2017 griente uns das Gesicht des ungarischstämmigen US-Finanzinvestors und Milliardärs von Plakatwänden überall im Land entgegen. Wörter wie Soros-Plan, Soros-Söldner, Soros-Netzwerk und Soros-Uni gehörten plötzlich zum politischen Grundvokabular. Sein Name ist nicht nur untrennbar mit einer gegen Migration gerichteten Nationalen Konsultation verbunden, sondern ziert auch inoffiziell ein Gesetzespaket, das seit letztem Jahr die Arbeit von NGOs in Ungarn erschwert. Selbst heute scheint George Soros weiterhin in fast alles verwickelt. Viele mögen sich da fragen, wie die ungarische Regierung scheinbar aus dem Nichts eine derartige Obsession mit dem Großinvestor aus Übersee entwickeln konnte. Eine Antwort darauf könnte nun der US-Amerikaner George Birnbaum in einem Interview mit dem Schweizer Wochenblatt Das Magazin geliefert haben.

Finkelstein verhalf Politikern weltweit mit „negative campaigning“ zu Wahlsiegen

Der engste Mitarbeiter Arthur Finkelsteins gab dem Schweizer Journalisten Hanns Grassegger einen Einblick in die Grundzüge seiner Arbeit, dessen Meisterstück wie er selbst sagt die Erfindung „des Monsters George Soros“ in Ungarn sei. Birnbaum und Finkelstein sind Kampagnenberater, also Profis, die Politikern und Organisationen dabei helfen, sich mit starken Botschaften zu positionieren, um so die Öffentlichkeit zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Der inzwischen verstorbene Finkelstein galt als einer der Erfolgreichsten in diesem Metier. Er verhalf Konservativen und Rechten auf der ganzen Welt zu Wahlsiegen. Seine Methodik setzte vor allem auf sogenanntes „negative campaigning“, also darauf, den politischen Gegners anzugreifen, statt eigene Vorzüge in den Vordergrund zu stellen. Ab 2008 arbeitete er gemeinsam mit seinem jüngeren Geschäftspartner George Birnbaum auch für Viktor Orbán und seinen Fidesz. Zunächst nur für ein Jahr und offiziell für die parteinahe Századvég-Stiftung.

Doch die Kooperation ist, wie sich Birnbaum im Gespräch mit dem Journalisten Hanns Grassegger erinnert, von Anfang an erfolgreich. 2008 habe man gleich ein Referendum gewinnen können und so Orbán und seine Partei für die Wahlen 2010 positioniert. Dabei sei dann Finkelsteins bewährte Strategie, sich auf die Schwächen der Gegner einzuschiessen, zum Einsatz gekommen, was angesichts der Skandale, in die sich die bis dahin regierenden Sozialdemokraten zuvor verwickelt hatten, kein Problem gewesen sei. Gegenüber dem Magazin sagt Birnbaum: „Wir hatten 2010 die Sozialdemokraten noch vor der Wahl vom Tisch gepustet.“

In Soros fand man den perfekten Gegner

Bestätigt durch den Wahlerfolg habe sich die Kooperation zwischen den US-amerikanischen Kampagnenberatern und der neuen ungarischen Regierungspartei verfestigt. Finkelstein und Birnbaum hätten jedoch gewusst, dass eine historische Mehrheit, wie sie Orbán gewinnen konnte, langfristig nur unter einer Bedingung gehalten werden kann: „Du musst die Basis unter Strom halten. Ihr den Grund geben, wieder rauszugehen am nächsten Wahltag“, so Birnbaum im Magazin. Kurz: es brauchte einen Gegner.

In George Soros hätten die beiden Kampagnenberater schließlich den perfekten Kandidaten gefunden: „Ein Multimilliardär, so mächtig und weltweit vernetzt, dass sich die ganze Nation hinter Orbán sammeln müsste, um ihn zu besiegen“, heißt es in der Reportage des Schweizer Magazins.

Anfangs habe Finkelsteins Vorschlag abstrus gewirkt. Soros ist weder Politiker noch lebt er in Ungarn. Bekannt war der über 80-Jährige zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich für seine waghalsigen Finanzspekulationen und seine Philanthropie. „Sogar Orbán hatte einst Geld von Soros erhalten“, erinnert Grassegger in seinem Beitrag. Allerdings habe man mit der Kampagne auch an eine lange Geschichte der Kritik anknüpfen können. Soros’ Währungsspekulationen in den 1990ern seien von vielen verurteilt wurden, den Linke galt er lange als Heuschrecke. Die US-amerikanischen Republikaner hassten ihn, weil er sich mit seinen finanziellen Ressourcen auf die Seite der Demokraten geschlagen hat. Es sei daher leicht gewesen, ihn als eine Figur darzustellen, die das Großkapital „nicht nur steuert, sondern verkörpert“.

Anti-Soros-Sentiment wurde zum Exportschlager

Inwiefern die beiden US-amerikanischen Berater dann noch an den Feinheiten der daraufhin beginnenden ungarischen Kampagne gegen Soros beteiligt waren, darüber will sich Birnbaum im Magazin nicht äußern. Doch in der Zeit danach greifen immer mehr Medien und Regierungsvertreter das Bild einer „von Soros orchestrierten Verschwörung gegen Ungarn“ auf. Richtig Feuer erhält die Kampagne im Rahmen der Flüchtlingskrise 2015. Soros veröffentlichte ein Essay. Darin fordert er die EU auf, einen gemeinschaftlichen Plan im Umgang mit den Flüchtlingen zu entwickeln. Er konstatiert zudem, dass man sich in Europa „in absehbarer Zeit auf eine Million Flüchtlinge pro Jahr“ einstellen müsse. „Ein gefundenes Fressen für Orbán“, schreibt Grassegger. Soros’ Flüchtlingshilfe wird zum Teil einer umfassenden Verschwörung stilisiert, mit angeblichen Verbündeten in der ungarischen Opposition, der zivilen Sphäre und sogar Brüssel.

Soros selber habe in der Falle gesessen, sagt Birnbaum gegenüber dem Magazin: „Je mehr er zurückgeschlagen hätte, desto mehr hätte er ja unsere Behauptung gestützt, er mische sich in die Politik ein.“

Noch heute schwärme Birnbaum von seinem ungarischen Meisterstück, das so erfolgreich war, dass die Hassfigur Soros bald in der ganzen Welt aufgegriffen wurde, bis hinein in das EU-Parlament und den deutschen Bundestag: „Es lag so dermaßen auf der Hand. Es war das einfachste aller Produkte. Man musste es nur noch verpacken und vermarkten“, zitiert Hanns Grassegger den Politikberater George Birnbaum.

Dieser Artikel bezieht sich auf eine Reportage die am 12. Januar auf dem Onlineportal des Schweizer Wochenblattes Das Magazin erschien.

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