Mitten in der Natur, unter lichten Baumwipfeln und umgeben von Feldern, findet an jedem Sonntag im Jahr ab 8 Uhr morgens der Handwerks- und Bauernmarkt „Liliomkert piac“ statt, den aber die meisten synonym, nach der Ortschaft in der er sich befindet, nur Káptalantóti nennen. Hier bieten Erzeuger aus der Umgebung ihre Produkte an. Von Fruchtsirups und Marmeladen über Ziegenkäse, Kolbász, Sauereingelegtem und Geräuchertem bis hin zu selbst gebackenen Broten und Kuchen. Wer sich lokal und trotzdem vollwertig ernähren möchte, kann sich hier vollständig eindecken. Zu finden sind auch Handwerksarbeiten, Ledergürtel etwa, schön bemalte Keramiken, Holzschalen und Textilien. Aber auch Antiquitäten- und Ramschstände haben hier ihren Platz. Viele der Händler kommen schon seit Jahren hierher.

Unter ihnen auch Susanne Daucher, die quirlige Deutsche ist seit 2010 am immer selben Stand am südlichen Rand des Marktes zu finden. Als eine der „Alteingessenen“ des 2007 ins Leben gerufenen Marktes hat sie das Privileg, auf ihren Standort zu bestehen. „Meine Stammkunden wissen so ganz genau, wo sie mich finden.“ Susanne Daucher verkauft Chutneys, Marmeladen, Senf und vor allem Essig in vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen.

Daucher ist gesprächig und besonders auf die gesundheitsförderliche Wirkung von letzterem schwört sie regelrecht. Seit fünf, sechs Jahren trinke sie nun schon ihr Wasser nur noch versetzt mit einem Schuss Essig und ist nach eigenen Aussagen heute so gesund wie nie. „Früher hatte ich viele gesundheitliche Probleme, zum Beispiel Nasennebenhöhlenentzündungen, aber seitdem ich den Essig trinke, ist das wie weggeblasen. Ich habe auch alle überschüssigen Pfunde verloren“, erzählt sie.

Tatsächlich schreiben auch Mediziner und Ernährungswissenschaftler hochwertigen Essigen zahlreiche positive Wirkungen zu. So soll Essig etwa die Verdauung anregen, gegen Sodbrennen und Verstopfung helfen, die Verdauung von Fett und Kohlenhydraten verbessern sowie helfen, den Blutzuckerspiegel zu regulieren. „Zudem ist es einfach der perfekte Durstlöcher“, so Daucher.

Von Regensburg nach Pécsely

Ihre Essige und andere Produkte stellt sie in ihrem, rund 30 Fahrminuten mit dem Auto entfernten Haus in Pécsely her. Hier lebt die Bio-Farmerin Susanne Daucher mit sechs Katzen und oft auch zahlreichen freiwilligen Helfern, die ihr das Netzwerk WWOOF, World-Wide Opportunities on Organic Farms, vermittelt. Doch wie hat es Susanne Daucher nach Ungarn verschlagen?

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„Eigentlich wollte ich ja nur irgendwo ein Häuschen haben, wo ich meine Kunst machen kann.“ Die heute 53-Jährige wählte schon immer ihren ganz eigenen Weg. In Regensburg geboren, brach sie mit 17 die Oberschule ab, um stattdessen eine Ausbildung zur Keramikerin zu beginnen. „Was mit den Händen zu machen, das lag mir einfach und außerdem wollte ich raus, endlich auf eigenen Beinen stehen“, erinnert sie sich heute.

Doch schnell stellte sich für Daucher heraus, dass dieses „Mit den Händen machen“ für sie mehr war als nur ein Handwerk, es war eine Ausdrucksform. Ihr Onkel, ein berühmter Bildhauer, erkannte früh ihr künstlerisches Talent und riet ihr, sich auf dem Gebiet weiterzuentwickeln. Für ihre zum Teil großformatigen Arbeiten braucht Susanne Daucher aber vor allem eins: viel Platz. Während sie sich als junge Künstlerin in Deutschland kaum ein Haus hätte leisten konnte, hörte sie von Freunden von tollen und vor allem günstigen Immobilien in Ungarn. „Ein Bekannter erzählte damals, er habe sich hier für 15.000 DM ein Haus gekauft. Da dachte ich mir: ‚Na, das habe ich doch auch in der Tasche.‘ Ich bin dann einfach losgefahren nach Ungarn, um zu schauen, ob ich nicht ein Haus bekommen kann.“

Der Ausflug nach Ungarn im Mai 1995 wurde für Daucher zur Schicksalsreise. Noch sehr genau erinnert sie sich an jedes Detail: „Ich bin in Regensburg losgefahren, da war das Wetter noch einigermaßen, aber ab Passau, da hat es die ganze Zeit wie aus Kübeln geschüttet. Ich bin dann nach Keszthély und wollte eigentlich ins Káler Becken, auf Ungarisch Káli Medence, aber weil mein Wörterbuch nur das Hüftbecken, ungarisch csípő, kannte, ich also immer nach Káli-csípő gefragt habe, kam ich dort nie an. Stattdessen bin ich um den Balaton herum- und dann bis runter nach Pécs und auf der anderen Seite des Balatons wieder hochgefahren. Nach vier Tagen, es hatte die ganze Zeit nur geregnet, hatte ich es dann satt und wollte zurück nach Deutschland.“ Auf ihrem Heimweg kam Susanne Daucher jedoch durch Pécsely, einem Dorf in der Nachbarschaft von Balatonfüred und Veszprém. „Das erste Haus im Dorf hatte ein Schild, das sagte ‚Eladó‘, zu verkaufen. Da bin ich direkt zum Bürgermeisteramt gefahren. Die Besitzer dieses Hauses waren leider nicht auffindbar, da hatte mir der Bürgermeister ein anderes gezeigt und das wurde es dann.“

„Für Senf braucht es Essig“ – Beginn einer Leidenschaft

Daucher kauft das aus zwei separaten Haushälften bestehende Bauernhäuschen vom Fleck weg und beginnt in den kommenden Monaten mit der kompletten Renovierung der verfallenden Immobilie. Mit ihrem Schwung und ihrer Leidenschaft krempelt die Deutsche, die zuvor nicht viel von Ungarn wusste, bei dieser Gelegenheit gleich auch das gesamte Dorf um. „In das Haus wuchs der wilde Wein hinein, es war so viel zu tun, aber ich war jung, ich war schön und ich hatte Geld. Bei dem Umbau hat am Ende das halbe Dorf geholfen. So habe ich auch relativ schnell, innerhalb nur eines halben Jahres, Ungarisch gelernt.“ Im Oktober 1996 kann Daucher bereits in ihr Haus einziehen, doch erst im Sommer 1997 waren alle Bauarbeiten beendet.

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Ungarn verzaubert die junge Frau sofort. „Schon ab dem dritten Besuch wurde es immer schwieriger abzufahren und immer, wenn ich zurück nach Ungarn kam, fühlte es sich so an, als kehre ich heim.“ Bis 2002 bleibt Daucher hier, lebt nur von und für ihre Kunst, dann zieht es sie zurück nach Deutschland – für die Liebe. „Ich habe damals meinen heutigen Ex-Mann Bernhard kennengelernt, es war die ganz große Liebe und wir haben acht wundervolle Jahre in Deutschland verbracht“, erinnert sich Daucher. Durch ihren Mann, einen Koch und Gärtner, lernt Daucher alles, was man über den Anbau von Obst und Gemüse sowie deren Weiterverarbeitung wissen muss. Schon in Deutschland bewirtschaften beide einen 2.000 Quadratmeter großen Garten und beginnen ihren eigenen Senf herzustellen. „In Regensburg wird ja der berühmte bayrische, süße Hausmachersenf von Händlmaier hergestellt, wir haben uns gedacht, das können wir besser“, erinnert sich Susanne Daucher und beginnt schallend zu lachen. Für die Senfherstellung braucht es unter anderem auch Essig und so kommt die Lebenskünstlerin erstmals auch mit der Essigproduktion in Kontakt.

Von der Beere bis zum Essig

„Wir haben uns natürlich immer auch Zeit rausgenommen, um nach Ungarn zu fahren; und irgendwann sagt der Bernhard zu mir: ‚Ich trage mich mit dem Gedanken, nach Ungarn zu ziehen.‘ Da war es besiegelt.“ 2009 kaufen Daucher und ihr Mann einen halben Hektar Land in der Nähe ihres Pécselyer Hauses, die Landwirtschaft und die Herstellung handgemachter Gourmetprodukte wollen die beiden ab Anfang 2010 in Ungarn im großen Stil anpacken. „Als erstes haben wir damit angefangen, die schwarze Apfelbeere, die Aronia melanocarpa, anzubauen. Damals war das noch keine Trendfrucht, aber der Bernhard hatte einen Riecher bei der richtigen Auswahl. 500 Büsche haben wir angepflanzt.“ Während die Aronia auch heute noch den Löwenanteil von Dauchers Landwirtschaft ausmacht, baut sie daneben auch Johannisbeeren, Erdbeeren, Brombeere, Himbeeren und in einem Gewächshaus auf dem Gelände auch Tomaten, Chilis, Zucchini und anderes Gemüse an. Auch Heil- und Gewürzkräuter wachsen auf ihrem Grund.

Essig, erzählt Susanne Daucher, kann man eigentlich aus allem machen. Was man braucht, ist Zucker, am besten Fruchtsüße. Dazu macht Daucher zunächst Saft und vergärt diesen dann mithilfe von Hefe zu Wein. „Wenn der Wein fertig ist, wird er von der Hefe abgezogen und wandert in den Keller zum Ausruhen. Nach zwei, drei Monaten kommt er wieder nach oben.“ Für die anschließende Essigsäuregärung braucht man vor allem Luft und Wärme und eine sogenannte Essigmutter, die das alkoholische Ausgangsprodukt langsam in das Oxidationsprodukt Essig umwandelt.

„Das dauert dann nochmal so drei Monate, kann aber auch neun Monate brauchen, wenn ihm irgendwas nicht passt, der Sommer zum Beispiel zu regnerisch oder zu kalt ist.“ Wenn der Essig fertig ist, wird er vorsichtig abgelassen, Schwebeteilchen werden abgesiebt. Danach muss er nochmal in den Keller, um langsam zu reifen. „Der kürzeste Weg zwischen Beere und Essig dauert mindestens ein Jahr, doch ich gebe ihm gern noch mehr Zeit. Am Anfang steht geschmacklich vor allem der Essig im Vordergrund und die Frucht dahinter, aber wartet man ein paar Monate, tritt der Essig zurück und die Fruchtnote kommt vollständig zum Vorschein. Dann schmeckt er richtig lecker, dann mag man ihn auch trinken“, erklärt die Essigexpertin.

Senf statt Leberwurst

Über 25 verschiedene Essigsorten hat die Bio-Farmerin derzeit im Angebot, darunter natürlich Aroniaessig, aber auch aus Holunderblüten, Pfirsichen, Quitten und sogar aus Tomaten sowie roten und grünen Chilis macht Susanne Daucher Essig. Der Vorgang ist immer der gleiche. „Es ist auch ganz gleich, wie viel Fruchtsüße die Ausgangsprodukte mitbringen, außer bei Apfel und Birne, die man pur verwenden kann, muss man eh immer Wasser und Zucker hinzugeben.“

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Die Chutneys, Marmeladen und Salsas, die Daucher zudem herstellt, fallen entweder als Nebenprodukt der Essigproduktion an oder werden von ihr aus dem Überfluss heraus verarbeitet. Bei ihren Kunden ist vor allem ihr Tomaten-Chili-Gelee sehr beliebt. „Das lässt sich besonders gut als Dip für Paprika oder Staudensellerie verwenden, passt aber auch gut zum Salat.“

Auch ihre selbst gemachten Senfe sind sehr begehrt. Für deren Produktion erhält Daucher Senfkörner von einer befreundeten Bäuerin, diese baut den Senf zur Gründüngung ihres Bodens an, denn die tiefen Wurzeln der Pflanzen lockern den Boden auf und verhindern das Auswaschen von Nährstoffen. „Den Senf mache ich hauptsächlich im Winter, wenn es nichts zu ernten gibt und der Essig gerade ruht“, erklärt Susanne Daucher.

Die Senfkörner muss sie zunächst mahlen – je feiner, desto schärfer wird später der Senf. Dann wählt sie je nach Senfsorte die passenden Zutaten. „In meinen Hagebuttensenf gehört natürlich Hagebuttenessig, Fruchtmark und auch der Saft der Hagebutte; in Apfelsenf Apfelsaft, Apfelessig und Apfelmus; in Biersenf wiederum Schwarzbieressig und Schwarzbier. So kann man schön mit dem Geschmack spielen.“ Besonders wichtig ist Daucher, dass ihr Senf seine dicke Konsistenz einzig von den Senfkörnern erhält. „Schaut man im Supermarkt beim Senf auf die Zutaten, dann sind da hauptsächlich Wasser und Zusatzstoffe drin, so sparen sie und bekommen trotzdem eine größere Menge. Bei mir ist die Hauptzutat Senf und das schmiert man sich dann schon mal gerne statt der Leberwurst aufs Brot.“

„Freude, Glück und Gesundheit“

Auch zum Kochen und Verfeinern von Gerichten eignen sich Dauchers Senfsorten, dabei passen Quittensenf, Apfelsenf oder auch die pikante Senf-Zwiebel-Creme zu ganz unterschiedlichen Speisen. Was sich gut kombinieren lässt, dafür hat Daucher immer reichlich Tipps parat. Die Hobbyköchin wurde sogar schon für ein Kochbuch interviewt. Dafür zauberte sie aus ihren eigenen Produkten sowie anderen Zutaten aus der Region ein mehrgängiges Menü.

Das Buch erschien Ende 2014 unter dem Titel „Fakanállal a Balatonfüred-csopaki borvidéken - Ételek és történetek“ (dt.: „Mit dem Holzlöffel in der Weinregion Balatonfüred-Csopak – Gerichte und Geschichten“) und enthält unter anderem Susanne Dauchers Rezepte für ein Pfirsichpüree-Aperitif mit Essig aus Blaufränkischem und Rosmarin, aber auch für einen Salat mit in Tomaten-Chili-Gelee angeschwitzten Garnelen sowie für in Senf marinierten Mangalicarouladen mit Senfzwetschgen in Rotweinsauce. Und auch für eine leckere Pasta mit Dauchers hausgemachter Salsa.

Die Autoren dieses Buches waren es auch, die der Essigmacherin den Spitznamen verpassten, auf den sie bis heute stolz ist: Die Aroniakönigin von Pécsely.

Obwohl die Erwähnung im Buch ihr natürlich einige Bekanntheit einbrachte, kümmert Daucher diese Art des Marketings weniger: „Das einzige Marketing, das ich brauche, bin ich. Ich denke, ich verkaufe mich am besten, wenn die Leute mich an meinem Stand treffen.“

Tatsächlich ist eine Begegnung mit Susanne Daucher, die trotz ihrer 53 Jahre herausfordernd aus ihren wilden Mädchenaugen blickt, ein Ereignis, das man so schnell nicht vergisst. Überschäumend vor Energie schafft es die Lebenskünstlerin kaum stillzusitzen, wie ein fröhliches Bächlein entspringen ihrem Mund die Worte. Sie redet gerne über ihr Leben, über ihre Kunst und über ihre Liebe für die Musik und das Tanzen, aber am allerliebsten redet sie über den Essig – ihre große Leidenschaft. Für ihn nimmt sie auch Arbeitstage in Kauf, die im Spätsommer zur Aroniaernte schon mal 18 Stunden lang sind, und das an sieben Tagen in der Woche.

Essig, sagt Susanne Daucher, das sei für sie „Freude, Glück und Gesundheit.“

Wer sich für die Produkte der „Aroniakönigin von Pécsely“ interessiert, der kann sie jeden Sonntag auf dem Bauernmarkt in Káptalantóti antreffen oder in ihrem Haus besuchen. Dieses ist in der Iskola utca 141 in Pécsely zu finden. Schon von weitem erkennt man es an der Aufschrift „Mustár, Chutney, Lekvár, Ecet“ (Senf, Chutney, Marmelade, Essig). Eine Voranmeldung unter der Telefonnummer +36-20-554-6779 ist erwünscht, aber auch spontane Besucher werden willkommen geheißen.

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