Das Mandat von György Matolcsy an der Spitze der MNB wurde um sechs Jahre verlängert. Was würden Sie an der Tätigkeit des Notenbankpräsidenten hervorheben?

In der Ungarischen Nationalbank (MNB) trat in den vergangenen sechs Jahren eine spektakuläre Wende ein; praktisch hat sich ein monetärer Systemwandel vollzogen. In diesem wirtschaftshistorischen Prozess diente die Zentralbank des Landes den ungarischen finanzwirtschaftlichen Interessen. Der Unterschied zur früheren MNB-Politik sticht ins Auge, denn vor 2013 konnte man so etwas nicht behaupten!


Was verstehen Sie darunter, dass die MNB den ungarischen finanzwirtschaftlichen Interessen diente?

Konkret verstehe ich darunter, dass sie im Sinne der gesamtwirtschaftlichen Leistung und der gesellschaftlichen Stabilität handelte und weiter handelt. Indem die monetäre Politik neben der eigenständigen Notenbankpolitik gleichzeitig eine Strategie zur Unterstützung der Regierung und ihrer wirtschaftspolitischen Zielstellungen darstellt. Letzteres bedeutet zugleich, dass eine ausgezeichnete und abgestimmte Zusammenarbeit mit der fiskalischen Politik zustande gekommen ist. Infolgedessen zeigt sich seit 2013 ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum, wurden Finanz- sowie Preisstabilität geschaffen und befindet sich der Leitzins der Notenbank seit mittlerweile drei Jahren auf einem historischen Tiefstand. Seitdem György Matolcsy der Präsident der MNB ist, ist der Leitzins nicht gestiegen – die MNB hält diesen seit Jahren auf 0,9 Prozent. Das bedeutet felsenfeste Finanzen für die einheimischen Unternehmen ebenso wie für die Familien und die ausländischen Anleger.


Nach Ansicht mancher Ökonomen, die György Matolcsy kritisieren, reagiert die ungarische Wirtschaft gar nicht so sensibel auf das Zinsniveau, mit anderen Worten wird dem Umstand keine übermäßig große Bedeutung beigemessen, dass der Leitzins auf seinem niedrigen Niveau verharrt.

Das ist der größte Unsinn, den ich je gehört habe. Abgesehen davon, dass die ungarische Wirtschaft finanziell stabil ist, was berechenbare Entwicklungschancen bereithält, würden die Zinszahlungen auf die Staatsschulden heute wesentlich höher ausfallen, wenn die Notenbank nicht ihren Zinssenkungszyklus eingeleitet hätte! Unbeeindruckt der Tatsache, dass die MNB die Staatsschulden in Zusammenarbeit mit der ungarischen Regierung von 85 auf 69 Prozent am Bruttoinlandsprodukt senken konnte. In ähnlicher Weise relevant ist es, dass der Devisenanteil der Schulden zur gleichen Zeit von 55 auf 10 Prozent abgebaut werden konnte. Summa summarum: Gestützt auf diese Fakten denke ich, dass die ungarische monetäre Politik erfolgreich ist und angemessen den wirtschaftlichen Zielstellungen der Regierung dient.


Was erwarten Sie von den nächsten sechs Jahren?

Eine ähnliche Kreativität! Da werden wir sicher nicht zu kurz kommen, nachdem die Zentralbank ein Paket mit 330 Punkten für mehr Wettbewerbsfähigkeit zusammengestellt hat. Mit dem ehrgeizigen Ziel, bis 2030 achtzig Prozent des Entwicklungsniveaus von Österreich zu erreichen.


2030 ist gar nicht so weit weg, Österreich aber ist ein außerordentlich modernes Land, die Nummer drei unter den reichsten Mitgliedstaaten der EU. Kann dieses ehrgeizige Ziel gelingen?

Es ist eine historische Aufgabe, den wirtschaftlichen Entwicklungsstand unserer westlichen Nachbarn zu erreichen. Während der Zeit der Monarchie beispielsweise befanden wir uns nahe am österreichischen Lebensniveau. Wenn es damals gelingen konnte, warum sollte es heute nicht wieder gelingen? Wer das besagte Paket der Notenbank gründlich studiert, der wird erkennen: Sollten die Pläne der MNB verwirklicht werden, dann wird unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig und produktiv.


Was sagen Sie zu Behauptungen, ohne die Multis und die Fördermittel der EU könnten wir den Laden dichtmachen?

Wer dergleichen behauptet, unterschätzt die Fähigkeiten der ungarischen Wirtschaft, vor allem das enorme Potenzial, welches in den Klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) steckt. Im Übrigen konnten alle modernen westlichen Staaten gestützt auf den KMU-Sektor ihre enorme Entwicklung erreichen, nicht dank Multis oder EU-Geldern. Denken wir nur an Österreich, Bayern oder Norditalien.


Die Wettbewerbsfähigkeitswende könnte zum Beispiel durch die Einführung des Euro begünstigt werden, wie das bei den Slowaken der Fall war. Oder sehen Sie das anders?

Während wir allmählich jedes einzelne Kriterium erfüllen, das zur Einführung der Gemeinschaftswährung vonnöten ist, sollten wir doch nicht vergessen, dass der Euro noch immer zu stark für die ungarische Wirtschaft ist. Wir wollen nicht das Schicksal der Italiener oder der Griechen teilen. Für eine dermaßen starke Währung bedarf es eines gewissen wirtschaftlichen Entwicklungsniveaus.


Der Forint notiert derweil schwach. Würden Sie auf diesem Gebiet keine effizienteren monetären oder wirtschaftspolitischen Maßnahmen erwarten?

Schauen Sie, theoretisch bestimmen die Prozesse am Markt den Kurswert des Forint.


Theoretisch?

Genau, denn in der Praxis attackieren verschiedene Finanzkreise den Kurs des ungarischen Zahlungsmittels und spekulieren dagegen – mittlerweile seit 2010. Ein Eurokurs von 300 Forint wäre realistisch, wenn man von den makroökonomischen Fakten ausgeht. Ich denke, früher oder später wird sich die Lage normalisieren, wenn die Akteure an den Geldmärkten erkennen, dass es keinen Sinn macht, sich mit der ungarischen Regierung und der Notenbank anzulegen.


Aus Ihren Worten gewinnt man den Eindruck, dass alles bestens ist. Kommt der wachsende Wohlstand auch weiter unten an?

Selbstverständlich! In der Folge der monetären, fiskalischen und dabei speziell der steuerpolitischen Maßnahmen fährt die gesamte ungarische Gesellschaft gut. Neben den Programmen zum Schutz der Familien generiert die einheimische Wirtschaftspolitik auch in diesem Jahr wieder beträchtliche Lohnerhöhungen. Der Mindestlohn und das garantierte Lohnminimum für Fachkräfte sind erheblich gestiegen. Ersterer erreichte 2019 brutto 149.000 Forint, welcher Betrag nach meinem Dafürhalten 2020 brutto 170.-180.000 Forint erreichen könnte. Mit dem Wachstum dieser beiden Mindestlohnkategorien werden auch die darüber angesiedelten Einkommen in einer Art Kettenreaktion zunehmen. Mit anderen Worten kommen die positiven Effekte des Wirtschaftswachstums den Unternehmen und den Familien zugute.


Wie würden Sie eine gute Wirtschaftspolitik definieren?

Das ist eine ganz simple Geschichte: Eine gute Wirtschaftspolitik kleidet nicht nur die makroökonomischen Verhältnisse eines Landes in buntere Farben, vielmehr verspüren ebenso der Arbeitsmarkt, die Unternehmen und die Familien die positiven Auswirkungen der Konjunktur. Übrigens ist die ungarische Wirtschaftspolitik seit 2010 genau darauf ausgelegt. Zusammenfassend gesagt steigen Löhne wie Einkommen und sinken systematisch die Steuern.


Worin besteht der Unterschied zwischen der Wirtschaftspolitik der heutigen und der früheren Regierungen?

Die bürgerliche Regierung arbeitet seit nunmehr 2010 daran, die Arbeitnehmer in eine bessere Lage zu bringen. Der Unterschied lässt sich auch konkret nachvollziehen: In den acht Jahren der MSZP-SZDSZ-Regierungen stieg der Mindestlohn um ganze 20.000 Forint, doch seit 2010 wird dieser stufenweise und kontinuierlich angehoben. Diese Regierung verfolgt das Ziel, eine unaufhaltsame Konvergenz zu den westeuropäischen Löhnen zu realisieren.

Zur Person

Der 56-jährige Dozent lehrt an mehreren Universitäten.

Er begann seine berufliche Laufbahn 1990 als Analyst bei der Ungarischen Nationalbank und war später Direktor der Dunabank. 1996 wurde er zum Lehrstuhlleiter an der Westungarischen Universität Sopron berufen, 2003 wurde er Prodekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Seit 2009 ist er Privatdozent an der Universität Kaposvár, seit 2012 Dozent der Verwaltungsuniversität NKE und seit 2014 Dozent der Szent-István-Universität Gödöllő. Professor Lentner war Gastforscher in Frankreich, England, China und den USA, er ist Mitglied des Club of Rome.

In der Politik engagierte er sich zunächst als Finanzberater der Kleinlandwirtepartei FKGP (bis 1998). Seit 1994 saß er in der Budapester Bürgerschaft, 1997 wurde er in den Parteivorstand der rechtsradikalen MIÉP gewählt. Für diese Partei saß er 1998-2002 im Parlament; nach der verpassten Wiederwahl trat er aus der MIÉP aus. Seit 2004 ist er Mitglied des Fidesz.

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