Mit einer Riesensumme konnte er die Behörden bestechen und eine Genehmigung für seine ältere Schwester und die beiden verwaisten Cousins besorgen, um nach Budapest fahren zu dürfen, wo die Kinder in einem unter Schweizer Schutz stehenden Haus Unterschlupf fanden und so dem für sie vorgesehenen Schicksal entgingen. Seine zweihundert jüdischen Schulkameraden wurden nur kurz nach Konráds geglückter Überlebensreise nach Auschwitz verfrachtet, wo sie meist zusammen mit ihren Müttern zwecks Gewährleistung eines geordneten Tötungsablaufs in die Gaskammern geführt wurden.

Ihnen und der halben Million weiterer ungarischer Juden, denen Eichmann einen frühen Tod zugedacht hatte, um Europa judenfrei zu machen, lieh Konrád seine Stimme als Schriftsteller, mahnte Menschlichkeit an, wo es doch davon immer weniger zu geben scheint. Literarischer Niederschlag seiner Überzeugungen und Erfahrungen findet sich in seinen Romanen unter anderen im „Besucher“, „Der Komplize“, „Geisterfest“, „Melinda“ und „Dragoman“, „Glück“ (dem Roman seiner verratenen Kindheit) und in seinem umfangreichen Essaywerk („Die unsichtbare Stimme“).

Als mich der in Ungarn verfemte Schriftsteller 1976 in meiner Frankfurter Wohnung mit seiner sonoren Stimme anrief, ob ich Lust hätte, einen kleinen Essay von ihm zu übersetzen, nämlich den auf einem Mikrofilm aus dem Land geschmuggelten Essay „Die Intelligenz auf dem Weg zur Klassenmacht“, stimmte ich freudig zu, auch wenn das Manuskript so gut wie unleserlich war und mit seinen 540 schlappen Seiten nicht unbedingt klein genannt werden konnte. Doch als Osteuropäer hatte ich einen verwerflichen Hang zu Verbotenem. Die Meinung der Lektorin des Suhrkamp-Verlags, die da meinte, so etwas sei eine Zumutung, missachtete ich.

Nun übersetze ich meinen Freund György Konrád schon seit über vierzig Jahren. Er war ein treuer Freund und menschlich nicht nur seinen Freunden gegenüber. Gewesen? Ja, das kann ich noch nicht wirklich fassen. In meinen gespeicherten Filmrollen sehe ich ihn als Präsidenten des Internationalen PEN, als Präsidenten der Berliner Akademie der Künste, als einsamen Rufer in der Wüste, der sich entgegen damaligem Mainstream gegen eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Union aussprach, weil man im Islam noch nicht so weit sei.

Vom offiziellen Ungarn verschmäht, griff er den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung scharf an, was ihn nicht daran hinderte, dessen Analyse in Sachen Migration für richtig zu halten. György Konrád fühlte sich stets einer ideologiebereinigten Wahrheitssuche verpflichtet. Das liebte und schätzte ich besonders an ihm. Aber auch seine Bescheidenheit und beneidenswerte Haltung, wie er Niederlagen wegsteckte.

Als die polnische Autorin Szymborska 1996 den Literaturnobelpreis erhielt, stand ich bei der Verkündigung zur Frankfurter Buchmesse neben ihm. Ein wenig bleich schien er mir ja geworden zu sein, denn die Journalisten erwarteten ihn schon im Frankfurter Hof zu einer Pressekonferenz anlässlich der Geheiminformation, wonach ihm der Preis zugesprochen werden sollte. Es hat nicht sollen sein!

Doch mit Preisen ist er dennoch überschüttet worden. Nicht zuletzt erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den renommierten Aachener Karlspreis und nach der Wende auch den ungarischen Kossuth Preis. Seit einigen Jahren ist es still und stiller geworden um ihn. Den mir so oft versprochenen Roman über König David muss er mir und seinen Lesern nun wohl ewig schuldig bleiben. Ruhe sanft, Gyuri (Djuri gleich György)! Wenn der Messias kommt, sehen wir uns wieder!

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