Der Tee dampft aus der Kanne, das Stück Schokoladenkuchen liegt unbeachtet auf dem Teller, als nach und nach die Teilnehmer des Buchclubs durch die Tür des Buchcafés Massolit schlüpfen. Im hinteren Raum machen sie es sich auf den Sesseln und Stühlen bequem. An den Wänden ragen überfüllte Bücherregale bis an die Decke, englische gebrauchte Bücher lugen hervor.

Einige Teilnehmer blicken sich lächelnd, aber peinlich berührt an, beinahe alle sind sich fremd. Andere führen bereits Smalltalk, vielleicht um sich für die anstehende Buchdiskussion warm zu reden.

Punkt 18 Uhr eröffnet eine der Organisatorinnen des Buchclubs, Rita Gallo, das Treffen.

Hier kann jeder mitmachen, der sich auf Englisch über seine gelesenen Bücher unterhalten will. Diesmal geht es um Milan Kunderas Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins”. „Spoiler-Alarm für alle, die das Buch noch nicht gelesen haben”, warnt Rita Gallo. Ein Raunen geht durch den Raum, dann lacht eine brünette Frau mit Brille auf. Alle blicken sie an. Sie meint, sie habe das Buch noch nicht gelesen, erhoffe sich aber durch die Gesprächsrunde Lust zu bekommen, mit dem Lesen anzufangen.

#

Wieder lachen alle. Das Eis ist gebrochen. Nach einer kleinen Vorstellungsrunde zeigt sich schnell, wie unterschiedlich die Motivationen der Teilnehmenden sind.

Unterschiedliche Motivationen

Die brünette Frau meldet sich erneut zu Wort, sie komme aus Griechenland und arbeite als Übersetzerin. Als nächstes ein Italiener, er wolle durch den Buchclub lernen, schneller zu lesen. Als Jugendlicher habe er Monate oder sogar Jahre gebraucht, um ein Buch fertig zu lesen. Ein britischer Ingenieur finde es schade, dass er so wenig liest. Von der Teilnahme am Buchclub erhoffe er sich, dem Abhilfe zu schaffen. Eine Brasilianerin erklärt, dass sie als Siebzehnjährige den Roman nicht verstanden hatte, ein Venezolaner wiederum erzählt, dass es sein absolutes Lieblingsbuch sei. Eine tschechische Studentin gibt zu, sie habe noch nie an einem solchen Buchclub teilgenommen. Bisher kenne sie diese bloß als Klischee aus US-amerikanischen Filmen, in denen sich meist gelangweilte Hausfrauen zu solchen Aktivitäten zusammenfinden.

Den englischsprachigen Buchclub in Budapest gibt es erst seit November 2018. Organisiert wird er außer von der aus Ungarn stammenden Rita Gallo auch von der Australierin Tegan Cohen. Letztere habe sich bereits zuvor darum bemüht, ein derartiges Angebot auf die Beine zu stellen, erzählt sie. Über Facebook sei sie dann von Gallo kontaktiert worden, die die gleiche Idee gehabt habe. Die beiden taten sich zusammen. Seitdem organisieren sie gemeinsam die Treffen im Buchcafé Massolit.


Futter für den Geist

Im Buchclub geht es derweil zur Sache: Kunderas Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins”, der 1982 erschienen ist, spielt in der kommunistischen Tschechoslowakei. Er erzählt die wechselhafte Geschichte zweier ungleicher Paare.

Schnell kommt die Sprache auf die Hauptaussage des Romans. Die Organisatorinnen vertreten die Ansicht, dass Kundera in seinem Werk vermutlich dafür wirbt, dem Drang, den Sinn im Leben zu suchen, zu widerstehen. Ein Teilnehmer, der schon öfter bei den Treffen war, wirft ein: „Das Leben ist manchmal einfach und irgendwie auch nicht.“ Über den Schriftsteller sagt er: „Wäre Kundera heute ein junger Autor, würde er bestimmt bloggen und hätte so eine viel größere Reichweite, als es ihm mit seinem Buch gelungen ist.“

Einige Teilnehmer nicken und nach einiger Zeit sprechen alle durcheinander. Jeder hat eine andere Perspektive auf das Buch. Gemeinsam entwickelt man Ideen über die Bedeutung des Werkes sowohl im Kontext seiner Entstehung als auch in der Gegenwart.

#

Als die letzten Gespräche verebben und die Diskussionen über Handlung, Hintergrundgeschichte und Figuren ausgeschöpft sind, löst sich die Runde langsam auf. Alle scheinen mit dem guten Gefühl, dem eigenen Geist etwas Futter geboten zu haben, nach Hause zu gehen.

Das nächste Treffen des englischsprachigen Budapest Book Clubs findet am 16. Mai statt. Dann wird über die Romantrilogie „Unsere Vorfahren” des italienischen Schriftstellers Italo Calvino gesprochen.


Buchcafé Massolit

Budapest, VII. Bezirk, Nagy Diófa utca 30

Treffen immer zwischen 18 und 19.30 Uhr

Weitere Informationen finden Sie auf der Facebookseite des Buchcafés unter www.facebook.com/MassolitBudapest

Konversation

WEITERE AKTUELLE BEITRÄGE
Regierungsbeschlüsse

Ende für Transitzonen

Geschrieben von BZ heute

Am kommenden Dienstag reicht die Regierung jene Vorlage im Parlament ein, mit der sie um die…

Im Gespräch mit Columbo, Frontmann der Band Irie Maffia

Musik in der Quarantänezeit

Geschrieben von Péter Réti

Vor 15 Jahren wurde die ungarische Band Irie Maffia gegründet. Die Budapester Zeitung sprach mit…

Brettspielverleih „Játszóház Projekt”

Lasset die Spiele beginnen!

Geschrieben von Elisabeth Katalin Grabow

Gezwungenermaßen verbringen viele Menschen heute mehr Zeit daheim. Da wird die Suche nach neuen…