Der Ton seiner Äußerung schien angemessen, da wir gerade im fahrplanmäßig um 18.30 Uhr, tatsächlich aber erst um 19.17 Uhr abgefahrenen Zug aus Budapest saßen. Dieser steckte gerade in Gödöllő fest, weil es keinen Strom gab.

Zu dieser Zeit gab es vereinzelt Menschen, die angesichts dieser unerwarteten Wendung nur noch lachen konnten, immerhin hatten sie schon viel hinter sich. Selbstverständlich hatten sie mit einer abenteuerlichen Reise gerechnet, schließlich hatten sie sich auf eine ambitiöse Reise eingelassen: Sie wollten mit dem Zug von Budapest ins ungefähr 55 Kilometer entfernte Hatvan gelangen und das ist bekanntlich nicht leicht zu erreichen, man muss Felsen, Schluchten und irdische Höllen durchqueren. (...)

Aber es gab eine Sauna im Zug, was für Kinder und Senioren besonders wohltuend war. Per Lautsprecher kam keine Durchsage. Das Personal, das aufklären könnte, gab es nicht und auch im Internet ließ sich nicht herausfinden, ob der Zug jemals wieder losfahren würde. Es ist eben normal, dass ein vom Staat betriebenes Transportunternehmen in Gänze auf seine Kunden scheißt. (...)

Damals habe ich nicht mehr daran geglaubt, jemals heimzukommen. Mir schien es eher möglich, dass die Bangladescher Migranten, die kommen, um unsere Arbeit und Kultur zu stehlen, zu Fuß hier ankommen, als dass ich mit dem Zug von Budapest nach Hatvan gelange.

Man muss bedenken: Dies geschah nicht irgendwo am Rande Ungarns, sondern in Budapests Agglomeration. Der ungarische Staat, an dem, wie ich gehört habe, ganz Europa sich ein Beispiel nimmt, lässt alle auf sich allein gestellt, die nicht in den Zentren leben. (...)

Der Premier wirft der Opposition Demagogie vor, wenn sie über Wartelisten im Gesundheitssystem sowie die Überlastung von Grundschülern und Eisenbahnen redet. Dabei würde es von tiefstem Patriotismus zeugen, wenn sich jemand fände, der einem erklärt, wie man mit diesen Zügen und Bussen zu Krankenhäusern gelangt, in denen man von Wartelisten empfangen wird, oder was für eine Ausbildung das eigene Kind in Dörfern in Borsod, Nógrád, Heves und Szabolcs erhält.

Vielleicht fände sich wer. Vielleicht einer, der am Ende einer Party der Regierungspartei, untergehakt bei ein paar Beratern für öffentliche Ausschreibungen, davon singt, dass 50 Migranten die Hälfte von 100 sind (…) Ja, vielleicht fände sich sogar einer, der erwähnt, dass es neben dem reichen Ungarn auch ein erniedrigtes, abgehängtes Ungarn gibt. Ein Ungarn, in dem es keine staatlichen (Dienst-)Leistungen gibt und das von der politischen Elite des Fidesz, die das Land damit belügt, keine Elite zu sein, verachtet, verschmäht und ausgenommen wird.

Aber natürlich habe ich der MÁV-Angestellten Jolika von all dem nichts gesagt. Wir fuhren eh gerade weiter. Oder wären weitergefahren, wenn Jolika nicht Katika, der Schaffnerin, zugerufen hätte, dass wir noch ein wenig warten müssen, weil eine Frau zum Fahrkartenschalter gegangen war, ihre Sachen aber im Zug gelassen hatte.

Daraufhin richtete sich die Wut vieler gegen die unbekannte Frau, immerhin konnten wir wegen ihr nicht weiterfahren. Natürlich habe auch ich mich geärgert. Warum musste sie aussteigen, wenn wir endlich losfahren konnten? Denn natürlich sind es genau die zwei Minuten, die mich ärgern, nicht jene 110, die der Zug letztlich Verspätung hatte. Und auch nicht die Aufmerksamkeit, die der ungarische Staat und die staatliche Eisenbahn seinen Bürgern und Fahrgästen nicht zukommen lässt, nicht die öffentlichen Gelder, die Lőrinc Mészáros bekommt, statt dass all diese empörenden Ungerechtigkeiten beseitigt werden.

So wird für den Augenblick die unbekannte Frau zur Schuldigen. Letztlich trifft der Zorn nie wirklich diejenigen, die es verdient hätten.

Am Ende bin ich doch heimgelangt. Letztlich gibt es nie einen wirklichen Grund aufzugeben. Und einmal werden wir alle sicher auch in unsere Heimat heimkehren können.

Der hier in Auszügen wiedergegebene Kommentar erschien am 29. Juli auf der offiziellen Facebook-Seite des Journalisten Péter Pető. Er schreibt unter anderem für das Nachrichtenportal 24.hu.

Aus dem Ungarischen von Elisabeth Katalin Grabow

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