Nach all den wenig überzeugenden Versuchen, das völlig zerrüttete Verhältnis zwischen dem Fidesz und der von westlichen ex-konservativen Parteien dominierten EVP immer wieder zu kitten, wirken die Gedankengänge des Leitartikels erfrischend ehrlich. Man gewinnt den Eindruck, als wäre hier jemand am Werk gewesen, der es regelrecht auskostet, endlich einmal ungeschminkt das niederzuschreiben, was er sieht.

Der Schwall an Vorwürfen gegenüber den ideologisch abtrünnig gewordenen ehemaligen weltanschaulichen Partnern gipfelt in der Konklusion: „Die Volkspartei hat sich für die Sozialisten und Liberalen entschieden, und will ihnen gefallen. Für den Fidesz bleibt nur ein Weg: die Schaffung eines neuen Bündnisses.“

Nach diesem Vorstoß mit dem Leitartikel wurde freilich sofort wieder zurückgerudert. Noch am gleichen Tag äußerte sich der für moderate Töne zuständige Kanzleramtschef Gergely Gulyás wieder ganz versöhnlich zum Verhältnis Fidesz-EVP.

Die Taktik ist klar. Weder war der Leitartikel ein Zufall, noch sind die Erklärungen von Gulyás endgültige Parteilinie. Im Moment wird einfach nur ausgetestet. Welcher Schritt löst welche Reaktionen aus? Wie weit und bis zu welchen Reaktionen kann gegangen werden? Die kürzlich Juncker-Plakatkampagne war ganz sicher ein solcher Testballon.

Unter den Reaktionen interessieren weniger die völlig absehbaren linken und liberalen Empörungsschreie, sondern vor allem die ausgebliebenen Unmutsbekundungen, insbesondere von Seiten mitteleuropäischer EVP-Parteien. Und sicher wird auch genau registriert, von welcher Seite wieviel Beifall kommt und welche potenziellen zukünftigen Verbündeten durch derlei Aktionen aus der Deckung gelockt werden können.

Selbst wenn jetzt die Juncker-Plakatkampagne gestoppt und eine geplante Timmermans-Plakatkampagne vorerst auf Eis gelegt wurde, ändert das nichts an der Tatsache, dass man sich ideologisch auseinandergelebt hat. Der Fidesz hat über all die Jahre sein konservatives Profil weiter ausgeprägt, während sich fast alle westlichen konservativen Parteien darauf verlegt haben, unter Preisgabe konservativer Positionen lieber linken, grünen und liberalen Wählern sowie deren Medien zu gefallen.

Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die westeuropäischen Ex-Konservativen wie aus einem schlechten Traum erwachen und sich mit einem Mal wieder stramm für konservative Werte engagieren. Noch unwahrscheinlicher ist es jedoch, dass der auf der konservativen Welle höchst erfolgreich segelnde Fidesz sich jemals für linkes, grünes oder liberales Gedankengut erwärmen wird.

Eine ideologische Annäherung der beiden Seiten ist also so gut wie ausgeschlossen. Worauf wird dann aber noch gewartet? Warum bekämpfen sich die EVPler zum Gaudium der Fraktionen links von ihnen immer weiter, statt endlich einen sauberen Schlussstrich zu ziehen?

Sicher, es gibt pragmatische Überlegungen. Der Fidesz braucht die starke EVP als Schutzschild. Insbesondere mit Blick auf die von ideologischen Gegnern immer wieder ins Feld geführten finanziellen Strafaktionen gegen Ungarn. Die Juncker-Daul-Weber-Truppe wiederum braucht den Fidesz als simplen Mehrheitsbeschaffer und für die Verwirklichung der eigenen Ambitionen.

So wird sich also fleißig weiter verrenkt und geheuchelt. Machtstrategisch ist das sicher nachzuvollziehen, mit Blick auf die Wähler ist dieses Spiel jedoch zutiefst unehrlich.

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