„Du bist einfach der Beste“, flüstert Jancsi in das struppige, schwarzbraune Fell. „Warum seid ihr Tiere so lieb und die Menschen sind so garstig?“ Mit Schaudern sieht er das zornrote Gesicht des Nachbarn vor sich, der ihn gerade unter wüstem Schimpfen von seinem Hof gejagt hatte. „Dabei ist doch heute Weihnachten, und da sollen sich doch alle liebhaben. Aber Pista Bácsi kann noch nicht mal an Weihnachten lieb sein. Der ist immer nur einfach böse …“

Dabei hatte es Jancsi doch nur gut gemeint. Erst gestern hatte er mitbekommen, wie sich der Nachbar mit Jancsis Großmutter unterhalten hat. Sie kennen sich gut, leben seit Jahrzehnten hier in ihren kleinen, aus gebrannten Lehmziegeln erbauten Häuschen in der Puszta und sind an sich gute Nachbarn. Auch wenn die Nagyi, die Großmutter, Pista Bácsi gelegentlich gern aus dem Weg geht. Vor allem, wenn wieder einmal sein schauerlich schräg grölender Gesang über die einsame Puszta tönt. „Na, da war er wohl wieder mal bei Gyuri in der Kocsma. Der trinkt halt gern mal einen über den Durst.“

Gestern Abend war Pista Bácsi nicht betrunken gewesen. Nur verbittert und böse, so wie er es schon seit Jahren ist. Die Großmutter fragte freundlich, ob sie ihm denn morgen zu Heiligabend ein Stück Weihnachtsbeigli hinüberschicken dürfe, wie es Brauch ist in der Puszta. Da fuhr er sie wütend an: „Verschont mich mit eurem ganzen Weihnachtsgedöns. Ich will meine Ruhe haben. Ihr müsst immer alles übertreiben. Weihnachtsgebäck für die Nachbarn, pahhh, wie ich euch kenne, beschert ihr womöglich auch noch eure Viecher.“ Ruhig erwiderte die Großmutter: „Ja, auch das ist seit jeher Brauch, in der Heiligen Nacht bekommen alle am Hof etwas besonders Gutes, der Hund, das Pferd, die Ziegen und Schweine…“ „Vergiss die Hühner nicht, du verrücktes Frauenzimmer!“ Und damit lässt er sie am Zaun stehen und stapft durch den Schnee zurück in sein leeres, kaltes Haus.

Jancsi hatte das Gespräch mit angehört und sein kleines, weiches Herz wurde ihm schwer. Er liebt alle Tiere, und zu wissen, dass die armen Tiere des Nachbarn sicher auch nicht das kleinste Extra an diesem so wunderbaren Tag bekommen werden, schmerzt ihn. Heimlich stibitzt er aus der Futterküche etwas von den Leckereien, die seine Mutter für die Bescherung der Tiere schon bereitgelegt hat. Da ist so reichlich von allem, dass es bestimmt nicht auffällt, wenn er ein klein wenig davon abzweigt, um den armen Tieren am Nachbarhof eine Weihnachtsfreude zu machen.

Leider sind die Tiere aber zu sehr erfreut und geben ihrer Freude zu lautstark Ausdruck. Angelockt von dem ungewöhnlichen Tumult im Stall taucht Pista Bácsi plötzlich auf und erwischt Jancsi, als er gerade dem alten Ackergaul eine Möhre ins Maul schiebt. Zum Glück ist Pista Bácsi groß und schwer und Jancsi klein und flink, und während der Bácsi noch tief Luft holt, um ordentlich brüllen zu können, ist der Junge schon zum Stall hinausgeschlüpft und rennt nach Hause, als ob der Leibhaftige hinter ihm her sei.

Nun hockt er bei Bodri und weint seinen Kummer in das raue Fell. So findet ihn seine Mutter. Sie führt ihn erst einmal ins Haus, damit er sich aufwärmen kann, und erfährt dann die ganze Geschichte. „Es war nicht recht von dir, die Tiere zu füttern. Man füttert keine fremden Tiere. Du weißt doch gar nicht, was sie fressen dürfen. Stell dir mal vor, das alte Pferd hat keine Zähne mehr und kann den Apfel – oder was du ihm gegeben hast – nicht kauen. Das arme Tier könnte daran ersticken. So etwas darfst du nie wieder tun. Auch wenn ich weiß, dass du es nur aus Liebe und Gutherzigkeit getan hast.“ „Was hat er denn getan?“ erkundigt sich der Vater, der gerade die Stube betritt. Sein Gesicht wird ernst. „Nun, mein Sohn, dann werden wir jetzt beide mal zu Pista Bácsi hinübergehen. Ich werde ihm sagen, dass er meinen Sohn nicht so anzubrüllen hat. Und du wirst dich entschuldigen. Dann ist die Sache aus der Welt geschafft.“ Jancsi zögert. Er hat kein großes Verlangen danach, Pista Bácsi erneut gegenüber zu stehen. Aber wenn der Papa dabei ist… Nun gut. Sein Papa ist groß und stark, der wird dem Pista schon was erzählen, wenn der frech wird.

Als sie das Haus verlassen, drückt ihm die Nagyi ein kleines Paket in die Hand. „Da, nimm das mit. Der Weihnachtsbeigli. Und eine Flasche Wein ist auch dabei.“ „Bist du sicher, dass er uns das nicht hinterherwirft?“ fragt der Vater. „Den Beigli vielleicht, aber nicht den Wein“, schmunzelt die Nagyi.

Und wirklich sitzen Jancsi und sein Vater kurz darauf in der kahlen, lieblos eingerichteten Küche des Nachbarn. Die Männer trinken den Wein, vor Jancsi steht ein Glas Milch. „Ich kann halt mit diesem ganzen Weihnachtskram nichts anfangen“, will sich der Pista verteidigen. „Seit es dem Herrgott in seiner unermesslichen Güte“ - hier spuckt er böse auf den ohnehin sehr schmutzigen Dielenboden –„gefallen hat, mir auch noch meine liebe Frau zu nehmen, habe ich kein Weihnachten mehr gehabt. Als meine Marika noch lebte, ja, da war es anders. Aber jetzt…“ Und zu Jancsis Bestürzung fängt Pista Bácsi plötzlich an zu weinen. Der große, böse Pista Bácsi weint wie ein kleiner Bub.

Jancsis Vater sagt leise zu ihm: „Schau, Pista Bácsi, ich kenn dich doch schon, seit ich ein kleiner Junge war, grad wie unser Jancsi heute. Und ich weiß noch, wie oft ich bei euch im Garten war, die Marika Néni hat mir immer etwas zugesteckt, und du warst gut gelaunt und fröhlich. Seit dem Unglück hast du dich ganz zurückgezogen. Du willst mit niemandem mehr zu tun haben. Das haben wir respektiert. Aber jetzt sehe ich, dass du selbst am meisten darunter leidest. Merkst du das nicht?“ „Na, du hast gut reden. Du hast eine schöne Wohnung in der Stadt, hast Arbeit, eine liebe Frau und euren Jungen hier.“ Der Alte hebt die Hand und streicht dem Jancsi unbeholfen mit seiner rissigen Hand über den Kopf. „Du bist ein guter Junge. Mit einem guten Herzen. Wie mein Gábor damals.“

Erneut schüttelt ihn lautes Weinen. Jancsi schaut den Vater groß an. Leise sagt dieser: „Gábor war sein Sohn. Er ist vor vielen Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. An Heiligabend.“ „Ist er deshalb immer so böse?“, fragt Jancsi flüsternd. „Und will er deshalb nichts von Weihnachten wissen?“ „Ja, genau so ist es.“ „Aber …“, Jancsi denkt scharf nach, das kleine Gesichtchen ganz angespannt vor Anstrengung, die richtigen Worte zu finden. „Aber das darf er nicht. Da wird doch nur alles immer schlimmer.“ „Sag ihm das. Vielleicht hört er auf dich.“

Vorsichtig nährt sich der Junge dem weinenden Alten und legt seine kleine Hand auf die zuckende Schulter. „Du, Pista Bácsi,“, beginnt der Vater, „bei uns drüben ist es immer sehr schön an Weihnachten. Warum kommst du denn nicht einfach zu uns?“ Pista Bácsi hebt den Kopf und sieht Jancsis Vater an. Der nickt ihm aufmunternd zu. „Ich will euch euer Fest nicht verderben.“ „Du verdirbst uns unser Fest nicht. Es wäre uns verdorben, wenn wir wüssten, dass du allein und traurig hier sitzt.“ Eifrig nickt Jancsi. „Ja, da könnte ich nicht froh Weihnachten feiern, weil ich immerzu an dich denken müsste, und wie traurig du bist.“ Da lächelt der Alte unter Tränen. „Mein guter Junge. Ja, sag deiner Nagyi, dass ich später gerne auf eine Stunde zu euch rüberkomme. Aber erst gehe ich noch auf den Friedhof.“

Viele Stunden später liegt der kleine Jancsi in seinem Bett. Auf dem Kindergesichtchen ist noch das selige Lächeln, mit dem er eingeschlafen ist. Es war so ein schöner Abend gewesen. Friedlich und fröhlich zugleich, sogar Pista Bácsi hatte gelacht und gescherzt. Da steht plötzlich der großes zottige Bodri an seinem Bett. „Jancsi, lieber Jancsi, ich möchte dir heute danken. Im Namen aller Tiere hier am Hof und auch beim Nachbarn drüben. Du hast mit deiner Gutherzigkeit heute Großes bewirkt. Du hast uns alle reich beschenkt, aber am reichsten hast du Pista Bácsi beschenkt. Er hat endlich wieder zurück ins Leben gefunden. Er hat sogar all seinen Tieren eine Weihnachtsbescherung gegeben, so wie es früher immer seine liebe Frau gemacht hat. Du hast die Bitterkeit aus seinem Herzen vertrieben. Gesegnet seist du, kleiner Jancsi.“

Konversation

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