Schon 2017 wurde das soziale Projekt hierzulande erstmals präsentiert. Im vergangenen Jahr machte Wapikoni zudem erneut im Rahmen des Budapester Menschenrechtsfilmfestivals Verzió auf sich aufmerksam. Damals wurde auch diskutiert, wie eine ungarische Version des Filmprojekts aussehen könnte. Nun, 2019, kann es endlich losgehen. Ort und Akteure stehen bereits fest: Schüler der Gemeinde Gyulaj im Süden des Landes werden an dem vierwöchigen Trainingsprogramm teilnehmen.

Die Jugendlichen sollen in dieser Zeit lernen, wie man einen Film konzipiert, dreht und schneidet. Das Resultat, so die Philosophie des Projektes, soll ein Stück ihrer Persönlichkeit repräsentieren. Und noch mehr: Es könnte vielleicht sogar das Leben des einen oder anderen grundlegend verändern.

Bei einem Probetag Mitte Juni machten sich die Filmemacher Clark Ferguson und Olivia Thomassie, die kanadische Botschafterin Isabelle Poupart sowie Zsuzsanna Kozák und weitere Mitglieder der NGO „Visual World Foundation“, die alle an der Umsetzung des Projektes beteiligt sind, bereits mit den potenziellen Teilnehmern vertraut.

Doch um was genau handelt es sich überhaupt bei diesem Projekt mit dem fremd klingenden Namen?


Wapikonis Vermächtnis

Mehr als 15 Jahre reicht die Geschichte Wapikonis zurück und begann mit einer Tragödie: dem Unfalltod der 20-jährigen indigenen Kanadierin Wapikoni Awashish. Die innerhalb ihres Stammes als führende Persönlichkeit geltende Awashish arbeitete zuletzt an einem gemeinsamen Projekt mit der kanadischen Filmemacherin Manon Barbeau. Im Andenken an sie brachte Barbeau das Wapikoni-Projekt auf den Weg. Im Namen der Verstorbenen, so heißt es auf der Webseite des Projekts, solle jungen Menschen der First Nations, also der indigenen Völker Kanadas, das Medium Film nähergebracht und damit den benachteiligten Jugendlichen neue Perspektiven ermöglicht werden. Die Wapikoni-Methode beinhaltet einen vierwöchigen Workshop, in dem die Teilnehmer lernen, eigene Geschichten – von der groben Skizze bis hin zum Schnitt – auf die Leinwand zu bringen. Die Ausstattung, das heißt Kameras, Software und das Know-how in Form von Profis, wird hierbei in einem Wohnmobil – das sogenannte „Wapikoni Mobile“ – an die abgelegenen Einsatzorte gebracht.

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Schülerin Elisabeth (vorne) kann es kaum erwarten, dass der Workshop endlich beginnt.


Seit 2004 hat das Wapikoni Mobile bereits 42 Gemeinden von 14 First Nations in Kanada besucht. Ungarn ist nicht das erste Land, für das das Projekt kanadischen Boden verlassen hat. Auch bei den Beduinen in Jordanien und Palästina und den Samen im Norden Norwegens wurden schon Workshops durchgeführt. Nach Aussagen des Projekts haben so bereits über 5.000 Menschen von Wapikoni profitiert und eigene Filmideen realisieren können.


Mit Unterstützung der kanadischen Botschaft

Isabelle Poupart ist die Botschafterin Kanadas in Ungarn. Sie war an der Vermittlung des Projekts in Ungarn beteiligt. „Ich finde das Projekt genial!“, sagte sie im Gespräch mit der Budapester Zeitung während der Veranstaltung im Prezi-Büro. Sie sei froh, dass es vorangehe. Schließlich verlässt die Kanadierin Ungarn schon im August, um ihre Laufbahn als Botschafterin in Deutschland fortzusetzen. Ob sie Wapikoni auch dorthin bringen möchte? „Ja, warum nicht!“, antwortete Poupart.

Doch zunächst wurde ein Probetag am 11. Juni in Gyulaj absolviert. Das Filmteam, die kanadische Botschafterin sowie Mitglieder der vermittelnden Budapester NGO Visual World Foundation machten sich auf den Weg in die vernachlässigte Gegend im Süden Ungarns. Gyulaj hat um die 1.000 Einwohner und liegt im Komitat Tolna, in der Region Südtransdanubien. Die Gemeinde hat einen hohen Roma-Anteil. Die Vorurteile gegenüber der ethnischen Minderheit in Ungarn erinnern an jene gegenüber der indigenen Bevölkerung Kanadas. In beiden Gruppen gibt es statistisch gesehen eine höhere Arbeitslosenquote, einen niedrigeren Bildungsstand und eine höhere Kriminalitäts- sowie Geburtenrate als in der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft. Hinzukommen eine überdurchschnittliche Häufigkeit von Alkohol- und Drogenproblemen. Angehörige sowohl der ungarischen Roma als auch der indigenen Bevölkerung Kanadas führen laut Experten häufig ein Leben am Rande der Gesellschaft als Folge der sozialen Exklusion.


Ein sinnstiftender Tag

Das Wapikoni-Projekt und seine Mitwirkenden wurden von der Gemeinde und der ausgesuchten Schule in Gyulaj mit offenen Armen empfangen. Ildikó Lacza ist die Direktorin der mitwirkenden József-Galló-Gesamtschule. Sie kennt die Probleme ihrer Schüler. Die Familien verlassen selten, wenn überhaupt, die Gemeinde. Erfolgreiche Vorbilder seien rar. Deswegen erschließe sich für ihre Schüler durch das Projekt eine völlig neue Welt, offenbarte die Direktorin im Budapester Büro des Softwareentwicklers Prezi.

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Der Kanadier Clark Ferguson ist Teil des Wapikoni-Teams. Hier zeigt erden interessierten Schülern, wie man einen Film am Computer bearbeitet.


Bereits während des Probetages entstanden in Gyulaj drei kurze Filme, auf die die Schüler, so die Direktorin, mächtig stolz seien. Einer dieser Filme wurde in Budapest dem Publikum präsentiert. Er handelt von den Ängsten 12- bis 14-jähriger Mädchen und strahlt doch Zuversicht aus. Die Aufführung des Videos ihrer Schützlinge rührte Direktorin Lacza zu Tränen. „Wenn wir so einen guten Film an einem Tag drehen konnten, was ist dann erst nach vier Wochen möglich?“, fasste Schülerin Elisabeth die Begeisterung ihrer Direktorin in Worte.


Spenden werden benötigt

Laut den Machern von Wapikoni stärke das Projekt das Selbstvertrauen der Teilnehmer. Hinterher könnten diese besser mit Stress umgehen, fühlten sich weniger einsam und hätten eine bessere Verbindung zu ihren kulturellen Wurzeln. Und natürlich erwerben sie dadurch technisches Wissen darüber, wie man Filme realisiert. Doch das Medium Film ist eigentlich nur Mittel zum Zweck. Es geht darum, die Jugendlichen zu inspirieren.

Das beste Beispiel dafür, dass dies dem Workshop auf alle Fälle gelingt, ist wohl Viola, 13 Jahre alt und aus Gyulaj. Sie nahm am Probetag des Projekts teil. Der Budapester Zeitung erzählte sie, dass ihr der Besuch des Filmteams mehr als nur Spaß bereitet habe. „Am Abend habe ich in mein Tagebuch geschrieben, dass mein Leben jetzt einen Sinn hat“, sagte die Schülerin. Diese Aussage verdeutlicht die Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen, die mit dem Stigma ihrer ethnischen Herkunft leben. Aber es zeigt auch, dass die Lage nicht ausweglos ist und man etwas bewirken kann.

Die anwesenden Schülerinnen in Budapest bescheinigten, es kaum erwarten zu können, tiefer in die Filmwelt und -technik einzutauchen. Damit das Projekt im Süden Ungarns jedoch endlich starten kann, braucht es noch finanzielle Unterstützung. Falls genug Spenden zusammenkommen, ist die Realisierung für Anfang 2020 geplant. Hierfür werden noch 15.000 Euro benötigt.

Mehr über das Wapikoni-Projekt erfahren Sie auf www.wapikoni.ca

Spendeninformationen erhalten Sie auf www.actionwapikoni.ca

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