt, eigentlich sollte im September, mit vorerst 80 Schülern, auch der Unterricht beginnen. Inzwischen wurde der Start aber auf das nächste Schuljahr verschoben, dann mit voraussichtlich 240 Schülern. Schätzungen zufolge leben in Budapest 2.500 bis 4.000 türkische Staatsbürger. Man darf gespannt sein, ob die neue Budapester Stadtverwaltung unter dem bisher oppositionellen Bürgermeister Gergely Karácsony die Genehmigung für diese Schule aufrecht erhält.

Insgesamt illustrierte das diplomatische Jahr 2019 Orbáns Strategie, den Großmächten – USA, Deutschland, Frankreich, Türkei, Russland und natürlich auch China – jeweils etwas zu bieten, um gute Beziehungen zu pflegen und Geschäfte mit ihnen zu machen. Die darin kodierte Äquidistanz birgt freilich Konfliktpotential für Ungarn als Mitglied der EU und der Nato.

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