Als umstritten gilt Viktor Orbáns christlich-nationalkonservative Partei innerhalb der europäischen Parteifamilie, der EVP, schon seit Längerem. Besonders harsche Kritik erntete der regierende Fidesz von einigen EVP-Kollegen bisher unter anderem für seine Anti-Soros-Kampagnen und den damit verbundenen Streit um die Central European University. Zudem läuft gegen Ungarn seit Herbst 2018 aufgrund angeblicher Verstöße gegen demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien ein EU-Strafverfahren.

Nachdem in der EVP bereits in der Vergangenheit vereinzelte Rufe nach einem Rauswurf der ungarischen Schwesterpartei laut geworden waren, etwa 2018 vonseiten der niederländischen Christdemokraten, brachte für andere erst die neuerliche Plakatkampagne der ungarischen Regierung das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen. Darin unterstellt sie EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker – selbst Mitglied der EVP – mit dem US-amerikanischen Milliardär György Soros im Bunde zu stehen, um illegale Einwanderung in die EU zu befördern und den nationalen Grenzschutz zu schwächen.

Zur Entspannung der Situation trug auch nicht bei, dass der ungarische Ministerpräsident seine EVP-internen Kritiker vergangene Woche in einem Interview mit der deutschen Welt am Sonntag als „nützliche Idioten der Linken“ beschimpfte.

Am 20. März wird über einen möglichen Ausschluss debattiert

Nun haben EVP-Mitglieder offiziell den Ausschluss der Partei beantragt. Insgesamt haben sich zwölf Mitgliedsparteien aus neun EU-Staaten dafür ausgesprochen, die Mitgliedschaft des Fidesz zu beenden oder zumindest vorübergehend auszusetzen, bestätigte EVP-Vorsitzender Joseph Daul. Laut den Statuten der europäischen Partei reichen auch sieben Mitgliedsparteien aus fünf Ländern aus, um eine entsprechende Abstimmung in Gang zu setzen.

Die Debatte über die Zukunft des Fidesz in der EVP soll am kommenden Mittwoch stattfinden, wenn sich die Partei zur Vorbereitung des anstehenden EU-Gipfels in Brüssel trifft. Hier wird die ungarische Regierungspartei erneut die Chance erhalten, ihr Verhalten zu verteidigen. Man erwartet, dass dabei Viktor Orbán selbst sein rhetorisches Schwergewicht in den Ring werfen wird.

An der Abstimmung nehmen voraussichtlich 56 Parteien teil. Für einen Ausschluss wird eine einfache Mehrheit der anwesenden Abgeordneten benötigt.

Schon jetzt positionieren sich einige EVP-Abgeordnete und Vertreter der Mitgliedsparteien in der europäischen Presse. Während es die deutschen Unionsparteien vermeiden, sich festzulegen, und auch Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sich zwar von Orbán distanziert, aber auch einen möglichen Ausschluss nicht kommentieren möchte, äußerte sich EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani in einem Statement gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe klar gegen einen Ausschluss. Viktor Orban mache nur Wahlkampf, rechtfertigte der Italiener, dessen Partei Forza Italia ebenfalls zur EVP gehört, die Aktionen des ungarischen Ministerpräsidenten und seiner Partei. Tajanis Landsmann Matteo Salvini, Vorsitzender der rechtspopulistischen Lega-Partei, nannte den möglichen Ausschluss des Fidesz „Wahnsinn“.

Ungarische Reaktionen

Aus Ungarn kommen derweil reichlich widersprüchliche Signale. In Oppositionskreisen begrüßte man das Verfahren um einen möglichen Ausschluss des Fidesz aus der EVP. In der linken Wochenzeitung 168Óra hieß es beispielsweise: „Der EVP-Spitze fällt es immer schwerer, die Augen vor den Entwicklungen in Ungarn zu verschließen. Falls die Regierungspartei aus der EVP verstoßen wird, dürfte ihre Legitimität ernsthaft beschädigt sein.“ Dem schlossen sich auch viele Oppositionspolitiker unter anderem aus MSZP, DK und Momentum an.

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Bereits am Montag begann man in Budapest mit dem Abnehmender strittigen Plakate. Ihre Entfernung ist eine der Bedingungen für den Verbleib des Fidesz in der EVP. (Foto: BZT / Jan Mainka)


Ohne klare Linie und geprägt von Widersprüchen verlief dagegen die Kommunikation der ungarischen Regierungspartei. Während Kanzleramtsminister Gergely Gulyás eher beschwichtigend wirkte und betonte, dass man zusammenarbeiten und sich dahingehend abstimmen wolle, um in der EVP zu verbleiben, wurden aus anderen Ecken Rufe laut, man solle lieber selbst die Initiative ergreifen und austreten. So erschien in der erst kürzlich wiederauferstandenen Magyar Nemzet ein Leitartikel, der einen EVP-Austritt sogar als gute Möglichkeit schildert, um neue Bündnisse zu schmieden und sich vorteilhafter innerhalb der EU zu positionieren (siehe Kommentar auf Seite 13). Die EVP sei nurmehr eine Marionette von György Soros und der Fidesz habe sich lange genug bei Verhandlungen mit ihr erniedrigt, hieß es weiterhin in dem als Regierungssprachrohr bekannten Blatt. Der Artikel wurde unter anderem von Regierungssprecher Zoltán Kovács auf Twitter geteilt.

Fidesz-Sprecher Balázs Hidvéghi wiederum verkündete, dass die „Entscheidung des ungarischen Volks“, die Migration zu stoppen, „für uns wichtiger ist als Parteidisziplin“. Auch aus seinen Worten spricht nur wenig dafür, dass der Fidesz plant, in Zukunft weniger offensiv vorzugehen.

Zweigleisige Kommunikation

Viktor Orbán selbst betonte in seinem üblichen Freitagsinterview im Kossuth-Radio, dass dem Fidesz mehrere Möglichkeiten offen stünden, sowohl innerhalb der EVP als auch außerhalb der Parteienfamilie. „Wenn es sein muss, werden wir etwas Neues in Europa beginnen. Es kann sein, dass am Ende dieser Debatte unser Platz nicht mehr in der EVP ist, obwohl ich eher die Reformierung der EVP erreichen möchte, damit in ihr auch Einwanderungsgegner vertreten sind.“

Sicherheitshalber schaltete man aber zumindest in Sachen Plakatkampagne bereits in den Rückwärtsgang: In der ungarischen Hauptstadt, insbesondere entlang prominenter Routen, wurde bereits damit begonnen, die umstrittenen Regierungsinformationen abzuhängen. Zum Teil wurden sie mit Ankündigungen zum Nationalfeiertag am 15. März ersetzt. Auch die Fortsetzung der Kampagne mit einem weiteren Plakat, das wiederum den Spitzenkandidaten der Europäischen Sozialdemokraten Frans Timmermans zeigen soll, wurde vorübergehend ausgesetzt.

Ein Rauswurf dürfte wohl letztendlich nicht im Interesse des Fidesz sein. Orbán hat aber genügend Selbstbewusstsein, um mit seiner zweigleisigen Kommunikation ein weiteres Vergrätzen seiner europäischen Kollegen zu riskieren. Denn er weiß, auch die EVP befindet sich im Dilemma: Der Rauswurf könnte die Partei und ihre Fraktion im EU-Parlament 13 Sitze kosten. Und selbst wenn es als ausgemacht gilt, dass die EVP nach der Europawahl erneut stärkste Fraktion im EU-Parlament sein wird, könnten die Ungarn auch dem EVP-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Manfred Weber (CSU), gefährlich werden. Er braucht die Mehrheit der Abgeordneten, um zum Kommissionspräsidenten gewählt zu werden. Und auch im Europäischen Rat, der den Kommissionspräsidenten zunächst formell vorschlagen muss, könnte der ungarische Ministerpräsident – wenn auch nur beschränkt – Stimmung gegen Weber machen.

Und was würde es für die Machtverhältnisse innerhalb der EU bedeuten, sollte sich der Fidesz nach dem Rauswurf mit anderen europäischen Rechten zu einer neuen Fraktion zusammenschließen? Könnten der EVP gar weitere Mitglieder davonlaufen?

Weber vermittelt höchstpersönlich

Den Karren noch in allerletzter Minute aus den Dreck zu ziehen, erhoffte sich nun EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber durch ein Gespräch mit Viktor Orbán. Er reiste daher am Dienstag persönlich nach Budapest, um einen Schlichtungsversuch zu unternehmen. „Ich will versuchen, ihm klarzumachen, dass er sich derzeit auf dem Weg aus der EVP hinaus befindet“, machte Weber vorab seine Intentionen deutlich. Wie der CSU-Politiker sagt, gehe es bei dem Streit nicht „um einen Ost-West-Konflikt oder um die Migrationspolitik, wie behauptet wird, sondern darum, welche Werte die EVP und die EU ausmachen.“

Der EVP-Spitzenkandidat begegnete dem ungarischen Ministerpräsidenten jedoch nicht nur mit versöhnlichen Tönen. Vor seinem Besuch formulierte Weber Bedingungen für den Verbleib des Fidesz in der EVP. So forderte er neben dem sofortigen Ende der Plakatkampagne, dass sich Orbán bei seinen europäischen Parteikollegen entschuldigt. Manche der Formulierungen und Aktionen aus Budapest hätten der EVP geschadet, so der CSU-Politiker. „Deshalb gehört auch eine Entschuldigung bei den Partnern in der EVP dazu.“

Die CEU erneut im Fokus

Und noch ein weiteres Zugeständnis wollte Manfred Weber dem ungarischen Ministerpräsidenten bei dieser Gelegenheit abtrotzen: eine verbesserte Situation für die Central European University. Das Lex CEU genannte Gesetz, welches den Handlungsspielraum der von US-Milliardär György Soros gegründeten Budapester Universität einschränkt und nun zum Wegzug von Teilen der Bildungseinrichtung geführt hat, ist in der EVP ebenfalls umstritten. Kritiker sehen darin eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit. Und die sei für ihn, so Weber, „nicht verhandelbar“. Dass die CEU in Budapest zukünftig wieder „auf sicherem rechtlichen Grund“ stehe, ist für den CSU-Politiker eine „Schlüsselfrage“.

Nach seiner Ankunft in Budapest traf sich Weber daher als allererstes mit CEU-Rektor Michael Ignatieff, um einen „inhaltlichen Vorschlag“ zu erarbeiten, wie die Aktivitäten der CEU in Budapest gestärkt werden könnten. Weber hatte bereits am Dienstag angekündigt, dass der Freistaat Bayern die CEU teilweise finanzieren wolle. Seinen Angaben zufolge soll es sich dabei um Lehrstühle im Bereich Governance handeln. Die Koordination solle bei der TU München liegen.

Über eine Pressemitteilung ließ die CEU im Anschluss verkünden, dass man zwar die Initiative von Manfred Weber unterstütze, aber hinsichtlich einer baldigen Änderung der Situation wenig optimistisch wäre: Die Universität sei aufgrund des von der ungarischen Regierung verabschiedeten Gesetzes nicht in der Lage, neue Studenten in Budapest aufzunehmen. „Die CEU wird daher ihre akkreditierten Programme zum nächsten akademischen Jahr den bisherigen Plänen entsprechend in Wien aufbauen.“

Die Universität könnte mit ihrer pessimistischen Haltung recht behalten: Kanzleramtsminister Gergely Gulyás teilte nämlich schon vor einigen Tagen mit, dass seiner Meinung nach, alle Bedingungen Webers bereits erfüllt sind.

Noch vor seinem Treffen mit Premier Orbán im Karmeliterkloster in der Budaer Burg besuchte Manfred Weber am Dienstag auch die Große Synagoge in Budapest, um mit dem Präsidenten des jüdischen Verbandes Mazsihisz, András Heisler, zu sprechen.

Zudem machte Weber an der Emanuel-Gedenkwand im Garten der Synagoge darauf aufmerksam, dass er hier sei, um klar zu machen, dass in der europäischen Politik auch die Minderheiten berücksichtigt werden müssen. In ganz Europa wachse der Antisemitismus, deswegen müssten die Politiker dafür einstehen, dass jeder frei seine Religion ausüben kann. Er freue sich, dass es in Ungarn eine starke jüdische Gemeinschaft gibt, die sich entwickelt.

Sein anschließendes Treffen mit Orbán bezeichnete Weber als konstruktiv. Man habe über Vieles gesprochen, allerdings hätten nicht alle Probleme gelöst werden können. Es gibt Grundwerte, die alle EVP-Mitglieder, so auch der Fidesz einhalten müssen, erklärte Weber bereits auf der Pressekonferenz nach seinem Besuch in der Großen Synagoge.

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