Bereits am kommenden Donnerstag geht das vom Goethe-Institut, dem Österreichischen Kulturforum und der Schweizer Botschaft organisierte Festival in die Startlöcher. Zur Eröffnung wird das deutsche Drama „Systemsprenger“ von Nora Fingscheidt gezeigt, welches erst in diesem Jahr bei der Berlinale einen Silbernen Bären und den Alfred-Bauer-Preis für neue Perspektiven holte. Der Film erzählt die Geschichte der neunjährigen Benni, die von einer Pflegefamilie in die nächste gereicht wird, weil sie als aggressiv und unberechenbar gilt. Traumatisiert seit frühster Kindheit droht sie durch die Raster der deutschen Kinder- und Jugendhilfe zu fallen. Dabei sehnt sich die willensstarke „Systemsprengerin“ nur danach, wieder mit ihrer Mutter zusammenzuleben.

Mit ihrem Spielfilmdebüt will Regisseurin Nora Fingscheidt Verständnis für Kinder wecken, „die mit voller Wucht unsere Vorstellung von einem liebenswerten und ‚systemkonformen‘ Kind erschüttern.“ Die Berlinale Jury feierte „Systemsprenger“ als „beklemmendes, einfühlsames und genau recherchiertes Szenario über unser pädagogisches System“. Neben einem herausragenden Drehbuch und einer auf den Punkt gebrachten Regie wird das Drama jedoch vor allem von der glanzvollen Darstellung der jungen Helena Zengel getragen, die der nicht zu bändigenden Energie, aber auch der Wut Bennis ein zartes Antlitz verleiht. Im Anschluss an die Vorführung wird es im Budapester Művész mozi eine Diskussionsrunde mit zwei Darstellerinnen des Films, Lisa Hagmeister und Gabriela M. Schmeide, geben.


Tiefschürfend bis witzig

Doch „Systemsprenger“ und der Eröffnungsabend des Sehenswert-Festivals bilden nur den Auftakt zu weit mehr als einer Woche voll tiefschürfendem Filmhochgenusses aus dem deutschsprachigen Raum. Gezeigt wird auch das österreichische Filmdrama „Der Boden unter den Füßen“ von Marie Kreutzer mit Pia Hierzegger und Valerie Pachner in den Hauptrollen, das in seiner Intensität dem Zuschauer tatsächlich selbigen unter den Füßen wegzieht. Gezeigt wird die Lebenswelt der jungen Karrieristin Lola, die um erfolgreich zu sein, ihr Leben bis ins letzte Detail durchkalkuliert. Vielleicht würde die Rechnung der Endzwanzigerin auch aufgehen, wäre da nicht ihre kranke Schwester Conny, für die Lola die Verantwortung trägt. In einer auf Leistung ausgerichteten Gesellschaft, die keinerlei Rücksicht auf derlei private Befindlichkeiten nimmt, droht Lolas Welt in sich zusammenzubrechen. Medial wurde „Der Boden unter den Füßen“ vor allem für die eindrucksvolle Kameraarbeit von Leena Koppe gelobt, die es mit ungewöhnlichen Kniffen versteht, diese kopfstehende Welt zu porträtieren.

Den einen oder anderen erleichterten Lacher gewährt dagegen der Schweizer Coming-of-Age-Film „Lasst die Alten sterben“. Die Tragikomödie von Regisseur Juri Steinhart beweist, dass auch in der Generation von YOLO und FOMO noch immer gilt: „Punk’s not dead!“ Das bereits 2017 erschienene Werk im zugegeben nicht immer einfach verständlichen Schwizerdütsch erzählt die Geschichte einer Gruppe Jugendlicher, die sich entscheidet, ihre Smartphones zu zerschmettern, eine Kommune nach dem Vorbild der 80er zu gründen und endlich wieder aufzubegehren. Doch wogegen eigentlich? Auf witzige aber auch aufrüttelnde Art werden hier die Probleme einer Generation erzählt, für die es keine Reibungsflächen mehr gibt und die Angst hat, im Spießerleben ihrer Eltern unterzugehen.

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Mackie Messer. (Foto: Wild Bunch Germany)


Eintauchen in die Vergangenheit

Ein besonderes Highlight des diesjährigen Sehenswert-Filmfestivals dürfte auch die Vorführung des 2018 erschienenen biografischen Musikfilms „Gundermann“ sein. Er erzählt in ausgewählten Episoden aus dem Leben des originellen wie widersprüchlichen Liedermachers Gerhard Gundermann, der – obwohl ein überzeugter Sozialist – im restriktiven System der DDR immer wieder aneckt. Die Rolle des singenden Baggerfahrers Gundermann übernimmt Alexander Scheer, der dafür mit dem Deutschen Filmpreis 2019 als Bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde. Scheer versteht es, die charakterliche Komplexität und innere Zerrissenheit des Künstlers zu vermitteln. Seine Darstellung ist die Krönung eines auch ansonsten gelungenen Werkes, das nicht versucht zu urteilen, sondern vielmehr die Vielschichtigkeit eines untergegangenen Landes und seiner Menschen aufzeigt.

Die Geschichte einer weiteren musikalischen Legende vermittelt der deutsch-belgische Musicalfilm „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“. Für sein Kinofilmdebüt ließ sich Regisseur und Drehbuchautor Joachim A. Lang von der wahren Geschichte über Berthold Brechts fehlgeschlagenen Versuch, seine Dreigroschenoper zu verfilmen, inspirieren. Dabei mischt das Werk auf manchmal fantastische Art historische Wirklichkeit und Fiktion, zeigt vor farbenfroher Kulisse die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 1929 und des aufkommenden Faschismus und setzt sich auf pointierte Art mit der damaligen Filmgesellschaft auseinander. Vorwärtsgetragen wird die Handlung dabei durch die weltberühmten Melodien aus Brechts erfolgreichstem Bühnenstück.


Hommage an Bruno Ganz

Seinen Respekt zollt das Sehenswert-Festival diesmal insbesondere dem Schweizer Bruno Ganz. Der im Februar verstorbene Schauspieler galt als einer der größten Theater- und Filmschauspieler im deutschsprachigen Raum. Nicht zuletzt durch seine Rolle als Diktator Adolf Hitler im Film „Der Untergang“ (2005) war Ganz einem breiten internationalen Publikum bekannt geworden. Das Festival zeigt einige wenige Höhepunkte aus der über 100 Filme umfassenden Laufbahn des Schauspielers. Unter anderem wird Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“ (1987) zu sehen sein. Die Darstellung des Engels Damiel war eine seiner filmischen Glanzleistungen. Auch der 2005 in der Schweiz gedrehte Film „Vitus“ wird aufgeführt, in dem der verstorbene Schauspieler den Großvater eines musikalischen Wunderkindes spielt.

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Der Himmel über Berlin. (Foto: Wim Wenders Stiftung / Argos Films)

Alle Filme des Festivals werden in Originalsprache und mit ungarischer Untertitelung oder Simultanübersetzung gezeigt. Auch erfreut sich das Szemreválo Fesztivál, wie der ungarische Name der Veranstaltung lautet, schon seit Jahren nicht nur unter deutschsprachigen Expats, sondern auch unter immer mehr ungarischen Filmenthusiasten größter Beliebtheit.

Anfang Oktober wird eine kleinere Filmauswahl auch wieder in den Universitätsstädten Pécs, Debrecen und Szeged gezeigt.

Der Kartenvorverkauf in Budapest beginnt in diesen Tagen und insbesondere für den Eröffnungsabend ist es ratsam, sich bereits vor der Veranstaltung mit Tickets einzudecken. Eintrittskarten werden in den teilnehmenden Kinos zum Preis von 1.200 Forint verkauft, beim gleichzeitigen Kauf von vier Tickets gibt es eine kleine Vergünstigung. Das vollständige Festivalprogramm sowie weitere Informationen finden Sie unter: www.szemrevalofesztival.hu.


Sehenswert- / Szemrevaló-Filmfestival

vom 26. September bis zum 6. Oktober

Veranstaltungsort: Budapest - Művész mozi, VI. Bezirk, Teréz körút 30

Weitere Veranstaltungsorte in Debrecen, Pécs und Szeged

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