Frau Ámon, wie steht es momentan um die Nutzung erneuerbarer Energiequellen in der V4-Region?

Viele Firmen, die hier in der Region produzieren, haben sich selbst „grüne“ Ziele gesteckt. Sie wollen in Zukunft einen bestimmten Anteil ihres Energiebedarfs aus sogenannten grünen Energiequellen decken. Allerdings ist der Ausbau dieser grünen Energie in der Region noch nicht so weit fortgeschritten. Das bedeutet, die Firmen müssen den grünen Strom entweder selbst erzeugen, aus dem Ausland importieren oder die örtliche Regierung davon überzeugen, mehr in diesen Sektor zu investieren.

In der V4-Region plus Bulgarien und Rumänien sieht es derzeit aber so aus, als ob die Regierungen nicht sonderlich daran interessiert wären, erneuerbaren Energien den Raum zu geben, der dem wirtschaftlichen Potenzial der Region – und dem damit einhergehenden Bedarf – gerecht werden würde.


Wo kommt der Strom stattdessen her?

Aus Kohle und der überholten Technologie der Atomkraftwerke. Jedem, auch hier in Ungarn, ist vollkommen klar, dass Kohle einfach nicht mehr finanzierbar ist. Jetzt müsste also damit begonnen werden, die Menschen, die heute noch in der Kohleindustrie arbeiten, langsam in andere Berufe zu überführen.

Was außerdem eine wichtige Rolle spielt: In den V4-Staaten werden die Energiepreise nicht vom Markt reguliert, sondern vom Staat festgelegt. Sie sind eine rein politische Entscheidung. Mit niedrigen Strompreisen lassen sich Wahlen gewinnen, das haben wir in Ungarn gesehen. Darüber hinaus werden dort, wo die Kohle als Energiequelle noch relevant ist, die Kohlekumpel von der Politik fast wie eine Art lebendes Schutzschild genutzt. In diesen Ländern – aber auch in Westeuropa – sind die Kumpel gewerkschaftlich noch sehr stark organisiert. Sie haben daher einen größeren Einfluss, obwohl sie zahlenmäßig weit weniger sind als die Arbeiter im erneuerbaren Energiesektor. Das Verhältnis hat sich komplett umgekehrt. Trotzdem schaffen es diese wenigen Hunderttausend Menschen, den Fortschritt komplett aufzuhalten.


Wie ist das möglich?

Die Gewerkschaftsführer haben gemeinsam mit den Politikern das Bild etabliert, dass Kohle noch immer eine relevante Energiequelle und der Kohlebergbau ein rentabler Wirtschaftssektor sei, während genau das Gegenteil der Fall ist. Die Kohleindustrie wird nur noch dank massiver staatlicher Subventionen am Leben gehalten.

Genaue Zahlen werden darüber aber nur ungern herausgegeben, ebenso wie es keine genauen Beschäftigungszahlen gibt. Es ist gang und gäbe, massenweise Leute für kurze Zeiträume einzustellen, um so die Zahl der Beschäftigten nach oben zu drücken, nur dass diese Arbeitsverträge dann nicht verlängert werden und die Leute wieder auf der Straße landen.

Ein weiteres großes Problem ist die Romantisierung der Kohlekumpel. Im 19. Jahrhundert war es natürlich so, dass diese Menschen ein wahnsinnig großes Opfer für die Gesellschaft erbracht haben. Ohne sie wäre die Industrielle Revolution nicht möglich gewesen. Seitdem können wir uns aber nicht von der Idee lösen, Menschen, die unter Tage arbeiten, als Helden zu glorifizieren.


Aber wenn die Kohle noch so stark verankert ist, dann sind doch zumindest die Jobs in diesem Sektor sicher?

Nein, das eben nicht. Und das wissen viele nicht einmal. In Ungarn beispielsweise wurde die letzte Kohlemine ohne weichen Übergang dichtgemacht. Den einen Tag operierte sie noch mit voller Kapazität, den nächsten Tag war es aus. Wir hatten schon lange zuvor darauf hingewiesen, dass der Kohleabbau mehr Geld verschlingt, als er einbringt und dass es einen Ausstieg – auch für die Arbeiter – geben muss. Das war jedoch nicht geschehen.


Wie steht die EU zum Thema Kohle?

Es gibt Bestrebungen, die Mitgliedsstaaten aus der Kohle herauszuführen. Allerdings gibt es dafür kaum gute Beispiele. Wo bisher Minen dichtgemacht wurden, ist dies immer plötzlich geschehen und die Leute landeten auf der Straße.


Welche Konsequenzen kann das Festhalten an Energien aus fossilen Brennstoffen und Kernenergie für die ungarische Wirtschaft haben? Ist es vorstellbar, dass Unternehmen ihre Produktion verlagern, weil sie ihre „grünen Ziele“ hier nicht erreichen können?

Dieses Problem hat nicht nur etwas mit den erneuerbaren Energiequellen zu tun. Zwei Gründe sind hier maßgeblich: Zum einen haben einige Firmen Probleme mit der Qualität der Stromversorgung in Ungarn. Zum anderen – und das ist der eigentliche Kern – stellt sich die Frage, ob die Region mit ihrer starken Abhängigkeit von deutschen und angelsächsischen Autoherstellern überhaupt auf eine Energiewende vorbereitet ist? Diese Hersteller produzieren hier Autos, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Inwiefern die Produktion auf Elektroautos umgestellt werden kann, weiß ich nicht, aber dies ist sicherlich eine Frage, die sich in Zukunft stellen wird.

Es ist auch fraglich, ob Ungarn für diese großen Firmen ausreichend Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen bereitstellen kann. Hier kommt wieder die Politik ins Spiel. Während die Bevölkerung ihren Strom zu von der Regierung festgelegten und stark gedrückten Preisen erhält, können sich die Firmen frei auf dem liberalisierten Energiemarkt umsehen und dort einkaufen, wo sie das beste Angebot bekommen – oder wo eben aus entsprechenden Quellen hergestellt wird.

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