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Wie ging es nach dem Picknick weiter?
Sechs Tage später, am 25. August, flog Németh zu einem geheimen Treffen mit Kanzler Helmut Kohl und gab ihm zu verstehen, dass er die Grenzen bald öffnen werde. Er warnte ihn vor den logistischen Problemen, die Hunderttausende DDR-Flüchtlinge verursachen könnten. Kohl fragte Németh, was er im Gegenzug verlange, aber Németh winkte ab. Sie seien keine Menschenhändler wie Ceaucescu, der für jeden Sachsen 20.000 Mark bekam. Kohl glaubte noch nicht an die Grenzöffnung, wie in seinen Memoiren nachzulesen ist, und rief Michail Gorbatschow an, um nachzufragen, ob es genehmigt sei. Gorbatschow sagte nur: „Die Ungarn sind gute Menschen“. Und legte auf.
Was bedeutete das?
Der Geschichtsphilosoph Matthew Longo forscht derzeit ausführlichst zum Paneuropäischen Picknick. Sein bald erscheinendes Buch wird vom Phänomen der Unsicherheit handeln, die damals allgegenwärtig war. Gorbatschow war unsicher, weil er nicht wusste, wie lange er noch im Amt sein würde. Deswegen gab er Németh oder Kohl keine klare Antwort. Németh hatte Gorbatschow bereits fünfmal getestet, weil er nicht wusste, wie weit er gehen durfte. Árpád Bella, der berühmte Grenzer, der damals im Einsatz war und wegschaute, wusste nicht, ob er schießen sollte oder nicht. Wir waren die einzigen, die sich sicher waren, aber nur, weil wir von vielem nichts wussten.
Wovon wussten Sie nichts?
Dass es gefährlich war, das Picknick zu organisieren! Das realisierten wir erst im Nachhinein. Wir waren so tapfer wie in dem Witz über das alte, kranke Pferd, das gegen eine Betonmauer läuft und sein Verkäufer dem kritischen Interessenten sagt, das Pferd sei nicht blind sondern tapfer. So mutig waren wir! Hätte es im Kreml einen Linksruck gegeben, wären wir alle im Knast gelandet. Wir hatten keine Zeit um nachzudenken. Wir hatten so viel zu tun, dass wir froh waren, wenn wir ein bisschen schlafen konnten.
Welche Bedeutung hat das Picknick für die Wende?
Es hat Jahrzehnte gedauert, bis wir selbst die Wichtigkeit des Ereignisses erkannten. Aber trotzdem, ich sage immer: Wäre Franz Ferdinand nicht nach Sarajevo gefahren, dann hätte es den Ersten Weltkrieg trotzdem gegeben. Wenn das Picknick nicht stattgefunden hätte, dann wäre die Berliner Mauer trotzdem gefallen. Politiker wie Miklós Németh brauchen nur einen Anstoß. Hätten wir ihn nicht gegeben, wäre zwei Wochen später etwas anderes passiert. Wahrscheinlich in Ungarn. Vielleicht langsamer, vielleicht blutiger. Die Zeit war auf jeden Fall reif.
Warum wurde gerade Ungarn zum Wegbereiter der Wende?
Im Gegensatz zur DDR und den meisten anderen Ostblockländern fand bei uns im Politbüro der Staatspartei ein Generationswechsel statt. Es saßen keine alten Stalinisten mehr in der obersten Etage, sondern vor allem viele jüngere Reformer. Unser Ministerpräsident Miklós Németh war gerade einmal vierzig Jahre alt – im Gegensatz zu Erich Honecker und seinem überalterten Politbüro der SED! Deshalb gab es hier und in Polen die stärkste Opposition und deshalb bestand auch die Möglichkeit des Picknicks. Némeths Regierung konnte sich als erste Osteuropas von der Partei lösen: im Frühjahr 1989 erreichten sie eine Vertragsänderung, sodass Regierungsentscheidungen nicht mehr mit der Partei besprochen werden mussten! Für uns war Miklós Németh eine sehr positive Person, die viel geleistet hatte, auch wenn er sich später in anderen politischen Kreisen bewegte.
Wurde das Picknick im Nachhinein von Politikern instrumentalisiert?
Durch einen großen Einsatz der Stiftung Paneuropäisches Picknick'89 erreichten wir, dass die Parteipolitik immer weniger Einfluss auf die Gedenkveranstaltungen nimmt. Das Picknick ist eines der größten politischen Ereignisse in der Geschichte Ungarns, auf das jeder Ungar stolz sein sollte, egal welcher Partei er angehört. Wahrscheinlich wird es in der ungarischen Geschichte nie wieder vorkommen, dass Regierung und Opposition das Gleiche wollen – damals konkret den Fall des Eisernen Vorhangs. Beide Seiten waren aufeinander angewiesen. Die Politiker konnten kein Picknick organisieren, das konnten nur wir Zivilen. Zivile konnten aber keine Grenze öffnen. Das konnten wiederum nur die Politiker. Wir als Organisatoren haben unseren Job gemacht, Miklós Németh den seinen.
Wie laufen die Vorbereitungen für den diesjährigen 30. Jahrestag?
Dieses Jahr wird es eine super Feier geben. In den letzten Jahren war ich oft nicht mit dabei, da ich die Umsetzung nicht immer gelungen fand. Dieses Mal gab es jedoch eine sehr lange und professionelle Planungszeit, in der gemeinsame Brainstormings stattfanden. Zuständigkeiten und Gelder wurden ordentlich verteilt. Die Zusammenarbeit läuft sehr gut. Alle ziehen an einem Strang und fühlen sich für das Ganze verantwortlich. Seit dem Frühjahr laufen ein ungarnweites Quiz und ein Essay-Wettbewerb für Kinder und Jugendliche, die im Herbst von einem dreitägigen Berlinbesuch des Gewinnerteams gekrönt werden. Organisiert wird das vom Deutsch-Ungarischen Jugendwerk. Außerdem wird es natürlich um den 19. August herum ein wunderbares Festtagsprogramm geben.
Zur Person
László Nagy ist eine der sechs Personen, die am 18. November 1988 die Soproner Parteigruppe des MDF gründeten. Von 1988 bis 1996 war er ihr Präsidiumsmitglied und ab 1991 ihr Vorsitzender. Seit 1988 fungierte er gemeinsam mit Dr. László Magas und Dr. Félix Őrs als einer der drei MDF-Vertreter am Runden Tisch der Opposition von Sopron. Er war einer der Organisatoren des Paneuropäischen Picknicks, wofür er 1999 vom ungarischen Staatsoberhaupt das Ritterkreuz des Ungarischen Verdienstordens erhielt. Seit 1998 ist er Mitglied und Sekretär des Kuratoriums der Stiftung Paneuropäisches Picknick ’89. Er ist gelernter Chemie-Ingenieur, verheiratet und hat drei Kinder. Er verfasste zahlreiche Artikel, auch über das Paneuropäische Picknick, die auf der Homepage der Stiftung nachzulesen sind.
Mehr Informationen über die diesjährigen Veranstaltungen finden Sie auf Deutsch, Englisch und Ungarisch auf paneuropaipiknik.hu