Wenn Sie nach vielen Jahren zurückblicken würden, welche Veränderungen würden Sie dann am liebsten sehen?

Da ich zuvor bei einer Beratungsfirma tätig war, bringt mir dort, wo sich Laien im Steuersystem schwer zurechtfinden, gerade dessen Detailgenauigkeit Freude. Die Zielstellung lautet, die verschachtelten Vergünstigungen simpler zu gestalten und die Anzahl der Steuerarten radikal zu reduzieren. Derzeit gibt es im Großen und Ganzen sechzig Steuerarten, die kurzfristig um zehn, längerfristig um nochmals zwanzig Prozent verringert werden sollen. In der Zukunft lassen sich die Steuerarten gar halbieren. Wir wollen ein modernes Steuersystem, das die Entwicklung in Ungarn ankurbelt.

Unsere Arbeit ändert sich dahingehend, dass für die operative Leitung der Steuer- und Finanzbehörde (NAV) ein Staatssekretär gesondert zuständig ist. Mir wurde die Leitung des für Regulierungs- und Aufsichtsfragen verantwortlichen Staatssekretariats übertragen. Die Steuerzahler sollen sich leichter zurechtfinden; wir befreien jene, die sich nicht damit abplagen wollen, als moderner Dienstleister von der aufreibenden Administrationstätigkeit. Für die Arbeitnehmer haben wir diesen Status bereits teilweise erreicht, denn ihre Steuererklärung entsteht im Wesentlichen in Abstimmung zwischen Arbeitgeber und Finanzamt. Nach diesem Vorbild möchten wir in den folgenden Jahren auch die Steuererklärungen der Unternehmen vorbereiten.


Machen diese Hilfestellungen die Anstellung eines Buchhalters für Kleinunternehmer bald überflüssig?

Es liegt auf der Hand, dass diese Dienstleistungen nicht den Großunternehmen mit ihrer komplexen Wirtschaftstätigkeit helfen, Kleinfirmen aber können erheblich von den Veränderungen profitieren. Bei den kleinsten Firmen könnte sich sogar ein Buchhalter erübrigen. Ich halte es zugleich für wahrscheinlich, dass dank der Dienstleistungen der Steuerbehörde gerade die von den kleineren Buchhaltungsfirmen erstellten Steuererklärungen und Ausweisungen einfacher und effizienter ausfallen. Diese Dienstleistungen dürften in der Branche eine gewisse Konsolidierung herbeiführen, was den Trend zu Leistungen mit höherer Wertschöpfung bestärken wird.


Was waren nach Ihrer Meinung die bedeutendsten vereinfachenden Maßnahmen der Regierung, mit denen die Wettbewerbsfähigkeit des Landes verbessert wurde?

Gewöhnlich kommt als Antwort auf diese Frage die Erwähnung der gesenkten Sozialabgaben und Körperschaftsteuer (Tao). Diese Schritte waren in der Tat von großer Tragweite, doch würde ich eher die Gewinnsteuern für Kleinfirmen, Kata und Kiva, nennen wollen. Bei der Tao setzen wir auf eine weitere Entschlackung des Systems, doch kommen hier dermaßen komplizierte technische Regeln zur Anwendung, die im Falle kleiner Unternehmen nicht unbedingt vonnöten sind. Deshalb war die Einführung der Steuern für Kleinfirmen ein enormer Fortschritt, zumal diese extrem simpel gestaltet sind. Bei der Kata wird der Unternehmer mit monatlich fünfzigtausend Forint sämtlichen Steuerzahlungspflichten gerecht. Mittlerweile haben mehr als dreihunderttausend Firmen diese Steuerform gewählt.


Neben der Vereinfachung war auch die Senkung der Steuerlast Teil der Strategie. Das neue System der Kata sowie die geringfügige Mehrwertsteuer auf Restaurantleistungen dienten zugleich einer Zurückdrängung der Schattenwirtschaft. Darf man auf eine Fortsetzung hoffen?

Wenn Steuersätze gesenkt werden, muss man nie davon ausgehen, dass die Steuererlöse im gleichen Maße sinken werden, wie es sich automatisch aus dem niedrigeren Satz ergeben würde. Ganz im Gegenteil zahlen dann auch Personen Steuern, die dies früher nicht taten. Ein minimaler Administrationsaufwand gepaart mit dem niedrigen Steuersatz motiviert viele, eine Firma aufzumachen oder ihre Tätigkeit steuerlich zu legalisieren. Rund dreißig bis vierzig Prozent der heutigen Kata-Steuerzahler sind auf diese Weise im Steuersystem aufgetaucht. Ein ähnlich gutes Beispiel ist die Einkommensteuer von fünfzehn Prozent, ein Niveau, bei dem ein Wohnungsvermieter nicht unbedingt mehr das Risiko einer Steuernachzahlung sucht.

Die Mehrwertsteuer (Áfa) funktioniert natürlich anders. Diese zu senken hat zwei Hauptgründe: Zum einen geht es um die Zurückdrängung der Schattenwirtschaft, wie wir das beim Getreidehandel oder beim Schweinefleisch erlebten. Der andere Grund ist sozialer Natur, wenn es darum geht, die Senkung in den Verbraucherpreisen zur Geltung zu bringen, so etwa bei den Grundnahrungsmitteln. Wir haben analysiert, inwieweit diese Erleichterungen tatsächlich Niederschlag in den Verbraucherpreisen fanden. Leider zeigte sich dabei, dass der Gegenwert eines gewissen Produkts eher durch Angebot und Nachfrage am Markt, als durch die Höhe der Mehrwertsteuer bestimmt wird. So kam es beispielsweise bei den Eierpreisen ungeachtet der gesenkten Mehrwertsteuer zu enormen Preissprüngen. Deshalb planen wir keine bedeutsamen Erleichterungen in dieser Richtung mehr.


Wird es auch im Falle der Restaurantleistungen keine Änderung geben? Das Gastgewerbe versprach im Gegenzug Lohnerhöhungen und Investitionen.

Diese Regelung erscheint auf den ersten Blick kompliziert, doch vielleicht haben die Unternehmen der Branche seither gelernt, wovon die Differenzierung zwischen den einzelnen Leistungen, Getränken und Speisen handelt. Es wäre außerordentlich kostspielig, alle Leistungen unter die günstige Mehrwertsteuer zu stellen. Für unser Herangehen war entscheidend, welche Produkte und Leistungen eng mit dem Tourismus verbunden sind. Deshalb blieb die gewöhnliche Mehrwertsteuer in der Essenversorgung an Arbeitsplätzen oder für abgepackte Speisen und Getränke. Eine niedrige Mehrwertsteuer im Tourismussegment ist übrigens weltweit zu beobachten, denn der internationale Wettbewerb ist äußerst intensiv.


Wird sich die Regelung der Verbrauchsteuern ändern?

Auf diesem Gebiet können wir ausgezeichnete Ergebnisse und bewährte Lösungen vorweisen. Obendrein funktioniert die digitale Datenverwaltung auf dem Gebiet der Verbrauchsteuern einmalig gut – das nahezu bargeldlose ungarische System könnte in Europa Nachahmer finden. Hinsichtlich der Steuersätze ist der Spielraum auf EU-Ebene jedoch eingeschränkt. So liegt der Mindestsatz der Steuern für umweltbelastende Produkte wie Dieselkraftstoff oder Benzin beziehungsweise für gesundheitsschädigende Produkte wie Tabak sehr hoch.


Wie viele Unternehmen in Ungarn betrifft die am 1. Juli in Kraft tretende Verordnung zur Online-Abrechnung?

Wir hoffen doch, dass es schon recht bald die Mehrheit sein wird. Gegenwärtig benutzen ungefähr zweihundertzehntausend Unternehmen Rechnungsprogramme – für sie ist die Umstellung verbindlich. Die Mehrheit der Unternehmer stellt ihre Rechnungen aber noch immer handschriftlich aus. Die verbindliche Datenleistung bezieht sich nur auf Rechnungen mit einem Mehrwertsteuergehalt von mindestens einhunderttausend Forint, in dem Fall aber auf alle.


Wie können die Unternehmer der neuen Rechtsnorm gerecht werden?

Wir haben nachgezählt, und es gibt in diesem Land doch tatsächlich etwa vierzigtausend Programme für die Rechnungserstellung. Logisch, dass nur ein Bruchteil davon geeignet ist, dem Finanzamt die angeforderten Daten in Echtzeit zu übermitteln. Die NAV hat für eine leichtere Umstellung ein eigenes Programm online gestellt, das kostenlos genutzt werden kann – nicht nur bei größeren Beträgen.


Wie ist der Vorbereitungsstand der Firmen und wie haben Sie diesen geholfen?

Die Online-Handelskassen sind seit fünf Jahren an das Finanzamt angebunden. Damit wurde das B2C der sofortigen Datenweitergabe unterzogen. Nun erfolgt die Regulierung des B2B, also der Relation zwischen zwei Unternehmen. Im Vorjahr gab es verschiedene Konsultationsforen, und die NAV bot ihre eigenentwickelte Software an. In jüngster Zeit wollen die Firmen wissen, welche Sanktionen drohen, und ab wann. Wir möchten jedoch jeden beruhigen: Wo unsere Kollegen sehen, dass Anstrengungen unternommen wurden, um die technische Umstellung einzuleiten, werden sie dies zu würdigen wissen.


Die Technik der Online-Anbindung wurde wie gesagt bereits bei den Handelskassen, aber auch bei der Straßenmaut angewandt. Damit sollte die Schattenwirtschaft zurückgedrängt werden. Ist das gelungen?

Das Ergebnis lautet, das System schließt den Kreis. Die Einnahmen des Fiskus steigen, während die Lasten der Unternehmen sinken. Der Rechnungsteller erspart sich den Abschlussbericht und kann selbst die Aufbewahrung und Archivierung der elektronischen Rechnungen der NAV überlassen. Der Erfolg lässt sich aber auch daran ablesen, dass zahlreiche europäische Länder Interesse an unseren Systemen bekunden. Das elektronische Straßenfrachtkontrollsystem EKÁER ist ein Riesenerfolg, denn das Echtzeit-Monitoring hat sich sowohl bei der Strafverfolgung als auch mit Blick auf die Lebensmittelsicherheit als ein sehr wirksames Instrument erwiesen.


Was betrachten Sie als größte Herausforderung?

Die eingangs erwähnte Ausgestaltung eines vereinfachten Steuersystems ist eine gewaltige Herausforderung. Kurzfristig betrachtet ergibt sich für die Steuerpolitik aktuell aber eine ganz anders geartete Herausforderung daraus, wie die digitalen Unternehmen in die Lastenteilung einbezogen werden können. Ich glaube daran, dass auch im digitalen Raum kein einziger Gigant tätig sein kann, ohne dort Steuern zu zahlen, wo seine Gewinne anfallen. Ungarn unternimmt alle Schritte auf nationaler wie auf europäischer Ebene, um eine globale Lösung dieses Problems zu erreichen.

Das Gespräch führte Lívia Pintér


Norbert Izer (37) absolvierte 2004 die Budapester Universität für Wirtschaft und Staatsverwaltung; anschließend erfolgte bis 2007 eine Ausbildung zum Steuerberater. In dieser Eigenschaft war er bis 2016 beim ungarischen Büro von PricewaterhouseCoopers angestellt. Vor zwei Jahren wechselte er als Unterstaatssekretär in das Volkswirtschaftsministerium, bevor er in der neuen Orbán-Regierung zum Staatssekretär für Steuerbelange ernannt wurde. Izer spricht Englisch und Deutsch.

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