Laut einer aktuellen Studie des Forschungsinstituts Policy Solutions sind die Ungarn ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Union nicht abgeneigt. Ganz im Gegenteil: Der Studie zufolge bewerten 65 Prozent die EU als positiv und nur 25 Prozent als negativ. Gleich drei Viertel meinten, die 15 Jahre Ungarns in der Gemeinschaft seien für das Land von Vorteil gewesen – bei den jungen Menschen unter 30 Jahren waren es sogar 81 Prozent.

Damit erreicht Ungarn den vierten Platz im europäischen Vergleich in Sachen positiver EU-Bewertung. Am 29. April trafen sich zwölf Experten auf dem Gebiet der EU-Mitgliedschaft der Visegrád-Gruppe zu einer Konferenz in den Räumlichkeiten der CEU, um über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieser Länder in der EU zu diskutieren. Organisiert wurde das Treffen durch das „Center for European Neighborhood Studies“ (CENS) der CEU und die ungarische Dependance der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung. Für Péter Balázs, Leiter des CENS, war die Konferenz ein „weiterer Meilenstein“ hinsichtlich der Zusammenarbeit von CEU und Friedrich-Ebert-Stiftung.


Polen und Ungarn: abfallender Demokratie-Wert

Wolfgang Merkel ist Direktor der Abteilung „Demokratie und Demokratisierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er stellte zu Beginn der Konferenz einige relevante wissenschaftliche Hintergründe zum Phänomen der demokratischen Regression in West- und Osteuropa vor.

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Professor Wolfgang Merkel verdeutlichte anhand von wissenschaftlichen Daten die rückläufigen Demokratie-Werte von Polen und Ungarn.


Insgesamt zeige sich in beiden Teilen Europas, ein gleichbleibender bis leicht sinkender Wert beim von Merkel untersuchten Demografieindex. Vereinzelt seien aber größere Unterschiede bemerkbar, so der Professor. Polen und Ungarn hätten in den letzten Jahren einen dramatischen Abfall erlebt. Indikatoren für so einen „demokratischen Index“ sind zum Beispiel der Wert der sozialen Gleichheit oder der Freiheitsgrad. Professor Merkel bemerkte hierzu jedoch, dass man die Indikatoren unterschiedlich wählen und interpretieren könne.


Länder entwickeln sich unterschiedlich

In zwei Gesprächsrunden beschäftigten sich Forscher damit, was seit der europäischen Integration der Visegrád-Gruppe, bestehend aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn, passiert ist. An der ersten Gesprächsrunde waren die slowakische Soziologin Oľga Gyárfášová, der ungarische Politologe Péter Krekó und der französische Jurist Laurent Pech beteiligt. Das Panel setzte den Fokus auf die wohl größte Herausforderung für die EU seit der Eingliederung der Visegrád-Gruppe: die anti-demokratischen Tendenzen. Die Forscher beschrieben Gründe wie es hierzu kommen konnte sowie Möglichkeiten aus dieser „latenten Krise“.

Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Middlesex in London, Laurent Pech, beschrieb die EU-Perspektive auf die anti-demokratischen Tendenzen in Polen und Ungarn. Die EU hätte die schleichenden Prozesse zwar früh erkannt, doch seien die Instrumente der EU zur Bekämpfung dieser bis jetzt nicht besonders effektiv gewesen oder erst gar nicht eingesetzt worden. Das müsse sich in Zukunft ändern.

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Péter Balázs, Leiter des CENS, dankte den internationalen Teilnehmern der Konferenz für ihre konstruktiven Beiträge.


Oľga Gyárfášová schilderte die Lage der Slowakei als „weniger deprimierend als in Polen und Ungarn“. Diese positivere Situation erklärte sie mit der loyalen Haltung der Slowakei gegenüber der EU, auch wenn die letzte Wirtschaftskrise dieser Loyalität Abbruch getan habe. Außerdem nannte sie den Beitritt zur Euro-Währung 2009 als Grund für die intensivierten Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Slowakei und dem Rest der Europäischen Union. Die Slowakei ist der einzige Staat der Visegrád-Gruppe, in dem der Euro offizielles Zahlungsmittel ist. Dass die Slowaken keine „autoritäre Regierung“ mit Staatsmännern wie Orbán und Kaczyński gewählt haben, sondern zuletzt die „Parade-Demokratin“ Zuzana Čaputová, sei ihrer Meinung nach besonders wichtig. Die Slowakei sei zwar ein loyales EU-Mitglied, jedoch noch kein aktiver Part der Staatengemeinschaft, bemängelte Gyárfášová.


Identitätspolitik als Gefahr

Péter Krekó sieht die Gefahr in Ungarn vor allem in der betriebenen Identitätspolitik der Regierung. Das offizielle Ziel sei hierbei das „eigene Volk“ zu stärken. Das ermögliche den Menschen in Machtpositionen anti-demokratisches Handeln zu rechtfertigen. Krekó nannte hierfür das Beispiel offensichtlicher Korruption, welche der Popularität der ungarischen Politiker nicht zu schaden scheint.

Krekó nannte auch einen weiteren identitären Aspekt als Grund der illiberalen Tendenzen Ungarns. Ungarn habe nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion den Westen imitiert. Da heutzutage dieser Westen häufig als „zu multikulti“ empfunden werde, sehe sich der Osten Europas nun als „letzte Bastion des alten Europas“. Daraus habe sich in Ungarn ein „National- und Wohlfahrtschauvinismus“ entwickelt, so der ungarische Politikwissenschaftler. Unter diesen Begriffen versteht man die Befürwortung eines ausgebauten Wohlfahrtsstaats, dessen Einrichtungen jedoch nur einer bestimmten Gruppe zur Verfügung stehen sollen. Péter Krekó: „Damit lässt sich unter anderem auch der Hass auf Migranten erklären.“

Im zweiten Panel befassten sich die Experten Zuzana Stuchlíková, Dániel Bartha, Alena Kudzko und Wojciech Przybylski mit dem Ist-Zustand der Europäischen Union nach 15 Jahren Osterweiterung und damit, welche Rolle dabei die Visegrád-Gruppe spielt und weiterhin spielen wird.

Unter dem Titel „Central European Futures“ hat der polnische Journalist Wojciech Przybylski in Kooperation mit weiteren Experten fünf Szenarien für die Visegrád-Gruppe im Jahre 2025 veröffentlicht. Diese sind im Internet nachzulesen. Ein Szenario nennt Przybylski „Central Europe Spring 2.0“. Wie der Titel bereits suggeriert, geht es hierbei um eine demokratische Revolution, ein Aufbäumen einer neu-politisierten Jugend in den Staaten Zentraleuropas.

Die Panelteilnehmer konnten sich darauf einigen, dass Zentraleuropa und insbesondere die vier Visegrád-Staaten „eine Debatte über sich selbst brauchen“ und sich stärker als Region identifizieren sollten.

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