4.325 – so viele Lehrkräfte fehlen derzeit in Ungarn. Die Zahl stammt aus lancierten Unterlagen des Klebelsberg-Zentrums, der zentralen Schulaufsichtsbehörde, die zu Beginn der Woche vom Nachrichtenportal index.hu veröffentlicht wurden.

Nachteile für Schüler gravierend

Fragen zum akuten Lehrermangel musste die Leiterin des Klebelsberg-Zentrums, Gabriella Hajnal, bereits im August beantworten. In einem Interview mit der regierungsnahen Zeitung Magyar Idők sprach sie damals davon, dass es keineswegs an Lehrkräften fehle. Die ausgeschriebenen Stellen seien nur deswegen unbesetzt, weil eine gewisse Fluktuation unter Lehrern im Sommer normal sei. „Aber ich kann auch nicht sagen, dass es überall genügend Lehrer geben wird, das wäre unwahr”, fügte Hajnal hinzu. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Nach Aussagen von Tamás Szűcs, dem Vorsitzenden der Demokratischen Lehrergewerkschaft, sind rund 50 Prozent der Lehrkräfte über 50 Jahre alt. Bis 2025 wird ein Großteil von ihnen in Rente gehen, dann wird sich das Problem des Lehrermangels noch weiter zuspitzen.

Viele Schüler, vor allem in ländlichen Gegenden, starten schon jetzt mit enormen Nachteilen ins neue Schuljahr. Denn wo es nicht genügend Lehrkräfte gibt, gibt es auch nicht genügend Fachlehrer. Unterrichtsfächer werden zusammengelegt und auch außerlehrplanmäßige Stunden wie Nachhilfe bleiben aus. Wie index.hu schreibt, werden in ländlichen Gebieten nur 70 Prozent der möglichen Lehrstunden tatsächlich gehalten, da es einfach nicht genügend Lehrer gibt. Dies trifft begabte Schüler ebenso wie jene, die dringend Nachhilfe benötigen würden, denn zusätzliche Förderstunden sind die ersten, die ausbleiben.

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Tamás Szűcs von der Lehrergewerkschaft warnt ob des Wertverfalls des Lehrergehalts. (Foto: Facebook / pdsz)

Den nun veröffentlichten Zahlen zufolge sind ungarnweit rund vier Prozent der Stellen nicht besetzt. Berücksichtigt man die Posten, die derzeit von bereits im Rentenalter befindlichen Lehrkräften gehalten werden, steigt diese Zahl auf rund sechs Prozent. Ausfälle versucht man an Ungarns Schulen oftmals auch durch das Zusammenlegen von Klassen oder Überstunden der Lehrkräfte zumindest übergangsweise abzufangen.

Fachleute bleiben ungehört

Der Nationale Pädagogenrat (NPK) veröffentlichte ebenfalls mit dem Beginn des Schuljahres ein Papier, in dem er den verheerenden Status quo des ungarischen Bildungssystems kommentiert.

Der NPK mahnt an, dass die Lehrerlaufbahn attraktiver gestaltet werden müsse. Zwar sei die Bezahlung heute höher, doch auch andere Begleitumstände müssten massiv verbessert werden. Auch zu anderen Bereichen bezog das noch unter HR-Minister Zoltán Balog ins Leben gerufene Gremium Stellung.

Noch vor den Wahlen berichtete der damals noch regierungskritische TV-Sender HírTV davon, dass der NPK in zahlreichen Bereichen mit den zu diesem Zeitpunkt demonstrierenden Schülern einer Meinung war und sich ebenfalls für die Reduzierung des sturen Auswendiglernens aussprach. Generell war der NPK für eine Reduzierung der auf Schülern und Lehrkräften lastenden Aufgaben. Der NPK schloss sich auch der Meinung an, dass Lohnerhöhungen der Pädagogen in der Vergangenheit mittlerweile ihren Wert verloren hätten.

Obwohl es sich bei dem Rat um ein von der Regierung eingesetztes Gremium handelt, findet er, wie es scheint, kein Gehör. Nach Aussagen des Rates hätte es bei der Ausarbeitung des Haushaltsentwurfes für die Finanzierung des Bildungssektors – obwohl anders erwartet – keine Gespräche zwischen Regierung und dem Rat gegeben. Das wirkt sich auf den Alltag an Ungarns Schulen aus, da insbesondere Instandhaltungsarbeiten manchmal monatelang aufgeschoben werden, weil es wegen der fehlenden einheitlichen Finanzierungsstrategie keinen Verantwortlichen gibt.

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Die für Bildung zuständige StaatssekretärinTünde Szabó schickt ihre Kinder lieber in eine teure Privatschule – und postete dies sogar noch stolz auf Facebook. (Foto: Facebook)

Auch die Entlohnung der Pädagogen wird vom NPK kritisiert. Die gesellschaftliche Anerkennung von Pädagogen sei unterdurchschnittlich, das Gehalt im Vergleich zu den zu erbringenden Leistungen niedrig. „Dies hat zur Folge, dass oft die weniger begabten, nicht unbedingt enthusiastischen Bewerber eine Karriere als Pädagoge beginnen, wobei viele schnell wieder ausscheiden.“ Der NPK findet klare Worte und spricht von einer Krise im Bildungssektor, die auf lange Sicht dem ganzen Land kulturell, gesellschaftlich und auch wirtschaftlich schaden wird.

Keine Probleme aus Regierungssicht

Auf eine Stellungnahme bezüglich der vom NPK formulierten Kritikpunkte wartet man von Regierungsseite jedoch vergeblich. Mehr noch: Der parlamentarische Staatssekretär Bence Rétvári wurde am Montag anlässlich der feierlichen Eröffnung des neuen Schuljahres nicht müde, die Erfolge der Regierung zu betonen. Noch nie habe es zu Beginn des Schuljahres so viele unterstützende Maßnahmen für Familien gegeben. Hier nannte er unter anderem die Steuernachlässe ab dem zweiten Kind, die Bauförderung „Csok“ und den Erlass von Studienkrediten. Doch die Aufzählung war hier noch nicht beendet: Noch nie seien so viele Neuerungen auf den Weg gebracht worden. Aus EU- und staatlichen Geldern würden neue Turnhallen gebaut und Klassenräume digitalisiert. Rétvári betonte, dass mehr als eine Million Schüler in diesem Jahr ihre Lehrbücher kostenlos erhalten hätten. Dass einige dieser Bücher fehlerhaft sind und seit Jahren nicht ausgebessert wurden, sodass viele, vor allem erfahrene Lehrer schlicht nicht aus diesen unterrichten, ist kein Geheimnis mehr.

Der Markt für Lehrbücher wird indes immer kleiner, denn fünf Herausgebern für Lehrbücher wurde die Lizenz nicht verlängert. Sie klagen nun gegen den Staat, denn die Lizenzen für staatliche Lehrbücher mit den gleichen Parametern seien bisher ohne Probleme verlängert worden. András Romankovics, Vorsitzender des Landesverbandes der Lehrbuchhersteller sagte, bei dieser Klage gehe es de facto um die Freiheit der Lehre. „Wenn sich diese Verlage zurückziehen, gibt es im kommenden Jahr nur noch staatliche Lehrbücher.“

Dass die Umstände an ungarischen Schulen vielleicht nicht so traumhaft sind, wie die Regierung es dazustellen versucht, zeigt übrigens auch das Beispiel der derzeit für Bildung zuständigen Staatssekretärin Tünde Szabó. Die zweifache Mutter postete am Montag auf ihrem offiziellen Facebook-Account ein Bild ihrer zwei ABC-Schützen in der Schuluniform der SEK Budapest International School. Die seit 1997 in Budapest operierende Privatschule gehört zu den teuersten Institutionen des Landes. Mit knapp zwei Millionen Forint Studiengebühr pro Jahr ist die SEK Budapest wirklich nur etwas für die oberen 10.000. In zahlreichen Kommentaren auf Facebook wird Szabós Entscheidung massiv kritisiert. Nicht, weil sie ihren Kindern die bestmögliche Ausbildung ermöglichen will, sondern weil es von vielen als maßlos zynisch empfunden wird, dass gerade ihr die staatlichen Schulen allem Anschein nach nicht gut genug für ihre eigenen Kinder sind. Der Ausdruck „primus inter pares“ hat in Regierungskreisen schon lange eine neue Bedeutung gewonnen, dies gilt nun offensichtlich auch für den Bildungssektor.

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