Man kann sich beruhigen. Man kann von einer maximalen Überraschung sprechen, aber eine außergewöhnliche Sache ist auf keinen Fall passiert. Bevor manche Leute nun gleich Harakiri begehen: Oppositionelle Zusammenhalt hin oder her, de facto ist das Ungarn regierende Parteienbündnis immer noch die stärkste politische Kraft im Land. Und es ist auch Fakt, dass wir uns im letzten Jahrzehnt daran gewöhnt haben, dass die rechte Seite immer alles mit großem Vorsprung gewinnt, praktisch ohne einen würdigen Herausforderer zu haben. Wir haben uns auch daran gewöhnt, dass die Hauptstadt einer konservativen Führung untersteht. Letzteres ist eigentlich atypisch und an sich keine Selbstverständlichkeit – dafür hielt sie lange an und die Konjunktur der Rechtskonservativen scheint sich auch generell weiter fortzusetzen. Ungarn ist heute viel rechtsgerichteter als es irgendein Land im „Normalzustand“ für gewöhnlich wäre. Um Missverständnisse zu vermeiden: Das ist eine gute Sache. Aber es ist auch nicht schlecht, wenn wir wieder beginnen zu kämpfen. Denn das müssen wir.


Giuliani-Effekt in Budapest

Schauen wir uns zuerst die Hauptstadt an, die nahezu ein Jahrzehnt lang einem konservativen OB unterstand. So kann man von der „Tarlós-Ära“ sprechen, welche die „Demszky-Ära“ (1990-2010) ablöste. Und eben dieser gescheiterten Demszky-Ära verdanken wir es, dass wir heute von der anschließenden Tarlós-Ära sprechen können. Der liberale OB Demszky hat Budapest während seiner Marathon-Regierung so skandalös schlecht geführt, dass sogar eine so „liberale Stadt“ wie Budapest am Ende lieber einen Konservativen wählte. Und zwar gleich zweimal nacheinander!

Dazu bedurfte es etwas, was wir jetzt der Einfachheit halber als „Giuliani-Effekt“ bezeichnen. Auch New York wählte einen republikanischen Bürgermeister, als die Stadt schon arg in Mitleidenschaft gezogen war. In solchen Momenten freuen sich die liberalen Städte, dass ein Konservativer endlich mal wieder aufräumt. Leider wird danach nur zu schnell wieder vergessen, warum der konservative Bürgermeister gewählt wurde. Nun – wenn auch unter Schmerzen! – ist es gut möglich, dass wir erneut einen Giuliani-Effekt brauchen, damit erneut ein konservativer OB in Budapest an die Macht kommt.


Was wir bisher wissen

Natürlich wäre es schwierig, die Aktivitäten von Gergely Karácsony nach nur ein paar Tagen Amtszeit beurteilen zu wollen, aber im Moment wissen wir bereits Folgendes:

  1. Seine Versprechen sind größtenteils unerfüllbar – das war bereits vor der Wahl absehbar, aber index.hu und die anderen verlogenen Lakaienmedien, die sich „unabhängig-objektiv“ nennen, nutzen diese verblüffende Tatsache jetzt vor allem, um ihn schon mal präventiv zu schützen und ihm den Rücken zu stärken.
  2. Der neue OB knausert schon jetzt mit dem Geld. Es ist wahrscheinlich, dass seine Truppe gemäß alter linker Traditionen den Budapestern das Geld aus der Tasche ziehen und damit ihre Klientel, also Lieblingskuratoren und Theaterregisseure, deren Theatervorstellungen und alternative Ausstellungen finanzieren wird, ganz zu schweigen von der „Einbeziehung der Zivilen“ (auch die müssen wir bald durchfüttern!) oder der Gaybar im Rathaus.
  3. Anstatt eines funktionalen Stadtbetriebs können wir mit symbolischem Herumpolitisieren rechnen. Zur Pride wird die Regenbogenfahne gehisst (die Székler Fahne allerdings nicht mehr, mit der man sich international ohnehin nur unangenehme Konflikte einhandelt) und die freien Hippie-Trommelgruppen werden darüber glücklich und zufrieden sein, während unterdessen die Infrastruktur der Hauptstadt zusammenbricht. (…)

Budapest wird erneut einen konservativen OB wählen. Der nächste Giuliani-Effekt kommt garantiert, wenn die Bewohner erneut bis zum Hals in Schwierigkeiten stecken werden. Momentan scheinen wir noch weit davon entfernt zu sein. In der Zwischenzeit können sie sich an der liberalen Minderheit mit ihrer Zuckerbäckerei von „Toleranz“ und „Menschenwürde“ berauschen.


Neue alte Parteien

Wir können auch deswegen nicht von einer außerordentlichen Situation sprechen, weil die Opposition sich nicht ein Jota erneuert hat. Es ist noch keine Erneuerung, wenn die alten Parteien neue Namen bekommen. Das ist nur ein Rebranding. Hinter dem frischgewählten OB lächelt Ferenc Gyurcsány hervor, von dem sich die Linksliberalen seit zehn Jahren erfolglos zu befreien versuchen.

Auf der Linken bleibt jenseits einer gewissen Interessengemeinschaft weiterhin nicht anderes als eine moralische Altlast. Und wer sind die Verbündeten? Es tauchen wieder die Gestalten der untergegangenen liberalen Ära auf. Ildikó Lendvai, Gábor Kuncze, Mónika Lamperth, Zoltán J. Gál und wie alles heißen tauchen wieder aus der politischen Versenkung auf. Ja sogar Demszky meldet sich mit seinen ausgezeichneten Ideen wieder zurück. Kaum ein anderer weiß schließlich besser als er, wie man eine Hauptstadt im Zeichen des Fortschritts herabwirtschaftet. Wenn man seinen Blick über das „neue“ Personal der Opposition schweifen lässt, überkommt einem nicht zufällig ein Déjà-vu-Gefühl und man fühlt sich regelrecht verjüngt.

Zum einen ist da die Momentum, die „neue und saubere Generation“, die mit Wunsch nach einem Austausch der alten Eliten angetreten ist, die mit Gyurcsány keine gemeinsame Sache machen wollte, die über das „oppositionelle Mischgebräu“ herzog (deren Erfolge letztlich aber trotzdem genau diesem Mischgebräu zu verdanken sind) und die immer gleich ins Ausland rennt, um Ungarn anzuschwärzen.

Die Jobbik hat einen noch würdeloseren Weg eingeschlagen, denn damals – wer erinnert sich noch daran? – stellten sie sich gegen das Gyurcsány-Regime und rief zur Säuberung des Landes von postkommunistischen Kräften auf. Heute küssen die Jobbik-Leute Gyurcsány die Füße. Von ihrer Zeit als Volkspartei ist bei der Jobbik kaum noch etwas übrig geblieben, während sie im postkommunistischen-liberalen Konsens aufgeht. Dank des oppositionellen Bündnisses gibt es die Jobbik eigentlich nicht mehr. Bye, bye!


MSZP-SZDSZ-2.0

Die Opposition hat sich also keinesfalls erneuert, am wenigsten moralisch, denn die Kräfte von DK und Momentum herrschen erneut – so wie die linksliberale Truppe vor 2010 im ganzen Land. Wer einmal das Potenzial hatte, einen eigenen Weg einzuschlagen (Momentum, LMP) oder bereits einschlug (Jobbik), wurde durch dieses Bündnis, das einem MSZP-SZDSZ-2.0-Programm gleicht, weichgespült und verfügt am Ende weder über ein eigenes Profil noch ein Rückgrat. Wirklich nichts ist neu an dieser Opposition. Es ist die alte, die wir gut kennen. Eine andere gibt es nicht. Deshalb ist es überflüssig, sich jetzt selbst zu zerfleischen oder gar aus den apokalyptischen Visionen von gewissen Intellektuellen irgendwelche Schlussfolgerungen abzuleiten.

Wie es der Regierungschef am Abend der Wahl formulierte: Die Rechte ist immer noch die stärkste Kraft des Landes. Unser Ziel ist es, dass das auch so bleibt. Und zwar für sehr lange Zeit. Und wenn wir uns jetzt nicht nervös machen lassen, dann stehen die Chancen dafür sogar weiterhin sehr gut.

Wer den ersten Sitzungstag des Parlaments nach den Pyrrhussieg gesehen hat, der muss sich noch weniger Sorgen machen. Die neuen Halbstarken haben dort sofort ihre Zähne gezeigt. Lange müssen wir also nicht gedulden, bis die Menschen wieder mitbekommen, mit wem sie es zu tun haben. Nämlich mit jenen, die ohne mit der Wimper zu zucken abermals eine bolschewistische Revolution veranstalten würden. Nur sollten dabei die Sowjets helfen. Nur noch das eine einzige Mal. Sie sind immer noch die Gleichen!


Der Kommentar erschien am 22. Oktober auf dem Online-Portal der regierungsnahen Tageszeitung Magyar Nemzet.

Aus dem Ungarischen von Anita Weber

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