Der Raum ist erfüllt von Gesängen und Klatschen. Eine junge Frau mit einer Gitarre in der Hand singt in ein Mikrofon: „Wir heben unsere Hände zu Gott.“ Etwa 30 Menschen haben sich in dem einstöckigen Haus im zehnten Bezirk von Budapest versammelt, sie halten Gottesdienst. Die meisten von ihnen sind obdachlos. Andere haben zwar eine kleine Wohnung, jedoch kaum Geld für das Allernötigste. Ein junger Mann aus der Reihe der Organisatoren tritt nach vorne, er erzählt eine Passage aus dem Neuen Testament. Die Menschen in dem Raum hören aufmerksam zu, nicken an manchen Stellen zustimmend. Er komme jeden Sonntag hierher, sagt einer der Teilnehmer danach. Er fühle sich nach dem Gottesdienst glücklich. Er habe sonst nicht viel.


„Die Stimmung ist sehr schön“

„Es ist ein einzigartiger Gottesdienst. Die Stimmung ist sehr schön“, findet Janet van Boxtel. Die 42 Jahre alte Niederländerin organisiert ihn gemeinsam mit ihrem Mann Michel. Das Ehepaar entschied sich vor vier Jahren, aus den Niederlanden nach Ungarn zu ziehen, um Bedürftigen zu helfen. Da Michels Vater in Ungarn ein Ferienhaus besitzt, verbrachten die beiden dort häufig ihren Urlaub. Dabei sei ihnen aufgefallen, wie viele Obdachlose es gebe, erzählt Michel. „Irgendwann haben wir gesagt: Wir müssen etwas tun. Also haben wir angefangen, Kleidung zu sammeln. Das reichte uns schließlich nicht mehr. So haben wir uns entschieden, nach Budapest zu ziehen.“


Vorbereitungen auf den Winter

Die beiden gaben ihre Jobs auf, gründeten eine eigene Stiftung und gingen eine Kooperation mit der „Baptista utcafront“ (dt.: Baptistische Straßenfront) ein, einem Wohlfahrtsverband der Baptisten, der staatlich unterstützt wird. Dieser betreut unter anderem im zehnten Bezirk ein Obdachlosenasyl, in dem sich Bedürftige waschen können und eine warme Mahlzeit erhalten.

„Wir sehen es als unsere Aufgabe, mit den Menschen zu sprechen und ihnen unsere Hilfe anzubieten“, erklärt der 46 Jahre alte Niederländer. „Es ist eine Herzensangelegenheit.“ Jeden Donnerstag fahren er und Janet daher in den zehnten Bezirk. Sie hören sich die Sorgen der Obdachlosen an, begleiten sie zum Arzt oder besorgen ihnen Lesebrillen oder Planen für ihre Zelte. „Für den Winter haben wir viele Kleiderspenden erhalten. Außerdem haben wir alte Zelte und Planen organisiert. Damit versuchen wir, die Unterstände der Menschen vor Regen und Schnee zu schützen. Wir müssen uns auf den Winter vorbereiten.“


Waschmaschinen, Duschen und eine Friseurin

Etwa 40 Menschen kommen regelmäßig an den Zufluchtsort im zehnten Bezirk. Dort erhalten sie werktags eine warmes Mahlzeit und frisches Obst. Das Essen wird in dem Raum ausgeteilt, in dem sonntags der Gottesdienst stattfindet. In einem gegenüberliegenden Haus befinden sich sechs Waschmaschinen, in denen die Bedürftigen ihre Kleidung waschen können. Außerdem stehen ihnen Duschen zur Verfügung. Gegenüber von den Duschen steht ein langer Schrank, prall gefüllt mit frischer Kleidung. „Die Obdachlosen können sich in Listen eintragen und erhalten dann, was sie brauchen“, erklärt Michel. Auch eine Friseurin kommt regelmäßig.

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Die beiden Haupthäuser im zehnten Bezirk von Budapest. Hier erhalten die Bedürftigen eine warme Mahlzeit oder eine frische Dusche.


In der anderen Hälfte des Hauses befinden sich mehrere Schlafzimmer. Hier wohnen in Einer- oder Zweierzimmern Bedürftige, die einen Job gefunden haben. Einige von ihnen arbeiten vor Ort, helfen beispielsweise bei der Verteilung der warmen Mahlzeit mit.


Tinyhäuser für Obdachlose

„Eine eigene Wohnung ist ein wichtiger Schritt, um Arbeit zu finden“, weiß Michel. Das nächste große Projekt der beiden Niederländer ist es daher, mit sogenannten Tinyhäusern noch mehr Obdachlosen ein Zuhause zu ermöglichen. Einer der ehrenamtlichen Mitarbeiter von Janet und Michel hat die Pläne für die kleinen Holzhäuser erstellt: Acht Quadratmeter groß, ohne Dusche und Küche. Etwa zehn Häuser sollen um ein Haupthaus stehen, in dem die Bewohner kochen und sich waschen können.

Es wäre das erste Tinyhaus-Dorf in Ungarn. „In Amerika hat sich dieses Konzept schon durchgesetzt“, erklärt Michel. In Budapest muss es erst noch getestet werden. Gemeinsam mit den Wirtschaftsjunioren Ungarn, einem Zusammenschluss junger deutscher Geschäftsleute, haben sie bereits ein Prototyp gebaut. Dieser soll im zehnten Bezirk aufgestellt werden, um zu testen, wie er auf Wettereinflüsse reagiert. Wenn alles klappt und die notwendigen staatlichen Genehmigungen erteilt werden, dann soll direkt neben dem Obdachlosenasyl das kleine Dorf entstehen.


Projekte basieren auf Spenden aus den Niederlanden

„Auch wenn es dort nicht klappt, wir finden schon einen Platz dafür“, ist sich Michel sicher. Er unterstützt nicht nur Obdachlose, sondern auch arme Familien in den Dörfern. Gemeinsam mit anderen Helfern aus den Niederlanden habe er diesen Sommer bei etwa 30 Familien Hilfe geleistet: sie reparierten Dächer oder bauten Kamine. Janet arbeitet als Sozialarbeiterin an einer Schule. Alle Projekte basieren auf Geldern, die sie hauptsächlich von niederländischen Spendern erhalten.


Die Obdachlosen sollen sich wertgeschätzt fühlen

Einen Gottesdienst einzuführen, sei ursprünglich nicht geplant gewesen. „Wenn ich donnerstags kam und mit meiner Gitarre Lieder spielte, sind oft Leute gekommen und haben gefragt: Wann ist der Gottesdienst? Weil die Nachfrage so groß war, haben wir uns gedacht, wir probieren es einmal aus.“

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Ehrenamtliche bereiten Sandwiches für die Bedürftigen


Mittlerweile findet er jeden Sonntag statt – meistens kommen mindestens 20 Menschen. Nach rund einer Stunde geht der Gottesdienst zu Ende. Janet tritt nach vorne, bedankt sich. Die Menschen im Raum klatschen. Nun gehen ehrenamtliche Helfer durch die Reihen, verteilen Sandwiches, die sie zuvor geschmiert haben. Jeder erhält eine Plastiktüte mit zwei Sandwiches, einem Butterbrot und dazu eine Konservendose.

„Manche kommen nur wegen des Essens zum Gottesdienst, aber die meisten nehmen sehr interessiert teil“, bemerkt Janet. Denn es geht um mehr als nur den Gottesdienst. Den Leuten soll Liebe und Respekt entgegengebracht werden. Sie sollen sich gesehen und wertgeschätzt fühlen. Wer nach dem Gottesdienst in die Gesichter der Teilnehmer schaut, erkennt: Dieses Konzept geht auf.


Wenn Sie sich auch engagieren oder etwas spenden möchten, erreichen Sie Janet und Michel van Boxtel unter jfkvanboxtel@gmail.com.

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