Die Konferenz fand am 10. und 11. Oktober an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften statt. Es war der erste öffentliche Auftritt der neuen Stiftung. Ziel war es, die Bedeutung Otto von Habsburgs für die ungarische Geschichte des 20. Jahrhunderts zu würdigen. Besondere Berücksichtigung galt dabei den dramatischen Jahren gegen Ende des Kalten Krieges.

Nachdem Gergely Prőhle, Direktor der Otto von Habsburg-Stiftung, zunächst daran erinnerte, wie wichtig für Ungarn die historischen Familien seien, sprach der Stellvertretende Ministerpräsident Zsolt Semjén speziell über die Bedeutung von Otto von Habsburg: Als Mitglied des Europäischen Parlaments sei er geradezu ein Symbol der europäischen christdemokratischen Werte, wie sie die Europäische Union „damals noch ausgezeichnet habe“. Bereits am Vortag hatte Kanzleramtsminister Gergely Gulyás betont, dass man in Europa „angesichts des moralischen und intellektuellen Niedergangs der EU“ zu ihren Ursprüngen zurückkehren müsse.

Während Gergely Prőhle nun die Jalousien öffnen ließ, um, wie er humorvoll betonte, die Anwesenden „am strahlenden Kaiserwetter“ teilhaben zu lassen, begann Ingo Friedrich mit seiner Ansprache: „Danke schön für die Einladung, Herr Direktor, Herr stellvertretender Ministerpräsident, Kaiserliche Hoheit Georg von Habsburg.“


Wie ein alttestamentarischer Prophet

„Was geschieht mit der Sowjetunion?“, gab Friedrich zunächst eine zentrale Frage wieder, die Otto von Habsburg bereits 1979 gestellt habe, nachdem er in das direkt gewählte Europäische Parlament berufen worden war. Die Antwort habe von Habsburg dann gleich selbst gegeben: „Die Sowjetunion wird in ihre Teile zerfallen und die osteuropäischen Völker werden wieder selbstständig werden.“

Diese Botschaft, so Friedrich, habe damals wie aus einer anderen Welt geklungen. Insofern habe Otto von Habsburg wie ein „alttestamentarischer Prophet“ geklungen, „gerade, weil alle anderen sie für unmöglich hielten“. Doch genau dies, meinte Friedrich, sei immer auch das Credo der Paneuropa-Union gewesen: „Paneuropa bedeutet ganz Europa, nicht nur Westeuropa.“

Anschließend zog Friedrich eine Parallele zu dem berühmten deutschen Schriftsteller Martin Walser, der vor dem Mauerfall einmal festgestellt hatte, dass die Wiedervereinigung „in der Luft“ liege. Eine Aussage, für die er anschließend „zerrissen“ worden sei. Alles habe dagegen gesprochen: die NATO, die sowjetischen Truppen, der Warschauer Pakt. Bei einem zufälligen Treffen mit Martin Walser habe er ihm daher gesagt, dass an eine Wiedervereinigung doch ganz und gar nicht zu denken sei. Daraufhin habe ihm der Schriftsteller gelassen eröffnet: „Passen Sie auf, die Geschichte sucht sich ihren Lauf.“


Eine besondere Verbundenheit mit Ungarn

Die Behandlung der Habsburger nach dem Ersten Weltkrieg, bekannte Friedrich, sei aus seiner Sicht recht „schäbig“ gewesen. Nicht so in Ungarn. Für Otto von Habsburg sicher ein wichtiger Grund, warum er sich mit Ungarn sehr viel mehr verbunden gefühlt habe. So sei es auch kein Zufall gewesen, dass es am 19. August 1989 in Sopron unter seiner Schirmherrschaft zum „paneuropäische Picknick“ gekommen sei – jener „Friedensdemonstration der Paneuropa-Union“ an der österreichisch-ungarischen Grenze.

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„Wir wollen zu den G3 gehören. China, USA, Europa. Das ist unser strategisches, globales Ziel.“


Ungarische und österreichische Behörden hatten der symbolischen Öffnung eines Grenztors zugestimmt, bei der dann ganz real zwischen 600 und 700 DDR-Bürger die Flucht in den Westen ergriffen. Das „paneuropäische Picknick“ war eine Idee, die unter anderem von Otto von Habsburg als Präsident der Paneuropa-Union ausgegangen war. Durch diese kurzzeitige Öffnung des Eisernen Vorhangs, so Friedrich, sei „alles ins Rutschen“ gekommen.


Der leere Stuhl und die Stephanskrone

„Auf der gleichen Linie lag die Idee“, erklärte Friedrich, „im Europäischen Parlament einen leeren Stuhl zu bestellen, damit jeder weiß: da fehlen ost- und mitteleuropäische Abgeordnete. Und ich hatte dabei immer das Gefühl“, fuhr er fort, „dass er bei diesem Stuhl ganz besonders an Ungarn dachte.“

Im Anschluss kam Friedrich auf den feierlichen Umzug im Jahr 2000 zu sprechen, bei dem die „berühmte Stephanskrone“ zusammen mit dem Reichsapfel und dem Zepter vom Ungarischen Nationalmuseum ins Parlament getragen wurde. „Otto von Habsburg und ich hatten die Ehre mitzulaufen. Rechts und links säumten Budapester die Straßen. Es war ein unglaublich beeindruckender Tag, an dem Otto von Habsburg rundum glücklich war.“


Das Ende der „neuen Weltordnung“

Ob in Washington, in Paris, Rom oder London, so Friedrich, Otto von Habsburg habe immer dasselbe gesagt: „Die in Jalta unter Druck von Stalin beschlossene sogenannte neue Weltordnung kann und darf nicht auf Dauer sein.“ Dies sei auch der eigentliche Grund, warum er für die CSU unter Franz Josef Strauß gebeten wurde, sich für das europäische Parlament aufstellen zu lassen.

Unter Strauß habe von Habsburg auch darauf hingewirkt, dass das Bundesverfassungsgericht die DDR nicht als souveränen Staat anerkennt. Wenn das Bundesverfassungsgericht der DDR ihre Anerkennung nicht verweigert hätte, hätte sich die Wiedervereinigung juristisch und völkerrechtlich sehr viel schwerer gestaltet. Durch seine Haltung sei er im ganzen Ostblock als „Kalter Krieger“ und „Revanchist“ abqualifiziert worden. Gegen Veranstaltungen der Paneuropa-Union habe es sogar im Westen immer wieder Demonstrationen gegeben, so Friedrich. Die schon damals von der linken Seite beherrschte Medienwelt wollte verhindern, dass die Nachkriegsordnung gestört werde. Stattdessen sei es dann aber sehr rasch zum Ende der vermeintlich „neuen Weltordnung“ gekommen.


Auf dem Weg zu einem Bundesstaat?

„Aus Marketinggründen kam ich auf die Idee“, erinnerte sich Friedrich, „dass wir eine einzige Flagge für ganz Europa bräuchten.“ Mit Otto von Habsburg sei es ihm dann gelungen, die blaue Flagge mit den zwölf Sternen, eigentlich ein Mariensymbol, für sämtliche Institutionen der Europäischen Gemeinschaft als gemeinsames Symbol einzuführen.

Als Friedrich eines Tages Otto von Habsburg gefragt habe, ob Europa ein Bundesstaat werden solle, plädierte dieser dafür, „dass man Europa sich selber finden lassen solle“. Die historische Erfahrung lehre jedoch, dass erfolgreiche Staatenbunde oft zu einem Bundesstaat wurden. Wann und wie, bleibe jedoch abzuwarten.

„Für Europa“, so Friedrich, „geht es heute nicht darum, zur G20 zu gehören, auch nicht zu den G7. Wir wollen zu den G3 gehören. China, USA, Europa. Das ist unser strategisches, globales Ziel.“ Sonst würden die anderen „über unsere Köpfe hinweg“ entscheiden. „Wir brauchen eine heimatverbundene Dimension, die nationale Dimension und die strategische globale Dimension.“ So plädierte Friedrich für eine „EU in konzentrischen Kreisen".

„Wir sollten Souveränität dort gemeinsam ausüben, wo der Nationalstaat es nicht mehr schafft“, sagte er. „Und im Unterschied zu früher gibt es heute viele Dinge, die der klassische Nationalstaat nicht mehr erledigen kann. Auch nicht die sogenannten großen Staaten Frankreich und Deutschland. Verteidigungspolitik, Außenpolitik, Umweltpolitik.“ Auch Otto von Habsburg habe schon eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungsunion befürwortet.


An vorderster Front

„In Sopron“, fuhr Friedrich fort, „steht zurecht ein Stück der Berliner Mauer, weil dort vor 30 Jahren der erste Riss in die Mauer geschlagen werden konnte. Und wenn heute die Historiker fragen, wer hat zum Fall des Eisernen Vorhangs beigetragen? Das war im Osten der Mut der Völker. Es war der Aufstand in Ungarn. Und dann war es der Prager Aufstand. Dann die Solidarność-Bewegung in Polen.“

Im Westen dagegen seien es wenige mutige Politiker und Intellektuelle gewesen, die immer wieder darauf hingewiesen hätten, „dass die Zustände in Ost- und Mitteleuropa nicht normal und vom Völkerrecht nicht gedeckt waren“. Ganz unstrittig gehöre Otto von Habsburg „an vorderster Front“ zu diesen Persönlichkeiten, die immer wieder auf das Recht der Staaten in Mittel- und Osteuropa hingewiesen hätten, selbstbestimmt leben zu können. Er habe das Bewusstsein in Westeuropa bezüglich der Zustände in Mittel- und Osteuropa aufrecht erhalten. Es sei dann zwar immer noch eine „gigantisch Überraschung" gewesen, als der Eiserne Vorhang dann wirklich fiel, doch wenigstens seien vielen durch Männer wie Otto von Habsburg jahrelang darauf vorbereitet worden.


Wie Johannes der Täufer

Friedrich beendet seinen Vortrag mit einem mutigen christlichen Vergleich: „So wie Johannes der Täufer die Menschen auf das baldige Kommen des Messias vorbereitete, bereiteten Otto von Habsburg und seine Mitstreiter die Befreiung Ost- und Mitteleuropas vor. In diesem Sinne war Otto von Habsburg einer der Wegbereiter des Endes der sowjetischen Fremdherrschaft in Ost- und Mitteleuropa, ein Wegbereiter der Befreiung unseres geliebten Ungarns.“

Otto von Habsburg (1912-2011) war der älteste Sohn von Karl I., dem letzten Kaiser von Österreich und König von Ungarn. 1973 bis 2004 war er Präsident der Internationalen Paneuropa-Union, von 1979 bis 1999 war er für die CSU Mitglied des Europäischen Parlaments. Seinen Einsatz für die europäische Einigung krönte er als Schirmherr des „Paneuropäischen Picknicks“ am 19. August 1989.

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