Am Donnerstagabend nach Börsenschluss wurde bekannt, dass der Aktienhandel mit den Stromtiteln Elmű-Émász bis Montag ausgesetzt wird. Eine Überraschung bedeutete das nicht mehr, denn zwei Wochen zuvor hatte die Gruppe bereits angekündigt, dass E.ON ein öffentliches Angebot unterbreiten wird. Schon seit April 2018 ist bekannt, dass E.ON im Zuge eines gigantischen Deals mit RWE neben Deutschland und Tschechien auch in Ungarn Positionen der RWE-Tochter Innogy übernehmen wird. Die EU-Kommission stimmte dem Deal unter gewissen Vorbehalten zu, mit dem Hauptanliegen, eine übermäßige Beschränkung des Wettbewerbs zu vermeiden.

Am Freitagnachmittag teilten Elmű und Émász mit, E.ON Hungária habe 27,3 Prozent beziehungsweise 26,8 Prozent der Aktien der beiden börsennotierten Gesellschaften erworben. Dabei handelt es sich um die Geschäftsanteile des bisherigen Juniorpartners von RWE aus Deutschland, EnBW. Des Weiteren bietet E.ON den übrigen Aktionären 34.585 Forint im Falle von Elmű beziehungsweise 31.701 Forint im Falle von Émász pro Aktie. Der Handel mit der Elmű-Aktie wurde am Donnerstagabend bei exakt 32.000 Forint ausgesetzt, die Émász-Aktie stand zu jenem Zeitpunkt bei 27.800 Forint. In den vergangenen 365 Tagen bewegte sich erstere Aktie im Durchschnitt knapp über 28.000 Forint, letztere unter 25.500 Forint, das Eigenkapital je Aktie erreicht bei Elmű nahezu 29.000 Forint, im Falle von Émász keine 27.500 Forint. Dabei handelt es sich um die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestwerte für ein Übernahmeangebot, welches die Aktionäre also seit geraumer Zeit von Seiten E.ON erwarten durften. Nach Wiederaufnahme des Handels am Montag schossen die beiden Strompapiere logischerweise nach oben: Die Elmű-Aktie verzeichnete auf 34.400 Forint einen Jahresrekord und wertete binnen eines Jahres um nahezu dreißig Prozent auf, Émász sprang auf 31.400 Forint und damit auf einen historischen Höchststand.


Was im Tausch abgegeben wird

E.ON Hungária traf vergangene Woche des Weiteren eine Rahmenvereinbarung mit der staatlichen Energieholding MVM, die bislang als Juniorpartner an Elmű-Émász beteiligt war. Während E.ON diese Anteile erwerben möchte, stößt man einzelne Tochtergesellschaften aus diesem Portfolio ab und überträgt MVM 25 Prozent der eigenen Geschäftsanteile. Diese neue Partnerschaft soll sich unter anderem in gemeinsamen Projekten niederschlagen, für die E.ON und MVM Potenzial in Rumänien sehen.

Die börsennotierte Opus Global-Gruppe von Orbán-Freund Lőrinc Mészáros ist an dem Deal zur Neuaufteilung des ungarischen Energiesektors ebenfalls beteiligt. Sie teilte auf der Internetseite der Budapester Wertpapierbörse (BÉT) mit, sich mit der E.ON SE in Essen auf die Übernahme des zur E.ON Hungária gehörenden regionalen Stromversorgungsunternehmens E.ON Titász Zrt. verständigt zu haben. Es handelt sich um eine Gesellschaft im Firmenwert der Größenordnung jenseits von 100 Mrd. Forint, die rund 750.000 Stromkunden in Nordostungarn versorgt. Gerade erst im Sommer hatte sich Opus zur Hälfte beim größten regionalen Gasversorger des Landes, Tigáz, eingekauft – die andere Hälfte gehört dem ebenfalls ungarischen, privat geführten Gashändler MET-Gruppe. Praktisch zeitgleich erfolgte die Verdrängung des tschechischen Partners aus der Betreibergesellschaft des Mátra-Kraftwerks. Auf einer außerordentlichen Hauptversammlung am Freitag wurden die Bedingungen für die Begebung einer Anleihe geschaffen, die den Opus-Aktionären schon früher im Volumen von 28,6 Mrd. Forint (gut 85 Mio. Euro) angekündigt worden war.


Als die Deutschen ihre Taktik korrigierten

Was bedeutet diese Kette von Transaktionen für die Zukunft des ungarischen Energiemarktes? Zunächst einmal muss man sehen, dass die deutschen Energiekonzerne E.ON und RWE das Stromsegment schon bislang dominierten. Bei der Privatisierung der Strom- und Gasversorger sowie der Kraftwerke Mitte der 1990er Jahre hatten neben den deutschen auch französische und italienische Großkonzerne Positionen im ungarischen Energiesektor erworben. Deren Engagement erwies sich jedoch als weniger dauerhaft: Spätestens mit der Politik der sinkenden Wohnnebenkosten, die Ministerpräsident Viktor Orbán inmitten der Legislaturperiode 2010-2014 lancierte, um damit einen entscheidenden Stützpfeiler seiner Wiederwahl zu errichten, sank die Motivation der Franzosen und Italiener gegen null. In Zeiten einer europäischen Liberalisierung der Märkte wählten die Deutschen derweil den Weg, zu protestieren und auszuharren, denn der Spuk auf Druck des Staates sinkender Energiepreise konnte in einem Mitgliedstaat der europäischen Gemeinschaft unmöglich von Dauer sein.

Die innenpolitische Position von Orbán und seinem Fidesz erwies sich jedoch als unerschütterlich, weshalb man in den Konzernzentralen von RWE und E.ON die Taktik korrigierte und sich fortan zu arrangieren versuchte. So kam es, dass sich das Investorenduo RWE-EnBW sowohl bei der börsennotierten Elmű-Émász-Unternehmensgruppe als auch beim Mátra-Kraftwerk die staatliche Energieholding MVM als Juniorpartner mit an Bord holte. Wegen der unsicheren Zukunftsaussichten der im Mátra-Gebirge geförderten Braunkohle in Zeiten erstarkender Klimabewegungen zogen sich die Deutschen zunächst aus der Kraftwerksgesellschaft zurück. Über die tschechische EPH wanderten die Geschäftsanteile an die ungarische Opus-Gruppe, die sich heute als schier unübersichtliche Holding an der Budapester Wertpapierbörse (BÉT) breitmacht. Formell wird diese von jenem Oligarchen Lőrinc Mészáros geführt, der sich einst als Gasmonteur und Bürgermeister in dem kleinen Ort Felcsút versuchte, als dessen größter Sohn Viktor Orbán bereits Ministerpräsident von Ungarn war.


Verkaufsauflagen nach RWE-Deal

Die Opus-Gruppe erschien bei dem weitverzweigten Deal vergangene Woche eher am Rande, als Käufer eines Stromversorgers aus dem gewachsenen E.ON-Portfolio. Man pickte sich jene Titász aus dem Kuchen, die im Theißland agiert und Synergieeffekte mit dem regional ähnlich aufgestellten Gasversorger Tigáz sowie dem Mátra-Kraftwerk in den Mittelgebirgen Nordungarns verspricht. Denn E.ON hatte von der Europäischen Kommission Verkaufsauflagen für den mitteleuropäischen Deal mit RWE erhalten, deren Existenzberechtigung mit Blick auf die Verhältnisse am hiesigen Strommarkt wirklich leicht nachzuvollziehen war: Für die Stromversorgung in Ungarn kamen zuvor die RWE-Gesellschaften Elmű-Émász in der Hauptstadt und ihrer Agglomeration sowie im Nordosten des Landes auf, während E.ON mit drei regionalen Versorgern Transdanubien und die Tiefebene abdeckte.

Nach der Fusion dieser beiden Riesen hätte die neue E.ON hierzulande mit Ausnahme des Südens, wo das staatliche Versorgungsunternehmen NKM die Geschicke der von den Franzosen aufgegebenen Démász weiterführt, die komplette Stromverteilung beherrscht. Selbst nach dem Verkauf der Titász an die Opus-Gruppe bleibt E.ON dominant und wird künftig außer im deutlich stärker industrialisierten Westen auch sämtlichen Privathaushalten, Institutionen und Gewerbebetrieben in Budapest den Strom liefern.

Eine übermäßige Machtstellung von E.ON wird aber noch auf eine andere Weise verhindert. Dabei kommt die staatliche Energieholding MVM ins Spiel, deren Geschäftsmodell als Juniorpartner in von Deutschen gemanagten Gesellschaften offenbar gut funktioniert. MVM erwirbt die Émász Hálózati Kft., also nicht den kompletten Stromversorger für Nordungarn, sondern nur die nach der sogenannten Entflechtung (Unbundling) im europäischen Liberalisierungsprozess für die Betreibung der Netze zuständige Firma, während E.ON als Lieferant des Stroms weiterhin die Rechnungen schreiben darf. Daneben übernimmt MVM die Elmű-Anteile an jenem Gemeinschaftsunternehmen mit der Hauptstadt (BDK Kft.), das unter anderem für die öffentliche Straßenbeleuchtung von Budapest zuständig ist.

Entscheidend ist jedoch der Einstieg der staatlichen Energieholding als Finanzinvestor mit der nach dem oben genannten Modell bereits bewährten Beteiligung von 25 Prozent bei E.ON Hungária. Infolgedessen tauscht MVM faktisch die Juniorpartnerschaft bei der Elmű-Émász-Unternehmensgruppe gegen den gleichen Status bei einer ungleich größeren Gruppe, in der Elmű-Émász soeben aufgegangen sind. Finanzdetails wurden von den Partnern nicht bekanntgemacht, doch geben sie sich wegen der Komplexität der bereits vorgenommenen und noch anstehenden Transaktionen für den endgültigen Rechnungsabschluss bis 2021 Zeit.


Konzentration schreitet fort

Übrigens hat sich E.ON mit Elmű-Émász ein strategisch wichtiges und großes Marktsegment gesichert, das gleichzeitig jedoch wenig Rentabilität aufweist. Denn während die E.ON-Stromversorger selbst in dem amtlich regulierten Strommarkt noch zweistellige Kapitalrenditen vorweisen konnten, lagen Elmű-Émász in dieser Hinsicht nur geringfügig über den drei Prozent, die von der staatlichen NKM Démász als Schlusslicht am Markt erzielt wurden. Insofern passt es ins Bild, dass die an der Börse agierende Opus-Gruppe mit Titász einen weiteren „Goldesel“ in ihr Portfolio einreihen kann, dessen Kapitalrendite zuletzt beinahe fünfzehn Prozent erreichte.

Unter dem Strich führen die aktuellen Vorgänge zu einer fortschreitenden Konzentration im Energiesektor. Das erscheint nicht nur wegen der Politik der sinkenden Wohnnebenkosten angebracht, die von den Marktakteuren zumindest in der Grundversorgung höchste Kosteneffizienz verlangt. In der Industriepolitik von Premier Orbán geht es derweil nicht nur um Synergieeffekte, denn er hat die Energie längst als ein Feld der Sozialpolitik definiert. Um die Bevölkerung besser gegen Verwerfungen an den internationalen Energiemärkten zu schützen, brauchen die staatliche MVM-Holding und die mit staatlichem Rückenwind künstlich aufgeblasene Opus-Holding halt eine entsprechende Kapitaldecke.

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