In seiner mehr als drei Jahrzehnte umspannenden Karriere in der Welt der Gastronomie, arbeitete Enrico Crippa mit einigen der besten Köchen Europas zusammen. Darunter Christian Willer vom Palme d'Or in Cannes, Gislaine Arabian vom Ledoyen in Paris, Antoine Westermann vom Buerehiesel in Straßburg und Ferran Adria vom El Bulli in Roses. Besonders geprägt haben den norditalienischen Küchenchef neben seiner Zeit bei Küchenlegende Gualtiero Marchesi in Milan seine Jahre in Japan, wo er ab Mitte der 90er lebte und arbeitete. Noch heute sind diese Einflüsse deutlich in allem zu sehen, was er zubereitet. Seit 2017 ist Enrico Crippa Präsident der italienischen Akademie des Bocuse d’Or.


Herr Crippa, dies ist nicht Ihr erster Aufenthalt in Budapest. Sie waren im letzten Jahr mehrmals hier und haben es, wie sie einmal in einem Interview angaben, immer sehr genossen. Was gefällt Ihnen so gut an Ungarn und seiner Hauptstadt?

Budapest hat auf mich immer den Eindruck einer sehr zauberhaften, aber auch mysteriösen Metropole gemacht. Vielleicht lag es daran, dass ich bisher immer nur in der Winterzeit hier war, aber die Atmosphäre, die hier herrscht, gibt mir das Gefühl, dass ich mich in einem Spionagethriller befinde. Es liegt Spannung in der Luft.


Trifft das auch auf die ungarische Gastronomie zu?

Was mich vor allem an der ungarischen Küche fasziniert hat, ist, dass sie einem einen guten Einblick in die Geschichte Ihres Landes gewährt. Die klassischen Gerichte sind alle besonders nahrhaft – das spiegelt eine eher bäuerliche Lebensart wieder. Es wurde hart gearbeitet und dafür brauchte es eine kalorienreiche Kost, die die nötige Energie liefert. Es ist auch eine sehr fleischlastige Küche. In Italien arbeiten wir mit viel Gemüse, aber als ich das erste Mal nach Ungarn kam, hat man mir erklärt, dass ein ordentliches Gericht vor allem Fleisch braucht.

Natürlich hat sich das über die Zeit weiterentwickelt, das Leben der Menschen hat sich verändert, inzwischen geht auch hier der Trend längst zur leichten Küche. Doch die Wurzeln sind noch immer zu erkennen. Ich denke auch, dass es für Ungarns Chefköche wichtig ist, die traditionell ungarischen Zutaten nicht zu vernachlässigen.


Als Teil der Jury des „Volkswagen-Dining Guides“ haben Sie in diesem Jahr mit darüber entschieden, welche Ungarns beste Restaurants sind. Wie sah Ihre Arbeit aus?

Insgesamt war ich vier oder fünf Mal in Budapest, zuletzt sogar für eine ganze Woche. Ich habe viele verschiedene Restaurants getestet. Wichtig war mir dabei, alle Lokale mehrmals zu besuchen. Mit nur einem Besuch kann man sich kein vollständiges Bild machen. Die Leute, die in einem Restaurant arbeiten, sind auch nur Menschen – jeder macht mal Fehler oder hat einen schlechten Tag. Durch die mehrmaligen Besuche hatte ich ein größeres Spektrum an Erfahrungswerten und konnte mir damit ein verlässlicheres Urteil bilden.


Die Lokale, die Sie besucht haben, waren bereits eine Vorauswahl der besten Restaurants: Sind die Qualitätsunterschiede an der Spitze noch so offensichtlich? Worauf haben Sie besonders geachtet?

Um zu entscheiden, wer der Beste unter den Besten ist, waren eher die Details entscheidend. Natürlich ist in erster Linie das Essen wichtig, dann kommen der Service und die Atmosphäre des Lokals. Ich achte beispielsweise aber auch immer darauf, wie zufrieden die anderen Gäste um mich herum erscheinen. Sehen sie glücklich aus? Dann ist es bestimmt ein gutes Restaurant. Ich versuche dabei, eher auf die Ungarn zu schauen und die Touristen erstmal außen vor zu lassen, schließlich ist es ihre Landesküche, vor allem ihnen sollte es also schmecken.

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Inspiration für seine Gerichte findet er auch in seinem Garten.

Sie gelten als ein wahrer Künstler beim Anrichten ihrer Gerichte – Farben, Textur, die Positionierung auf dem Teller, nichts bleibt bei Ihnen dem Zufall überlassen. Spielt nach Ihrer Erfahrung diese visuelle Qualität auch eine große Rolle in den ungarischen Spitzenküchen?

Zuallererst einmal hat das etwas mit dem persönlichen Stil zu tun. Mir ist die Ästhetik meiner Gerichte, aber auch die Choreografie des Servierens sehr wichtig. Doch natürlich sollten die Qualität und der Geschmack des Essens im Vordergrund stehen, alles andere ist nur ein Plus.

Ich kann keine Aussagen über Ungarn als Ganzes treffen: In meiner Erfahrung ist es eher eine Frage des Standortes, ob man sich in der Stadt befindet oder auf dem Land, vielleicht noch mit einem eigenen Garten hinterm Haus. Dort bin ich als Chefkoch vom Wechsel der Jahreszeiten beeinflusst und von dem, was mir die Natur gibt. Das hat auch darauf Einfluss, wie ich einen Teller anrichte. Wenn ich mich in meinem Garten befinden, ist das für mich ein Quell der Inspiration – es gibt so viele Farben und Formen. Daneben sind es aber auch meine Persönlichkeit und meine Laune, die Einfluss auf die Gestaltung haben.


Man könnte sagen, dass Sie ein Experte sind, wenn es um Michelinsterne geht – schließlich haben Sie selbst bereits drei erhalten. Seit 2018 haben wir in Ungarn mit dem Onyx nun auch ein Zwei-Sterne-Lokal. Was könnten die Ungarn noch tun, um diese positive Entwicklung fortzusetzen?

In allererster Linie denke ich, ist es wichtig, dass ungarische Chefköche sich stärker mit den ungarischen Zutaten auseinandersetzen. Diese machen die hiesige Küche aus und nur mit ihnen wird man es schaffen, der Welt zu erklären, was es bedeutet, Ungarisch zu essen.

Die zweite Sache ist, dass die Chefköche auch dafür verantwortlich sind, den Gaumen ihrer eigenen Landsleute zu kultivieren. Das wird eine langwierige und in kleinen Schritten verlaufende Entwicklung sein, bei der Restaurants und Konsumenten aufeinander zugehen müssen.

Ich möchte auch davon abraten, sich zu sehr an fremden Küchen zu orientieren. Ungarn hat seine eigene Geschichte und seine eigenen Traditionen in der Küche, darauf sollte man aufbauen.

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