Erst neulich sagte der ehemalige Präsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA), József Pálinkás, er sei von der ungarischen geistigen Elite enttäuscht: „Davon, dass sie Angst davor hat, aufzubegehren und die Aufgabe zu erfüllen, die einer geistigen Elite zukommt; nämlich ohne Umschweife ihre Meinung zu bestimmten Dingen auszusprechen. Dass sich eine Art von Kritiklosigkeit beginnt breitzumachen, verfolge ich als Intellektueller mit Schrecken. Ich weiß, dass niemand gerne kritisiert wird. Ich habe mich aber mein Leben lang darum bemüht, mich mit solchen Menschen zu umgeben, die mir, wenn ich dabei war, Blödsinn zu machen, ins Gesicht gesagt haben, dass das so nicht funktioniert.”

Pálinkás fehlt die Glaubwürdigkeit

József Pálinkás wurde 1991 Parteimitglied des Ungarischen Forums der Demokraten (MDF). 1992 veröffentlichte István Csurka seine erste offen antisemitische und ausgrenzende Schrift der Nachwendezeit. Dies löste große Proteste aus. Der Name von József Pálinkás ist unter den Empörten jedoch nicht zu finden.

Als 2011 Wissenschaftler des Philosophischen Forschungsinstitutes der MTA im sogenannten „Philosophenskandal” der finanziellen Veruntreuung beschuldigt wurden, war József Pálinkás Präsident der Akademie. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass er sein Ansehen, sein Wissen oder seine Macht dafür eingesetzt hätte, seine Kollegen vor dem Rufmord und der öffentlichen Dreckschlacht zu bewahren.

Ich kann mich auch nicht daran entsinnen, dass er sich laut zu Wort gemeldet hätte, als die Unabhängigkeit der Universitäten verletzt oder die Zentralisierung der Lehrbücher verkündet wurde. Er hat auch nicht gebrüllt, als der Figyelő Gesellschaftswissenschaftler als „Sorossöldner” in Listen aufführte.

Im Juli des vergangenen Jahres äußerte er sich zum fachlichen Widerstand gegen László Palkovics, doch damals dachte er auch noch nicht, dass die Unabhängigkeit der MTA in Gefahr sei. Heute jedoch hat er es eingesehen und wird im Rahmen seiner medialen Roadshow nicht müde, zu betonen, dass es eine Sünde sei, den Forschungsinstituten der MTA die Unabhängigkeit zu rauben.

„Noch nie gab es einen solchen Stoßverkehr auf dem Wege nach Damaskus wie heutzutage!”, hat Péter Eszterházy nach der Wende einmal bemerkt (Anm.: In Anspielung auf die biblische Geschichte vom Apostel Paulus).

Natürlich können sich die Ansichten und politischen Überzeugungen, ja selbst die moralischen Werte eines Menschen ändern. Aber im Sinne der Glaubwürdigkeit lohnt es sich, sich zuerst einmal der eigenen Vergangenheit zu stellen.


Der hier in Auszügen wiedergegebene Kommentar erschien am 19. Februar auf dem Onlineportal der linksliberalen Tageszeitung Népszava.

Aus dem Ungarischen von Elisabeth Katalin Grabow

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