Wie verlief Ihr Jubiläumsjahr bisher?

Nach dem Verkauf des Unternehmens an die neuen Eigentümer konnten wir bisher jedes Jahr sehr gute Zuwächse verzeichnen. Auch dieses Jahr lief bisher absolut gut. Das hat auch mit verschiedenen internen Veränderungen zu tun. So haben wir unsere Kleinmärkte fast komplett umgebaut und eine neue Abteilung etabliert, die nun die Warengruppen besser sortiert. Außerdem wurde unser Sortiment erneuert und ausgeweitet. Verbessert wurde auch die Präsentation unseres Sortiments sowie unsere Warenbestückung. Wir haben unsere Präsentationswände überarbeitet und geschaut, welche Artikel auf Grund der Nachfragesituation relevant sind und wie wir die Präsenz unseres Bestandes verbessern können. Es ging dabei nicht nur um die Verbesserung der Optik. Wir wollen die Grundsortimente zeigen, die die Wünsche unserer Kunden möglichst genau abbilden.


Das war bisher nicht so?

Zumindest nicht so ausgeprägt. So hatten Untersuchungen ergeben, dass 20 Prozent der auf den Wänden präsentierten Artikel kaum nachgefragt wurden. Jetzt haben wir eine vernünftige Darstellung und gleichzeitig auch unseren Bestand besser im Blick.


Wie entwickelt sich die Nachfrage?

Kredite werden heute nicht mehr so leicht vergeben, wie etwa im Zeitraum von 2003 bis 2005. Heute sind die Menschen wesentlich vorsichtiger mit ihren Investitionen. Sie geben zwar noch gerne Geld für ihre Wohnungen und Häuser aus, aber nicht mehr so locker wie früher. Dennoch spüren wir deutlich, dass die Realeinkommen der Bevölkerung gewachsen sind. Bei immer mehr Kunden rücken übrigens Renovierung und Dekoration von vorhandenem Wohnraum in den Fokus. Wer eine Immobilie besitzt, der möchte ihren Wert erhalten. Das gilt übrigens auch für die Gärten. Unsere Kunden richten sich ihr Heim und ihren Garten immer wohnlicher ein. Generell sind wir etwas stärker gewachsen als der Markt.


Was machen Sie besser als Ihre Konkurrenz?

Wir sind einfach fest entschlossen, unseren Marktanteil wieder zurückzuholen. Durch die Querelen um die Insolvenz unserer ehemaligen deutschen Mutterfirma haben wir hier in Ungarn einen großen

Marktanteil verloren. Inzwischen haben wir unsere Verluste aber wieder wettgemacht. In unseren goldenen Zeiten vor unserer Krise lag unser Marktanteil bei etwa 33 bis 34 Prozent. Jetzt sind wir ungefähr wieder dort, also auf dem Level von 2008. Damals hatten wir etwa 5,5 Millionen Kunden. In den Krisenjahren hat sich diese Zahl auf dreieinhalb Millionen verringert. Jetzt haben wir wieder in etwa so viele Kunden wie vor unserer Krise. Dieses Niveau haben wir langsam aber nachhaltig wieder erreicht.


Hält Sie der Personalmangel nicht auf?

Gerade im Handel ist es inzwischen außerordentlich schwer, gute Leute zu bekommen, besonders Verkäufer und Abteilungsleiter. Wir haben aber den Vorteil, dass wir in fast allen Märkten eine stabile Mannschaft haben. 40 bis 50 Prozent unserer Angestellten sind seit 15 bis 20 Jahren bei uns. Problematisch wird es für uns jedoch, wenn diese Leute in Rente gehen. Darauf müssen wir uns schon heute vorbereiten.


Ist es auch bei der Personalsuche ein Vorteil, dass Sie jetzt lokal und sofort Entscheidungen treffen können?

Sicher ist es von Vorteil, wenn man als Geschäftsführer entscheiden kann, dass morgen etwas umgesetzt wird, anstatt erst auf Unterschriften des Konzerns zu warten. Natürlich hat es auch Vorteile, in einen Konzern eingebunden zu sein. So kann man etwa von größeren Einkaufsvolumina profitieren. Unter dem Strich ist unsere gegenwärtige Aufstellung aber besser als früher. Unsere kurzen Entscheidungswege wirken sich positiv auf sämtliche Bereiche, so auch aufs Personalwesen aus. Hier sind wir viel schneller und schlagkräftiger, was in unseren heutigen schnelllebigen Zeiten ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist. Schon gleich nach der Insolvenz unserer deutschen Mutter begann ich wie ein eigenverantwortlicher Unternehmer Entscheidungen zu treffen. Unter anderem deswegen hat Praktiker hier in Ungarn überlebt. Ob all meine damaligen Entscheidungen voll im Einklang mit dem Insolvenzverwalter waren, sei einmal dahingestellt… Als Miteigentümer und im Besitz des vollen Vertrauens des Mehrheitseigentümers ist das jetzt natürlich etwas anderes. Ich nutze meine Entscheidungskompetenz jetzt unter anderm dazu, Prozesse einfacher zu gestalten.


Bei Ihrer diesjährigen Jahrespressekonferenz sprachen Sie sich begeistert für den Lean-Management-Gedanken aus. Was hat es damit auf sich?

2016 hatte ich meinem Strategieabteilungsleiter gesprochen. Wir haben darüber geredet, was ich verändern könnte, um dieses Unternehmen noch weiter nach vorne zu bringen und eine Kultur zu verändern, die über 20 Jahre von mir geprägt wurde. Damals habe ich gesagt, dass wir etwas so und so machen und dann war das so, fertig. Da brauchte keiner mehr zu diskutieren. Ich glaube aber, dass das nicht mehr zeitgemäß ist. Der Fokus liegt jetzt auf der Frage, wie wir Dinge in den nächsten 20 Jahre angehen. Wenn man heute eine Kultur in einer Firma auf viel breitere Füße stellen will, dann ist der Lean-Ansatz ein ganz tolles Instrument. Es ist uns ganz wichtig, den Mitarbeitern zu vermitteln, dass sie jetzt, da wir nicht mehr zu einem Großkonzern gehören, die Möglichkeit haben, hier in Ungarn direkt Entscheidungen zu treffen.


Welche praktischen Ergebnisse gab es bisher?

Unser erstes sichtbares Ergebnis waren Veränderungen der Präsentationswand für Armaturen. Bisher wurde sie immer so gestaltet wie es der Vertrieb oder Einkauf vorschlugen. Im Gegensatz zu dieser Praxis ließen wir nun die Mitarbeiter, Verkäufer und Abteilungsleiter Probleme feststellen und kreative Lösungen entwickeln, testen und standardisieren. Immerhin sind sie es, die den direkten Kundenkontakt haben. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Kunden finden sich nun besser zurecht und kommen schneller zu einer Kaufentscheidung. Außerdem können wir die Auslagen wesentlich schneller mit Waren bestücken.


Warum nicht gleich so?

Früher hatten wir es mit teils extrem genormten Prozessen zu tun. Irgendjemand hat die Prozesse einmal festgelegt und ein dutzende Seiten langes Pamphlet dazu verfasst. Wenn man nicht gleich am Anfang dieser Lektüre eingeschlafen ist, dann merkte man sehr bald, dass dieses Werk recht lebensfremd ist. Unsere neuen Prozessbeschreibungen sind gerade einmal vier Seiten lang und allgemeinverständlich geschrieben. Die Bestückungszeit der Auslagen haben wir von etwa anderthalb Stunden auf etwa auf zehn Minuten reduziert. Wir haben also zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: sowohl unsere Kunden als auch unsere Mitarbeiter profitieren von der Umstellung.


Was hat diese Rationalisierung mit Lean zu tun?

Die Initiative dazu kam direkt von den betroffenen Mitarbeitern. Der tolle Nebeneffekt dabei ist, dass es die Motivation der Mitarbeiter erhöht und auch nachhaltiger ist, als wenn der Anstoß von „oben“ kommen würde. Die Kreativität der Mitarbeiter ist ein riesiges Gut, das man braucht. Durch Wertschätzung und durch gegebene Freiräume lässt sie sich freisetzen. Wenn die Mitarbeiter merken, dass sie zu Gunsten ihrer Firma Veränderungen bewirken können, dann verändern sie auch. Vielleicht wäre früher oder später jemand aus unserem Top-Management auf die gleiche Idee gekommen. Viel besser ist es aber, wenn solche Ideen direkt von den betroffenen Mitarbeitern kommen. Mit fast 1.500 Mitarbeitern verfügen wir über ein riesiges Kreativitätspotenzial. Es gibt natürlich auch Limits. So etwa Vorschriften des Verbraucherschutzes oder Finanzielles. Aber mit der erwähnten Änderung der Abwicklungsprozedur, die wir jahrelang in allen unseren Märkten praktiziert haben, sparen wir sogar Geld. Ganz zu schweigen von einer Erhöhung der Kundenzufriedenheit, weil die Kunden heute schneller finden, was sie suchen.


Bei Lean denkt man zunächst an Produktion?

Ja, ursprünglich kam dieser Gedanke von der Industrie, speziell von Toyota. Im Handel ist dieser Ansatz bisher noch weniger verbreitet. Dabei ist er aber hier ein probates Mittel, um die Effizienz und Zufriedenheit der Mitarbeiter zu erhöhen.


Wie sorgen Sie dafür, dass lokale Entscheidungen auch von anderen lokalen Einheiten aufgegriffen werden können? Muss sich die zentrale Leitung nicht doch einschalten, wenn es darum geht, guten lokalen Entscheidungen den Weg in alle anderen Märkte zu ebenen?

Die Ausbreitung von guten lokalen Ideen geschieht ebenfalls lokal, nämlich indem die Mitarbeiter der verschiedenen Märkte miteinander kommunizieren und Ideen weitergegeben werden. Wir sorgen lediglich dafür, dass es dezentrale, direkte Kommunikationswege gibt. Und natürlich motivieren wir unsere Mitarbeiter in den Märkten direkt, mit ihren guten Ideen und ihrer Kreativität nicht hinter dem Berg zu halten. Ich selber besuche etwa alle drei Monate jeden unserer zwanzig Märkte. Dabei spreche ich mit möglichst vielen Mitarbeitern. Ich lasse mir erzählen, was gut läuft und was nicht, was man verbessern muss und so weiter. Dabei lasse ich immer wieder durchblicken, dass wir höchst aufgeschlossen für Veränderungen sind und ermutige sie dazu, sich vor Ort Gedanken zu machen, wie gewisse Dinge besser gelöst werden können. Diese positive Bekräftigung ist ganz wichtig. Das kann aber nur funktionieren, wenn die Führungskräfte bereit sind, Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten und den ausgetretenen Pfad der Routine verlassen. Mich fasziniert immer wieder, wieviel Kreativität und gute Ideen in unseren Mitarbeitern stecken. Eine tolle Erfahrung war auch, wie dankbar die Leute sind, wenn man sie machen lässt. Neben dem Geld und weiteren Leitungen von unserer Seite sind es nicht zuletzt diese Freiheiten, die die Mitarbeiter an uns binden. Durch die ersten positiven Ergebnisse wurden viele Vorbehalte und auch Ängste abgebaut. Ich spüre ganz deutlich: Die Mitarbeiter sind mir gegenüber viel offener geworden und reden mehr mit mir – auch kritischer. Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Genau das ist der Sinn von Lean, nämlich möglichst rasch zu sehen, wo in einem System Fehler oder Verbesserungspotenzial liegen.


Wie kommen Sie mit der größeren Freiheit Ihrer Mitarbeiter zurecht?

Das war am Anfang tatsächlich nicht so einfach. Ich habe auch oft mit meinem Strategieabteilungsleiter debattiert und gezweifelt, ob wir das Richtige machen. Ich muss mich manchmal ganz schön zusammenreißen. Wenn man aber sieht, wieviel Spaß die Leute haben und dass es funktioniert, dann ist das kein Problem mehr. Und fest steht auch: Man kann nur dann die Welt verändern, wenn man seine ausgetretenen Pfade verlässt. Ausgetretene Pfade sind natürlich wichtig, weil sie einem Sicherheit geben. Man sollte sich aber auch die Fähigkeit bewahren, diese Pfade zu verlassen, offen für Neues zu sein und Neues auszuprobieren. Und wir stehen ja noch am Anfang. Ich hätte nie geglaubt, dass wir innerhalb von nur anderthalb Jahren so viele Prozesse verändern können. Auch für mich ist das ein immenser Lernprozess.


Was hat sich durch die neue Herangehensweise in Ihrer Zentrale geändert?

Auch hier sind wir dabei, verschiedene Abwicklungsprozesse zu vereinfachen. Gerade implementieren wir ein neues IT-System. Wir nutzen die Chance und bauen es gleich anders auf als das Alte. Nicht nur die Vorgesetzten müssen einen Prozess verstehen, sondern in erster Linie die Mitarbeiter, die ihn umsetzen. Es geht um eine Kulturveränderung von unten nach oben, und zwar mit Hilfe von oben. Unsere ganze Organisation soll einfach auf eine viel breitere Basis gestellt werden.


Warum halten Sie so an dem Begriff Lean fest?

Ich glaube, im Endeffekt ist Lean der beste Überbegriff für die meisten unserer Veränderungen. Mit der gewählten Begrifflichkeit wollte ich auch klarmachen, dass es um etwas Neuartiges geht. Prozessoptimierungen gab es bei uns auch früher schon. Oft hatten sie aber nicht richtig funktioniert oder kamen ins Stocken, weil sie nicht richtig angenommen oder umgesetzt wurden. Lean wird jetzt seit anderthalb Jahren durchgezogen und läuft.

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Was war Ihr Hauptmotiv für die Hinwendung zu Lean?

Meine Überzeugung, dass wir die Kultur verändern und andere Wege finden müssen. Die Grundfrage war: Wie können wir das Unternehmen für die nächsten 20 Jahre bestmöglich aufstellen? Ich möchte, dass das Unternehmen in sich lebt und wächst. Ein Kollege erzählte mir, er habe da so ein Buch über Lean gelesen und dass das etwas sei, womit wir unsere Philosophie verändern könnten. Es hieß: „Die Kata des Weltmarktführers: Toyotas Erfolgsmethoden“. Ich habe das Buch im Urlaub dann auch gelesen und schlagartig gemerkt, dass wir vieles davon bereits umsetzen, nur haben wir es halt anders benannt. Diese Lektüre hat mich darin bekräftigt, den bereits eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Schließlich haben wir mit der Firma Lean Enterprise Institute Hungary dann auch noch einen professionellen Beratungspartner engagiert. Das hat uns letztlich geholfen, denn wir brauchten ja einen professionellen Ansatz. Wichtig war, dass wir alle unsere Führungskräfte geschult haben. Es hat mich dann aber doch überrascht, wie schnell es an der Basis zu sichtbaren Veränderungen kam. Da werde ich hier in der Zentrale manchmal schon richtig neidisch. Strategisch war die Hinwendung zu Lean eine goldrichtige Entscheidung. Nicht zuletzt deshalb, weil man heute wesentliche Wettbewerbsvorteile bekommt, wenn man seine Prozesse vereinfacht und die eigenen Mitarbeiter besser mitnimmt.

Der Begriff „Kata“ bezeichnet eine genau festgelegte Abfolge von Bewegungen in den japanischen Kampfkünsten. Im Businesskontext sind mit Kata Denk- und Verhaltensweisen gemeint, die von allen Mitarbeitern eines Unternehmens gelebt werden.


Was empfehlen Sie anderen Managern, die überlegen, ihr Unternehmen auf Lean zu trimmen?

Man sollte sich zunächst über das beabsichtigte Ziel im klaren sein. Wichtig ist auch, sich mit anderen Leuten zu unterhalten, die tiefer in der Materie stecken. Außerdem muss man als Führungsmannschaft mit voller Überzeugung dahinterstehen.


Welche Risiken gibt es?

Wir haben ein Intranet, damit jeder von allen Märkten aus sieht, welche Projekte in welchen Märkten laufen. Eine gute Kommunikation ist ausschlaggebend. Man braucht schon eine Stelle, an der alles wieder zusammenläuft und gesteuert wird. Man muss auch aufpassen, dass man den Kostenfaktor im Griff hat.


Als Teil der großen Praktiker AG hätten Sie das Lean-Projekt wahrscheinlich nicht so leicht umsetzen können, oder?

Ich hätte es sicher versuchen können. Die Umsetzung wäre aber schwierig geworden, wenn die AG nicht mitgemacht hätte und nur ein Land dabei gewesen wäre. Vielleicht wäre Lean jedoch sogar ein Instrument gewesen, um gewisse negative Prozesse in unserem Konzern umzudrehen. Ob es die Rettung gewesen wäre, weiß ich nicht. Ich schaue lieber in die Zukunft. Etwa darauf, wie unser Unternehmen in 20 Jahren aussehen wird. Darauf arbeite ich heute hin. Lean bedeutet, sich immer weiterzuentwickeln und zu verbessern.

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