Wie lief das erste abgeschlossene Geschäftsjahr? Geht es in die richtige Richtung?

Die Übernahme eines solchen Unternehmens – das aus unserem Blickwinkel riesig ist, beschäftigt es doch viertausend Mitarbeiter an fünf Betriebsstätten – ist ein zeitaufwendiger Prozess. Wenngleich es für einen Konzern wie General Electric (GE) eine kleine Einheit darstellt – genau aus diesem Grund entschieden sich die Amerikaner für die Portfoliobereinigung und den Verkauf –, wird doch bei jeder solchen Transaktion ein Übergangszeitraum von ein bis zwei Jahren einkalkuliert. Wir können sagen, dass wir in diesem Jahr alle damit zusammenhängenden Aufgaben abgeschlossen haben werden. Obendrein ist uns GE als Kunde treu geblieben: Rund ein Viertel der Umsatzerlöse generiert der US-Konzern. Wir verfolgten den Plan, mit der Tungsram-Gruppe im ersten eigenständigen Geschäftsjahr Umsätze von neunzig Milliarden Forint zu erzielen, also so viel, wie die übernommenen Betriebsstätten zuvor realisierten. Das ist uns gelungen, und auch das Ergebnis entsprach unseren Erwartungen.


Wie kam es zur Übernahme?

Auf dem Zenit meiner Karriere angekommen musste ich abwägen, ob ich meinen Weg bei einem multinationalen Unternehmen fortsetze und mit der Chance zu einer weiteren Stufe der Karriereleiter irgendwann in ein anderes Land delegiert werde. Ich war mein ganzes Leben ein Manager und Leiter mit Unternehmergeist. Ich überlegte, dass die Alternative der Aufbau eines Startups von Grund auf wäre, mit allen Schönheiten, Risiken und Schwierigkeiten dieser Herausforderung. Als Vater von drei Kindern wollte ich aber nicht unbedingt mehr Risiken und Schwierigkeiten suchen, also lenkte ich meine Gedanken auf eine Zwischenlösung. Als sich GE an eine Profilbereinigung machte, stellte sich mir die Frage: Warum sollte der Konzern seine Beleuchtungssparte nicht besser mir verkaufen? Dieses Unternehmenssegment besitzt enorm viel Potenzial. Während meiner Arbeit als Leiter habe ich nach einer gewissen Zeit nicht mehr nur danach gestrebt, gute Ergebnisse für das Unternehmen zu erzielen und die Gewinnerwartungen zu erfüllen, sondern auch Gutes für die Gesellschaft zu tun und mit meinen Geschäftspartnern Win-Win-Situationen zustande zu bringen. Diese Übernahme ist, so hoffe ich doch sehr, ein solcher Schritt: Dieses für GE zu kleine Geschäftssegment ist für uns riesig und bietet somit gute Ziele und Perspektiven. Wir bauen einen ungarischen, innovativen und flexiblen Multi.


Was für eine Zukunft stellen Sie sich für dieses Unternehmen vor? Was für ein Gefühl ist es, einen solchen Traditionsbetrieb zu leiten?

Ich habe die Geschäftsbereiche von GE Lighting für Europa, den Nahen Osten, Afrika und die Türkei sowie das globale Autolampengeschäft gekauft. Nach der Übernahme der ungarischen Einheiten folgte in mehreren Schritten das internationale Geschäft. Tungsram darf heute mit Ausnahme von Nordamerika überall auf der Welt Beleuchtungstechnik für Gebäude und den öffentlichen Raum verkaufen, und an jedem beliebigen Ort Autolampen. Wir können uns eines Vertriebsnetzes in mehr als einhundertzehn Ländern bedienen, so dass wir in der Beleuchtungstechnik und auf anderen – heute noch als innovativ anzusehenden – Gebieten ein wichtiger globaler Akteur werden können. Auf dem Markt der herkömmlichen Glühbirnen – wo in der EU beispielsweise sogar Halogenlampen längst verboten sind – gibt es nur wenige große Akteure, weil es sich hier um ein besonders technologieintensives Segment handelt.

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„Ungarn befand sich lange Zeit unter den größten Nationen auf dem Gebiet der Agrarforschung. Wir tragen mit dazu bei, dass hier eine neue Blütezeit anbricht.“

Die Beleuchtungstechnik steht für achtzig Prozent unseres Gesamtumsatzes. Ungefähr ein Drittel davon entfällt auf Autolampen, die Hälfte auf allgemeine Lampen, unter denen LED-Lampen und herkömmliche Glühbirnen mittlerweile im Gleichgewicht sind. Die Akteure der Automobilindustrie sind seit eh und je unsere Kunden, wobei uns die hier erreichte Premium-Qualität zugleich für die Flugzeug- und Weltraumtechnologie prädestiniert.

Die Bedeutung der herkömmlichen Glühbirnen sinkt Jahr für Jahr, weshalb auch wir bestrebt sind, uns anderen Produkten zuzuwenden, die wir zu produzieren imstande sind. Unsere Entwicklung geht also in diese Richtung, um den Anteil von heute noch zwanzig Prozent anzuheben, der in Zukunft vielleicht die Hälfte unserer Produktion erreichen könnte. In Ungarn fertigen wir auch weiterhin an fünf Standorten, einschließlich der Unternehmenszentrale in Budapest.


An welche neuen Gebiete oder Produkte denken Sie?

Der Eintritt in neue Segmente erfordert lange Vorbereitungszeiten: Am Anfang stellen wir nur einzelne Komponenten her, schrittweise erhöht sich dann die Fertigungstiefe. In unseren Fabriken ist der Einsatz aller denkbaren Materialien machbar: von Glas, Metall, Keramik ebenso wie Kunststoff. Das Umprogrammieren von Maschinen und Fertigungslinien ist eine Aufgabe der Informatik. Auch dieses Team stocken wir im Übrigen systematisch auf.

Unser zweitwichtigstes Forschungsgebiet ist das sogenannte Indoor-Farming, woran die Pharmaindustrie und die Landwirtschaft gleichermaßen interessiert sind. Es ist eine außerordentlich relevante, globale Frage, wie sich künftig zehn Milliarden Menschen ernähren lassen und wie der Pflanzenanbau unter ungünstigen Klimaverhältnissen sichergestellt werden kann. Die Agraringenieure erforschen heute bereits mit exakten Instrumenten, welches Spektrum der Lichtstrahlen einzelne Pflanzen am meisten verwerten, die sich dann mit Hilfe künstlichen Lichts züchten lassen. Die Eigenschaften solcherart gezüchteter Pflanzen unterscheiden sich nicht von jenen der Freilandpflanzen. Die Rahmenbedingungen aber (wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Wasser- und Lichtintensität und Kohlendioxidkonzentration) sind vollständig unter Kontrolle. Das Know-how der entsprechenden Lichteinstellungen, die Infrastruktur zum Erwerb der aus den Pflanzen zu gewinnenden Informationen sowie die Lampen an sich sind jene Dinge, die wir im Rahmen solcher Projekte später vermarkten können. Ungarn befand sich lange Zeit unter den größten Nationen auf dem Gebiet der Agrarforschung. Wir tragen mit dazu bei, dass hier eine neue Blütezeit anbricht, indem wir eine Art Brücke zwischen Wissenschaft und Markt bauen.


In welchem Stadium befinden sich diese Forschungen?

Unsere Forschungen befinden sich vorerst noch in der Pilotphase, doch neben der Szent-István-Universität Gödöllő ist auch jene Veresi Paradicsom Kft. unser Partner, die bereits Tomaten im Gewächshaus züchtet. Dort wird nun ein neues Versuchsgelände mit unseren Lampen ausgestattet.


Wie lauten Ihre wichtigsten strategischen Zielstellungen?

Unser Unternehmen produziert zu 95 Prozent für den Export; daran wird sich nichts ändern, zumindest was die Beleuchtungstechnik, die Fertigung herkömmlicher und von LED-Lampen betrifft. Die Automobilindustrie steht weiter im Fokus, sowohl bei Autolampen als auch bei Batterien. Auf letzterem Gebiet möchten wir uns auf die Herstellung von Autobatterien der nächsten Generation konzentrieren. An allen Fronten besteht Bedarf an unseren Produkten, weshalb wir uns weiterentwickeln und expandieren wollen.


Auf welchen Führungsstil schwören Sie?

Ich bin kein Fan des Mikromanagements, ich bin eher beim Ausarbeiten von Strategien gut. Am liebsten umgebe ich mich mit Leuten, die fähig sind, eigenständig zu entscheiden. Nach meinem Dafürhalten ist es bei der Umsetzung der einzelnen Aufgaben nicht erforderlich, alles bis ins Detail vorzugeben. Sobald ein Vorgang jedoch ins Stocken gerät oder die Kollegen um Hilfe bitten, stehe ich selbstverständlich zur Verfügung.


Wie läuft die Zusammenarbeit mit Ihren Mitarbeitern?

Ich glaube daran, dass die Mitarbeiter von allen Veränderungen und Neuausrichtungen wissen müssen. Deshalb bildet die Kommunikation einen Großteil meiner Tätigkeit. Wir geben betriebsintern einen Rundbrief aus, und häufig stelle ich mich vor meine Kollegen hin, um ihnen persönlich mitzuteilen, wohin die Reise mit unserem Unternehmen geht. Dabei kann es niemals genug Informationen geben, also muss der Informationsfluss ständig am Laufen gehalten werden.

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Zur Person

Der heute 48-jährige Jörg Bauer lebt seit nunmehr zehn Jahren ununterbrochen in Ungarn – die früher in mehreren Abschnitten hierzulande verbrachten sechs Jahre eingerechnet hat er mehr als die Hälfte seines Erwachsenenlebens in Ungarn verbracht. Er ist verheiratet und hat drei Söhne von 9, 13 und 15 Jahren.

Seine Abschlüsse als Ökonom machte er in Bonn und an der Universität Köln (MBA), bevor er internationales Management (CEMS MIM) in Köln und an der Corvinus-Universität in Budapest studierte bzw. ein Gastjahr an der Oxford University absolvierte.

Er war als Banker und mehr als acht Jahre bei Audi tätig, doch der Hauptteil seiner Karriere gehörte GE, wo er ab 2009 Finanzdirektor für Mitteleuropa der Sparte GE Healthcare war, bevor er 2013 Vorstandsvorsitzender der GE Hungary wurde. Im Jahre 2018 erwarb er das Gros der Geschäftssparte GE Lighting, mit der Kernmarke Tungsram. Seit Januar unterrichtet er nebenbei MBA-Studenten an der Universität Debrecen.

Seine Lieblingsfilme sind „Blade Runner“, „Invictus“ und „Bohemian Rhapsody“, er liest besonders gerne historische Romane und Science Fiction (schon als Kind verschlang er die ersten 600 Teile der Perry Rhodan-Geschichten), vor allem von Philip K. Dick.

Seinen Musikgeschmack treffen am ehesten Verdi-Arien, Queen, Depeche Mode und Hans Zimmer. In seiner Freizeit geht er auch gerne ins Fitnessstudio oder liest Bücher über technologische Trends.

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