Nicht weniger als drei Michelin-Sterne krönen die von ihm gemeinsam mit seinem Bruder Roberto Cerea geführte Küche des Familienrestaurants Da Vittorio im norditalienischen Bergamo. Enrico Cerea, den alle nur Chicco nennen, ist bekannt dafür, in seinen Menüs alte lombardische Traditionen und aktuelle internationale Küchentrends in perfekter Harmonie zu vereinen – immer raffiniert und immer auf handwerklich hohem Niveau.

Herr Cerea, in diesem Jahr unterstützen Sie als Experte aus dem Ausland zusammen mit ihrem Landsmann Fausto Arrighi den „Volkswagen Dining Guide“ bei der Wahl des besten ungarischen Restaurants. Wie sieht das Leben eines Jurors aus?

Oh, es war sehr stressig! (lacht) Nein, wirklich! Ich habe mehr oder weniger vier Tage in Ungarn verbracht und durfte in dieser Zeit mehr als 15 Restaurants testen. Das heißt, pro Tag waren wir in drei oder vier Restaurants. Mittags, nachmittags, abends – ich habe immer nur gegessen. Es war aber überhaupt nur möglich, weil die ungarischen Restaurants viel flexibler sind als wir in Italien, wo fast alle Restaurants über den Nachmittag schließen.

Heute Abend erfahren wir, wer Ungarns Restaurant des Jahres geworden ist. Ist Ihnen die Entscheidung schwergefallen?

Es war natürlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen, insbesondere auf den ersten drei Plätzen. Es war sicherlich nicht einfach, zum Schluss die Entscheidung zu fällen, aber letztendlich waren wir alle mit dem Endergebnis zufrieden. Was für mich den Ausschlag gegeben hat, war schließlich die Kohärenz des Gewinners (Anm.: der Titel „Restaurant des Jahres“ ging an das Costes). Damit meine ich, dass die Qualität über alle Gänge hinweg gleichbleibend hoch war.

Welchen Eindruck hatten Sie allgemein von der ungarischen Gastronomie?

Es gibt ein Problem, das ich in der heutigen ungarischen Gastronomie sehe, und das ist, dass die Köche zu sehr aufeinander achten und darauf, welche Trends gerade aktuell sind. Alle machen dasselbe. Wenn zum Beispiel die nordische Küche gerade in Mode kommt, dann springen alle gleich auf den Zug auf und bieten auch nordische Küche an. Das ist aber übrigens etwas, das ich nicht spezifisch nur in Ungarn beobachte, sondern das international immer mehr zum Problem wird.

Was sollte man stattdessen machen?

Mir gefällt es, wenn ein Restaurant oder auch ein Koch seine ganz eigene Identität hat und sich diese auch in den Speisen widerspiegelt. Natürlich soll man sich gegenüber neuen Technologien oder Zutaten auch nicht verschließen, aber man muss sie sich zu Eigen machen, sie in die eigene Identität integrieren, statt alles nur Eins zu Eins zu übernehmen. Mach‘ es nicht einfach nur wie jeder andere, sondern mach‘ es auf deine eigene Art! Dazu ist es auch wichtig, dass man versteht, wo die Wurzeln der eigenen Küche liegen und was sie ausmacht. Wenn ich das tue, dann schaffe ich es Neues – natürlich alles immer in Maßen – einzubeziehen, ohne die Identität meiner Küche zu verlieren.

Jetzt klingen Sie ja fast enttäuscht von der ungarischen Gastronomie. Aber sehen Sie denn auch irgendwo Stärken?

Nein, ich bin gar nicht enttäuscht. Das ist ja – wie gesagt – ein internationales Problem. Die ungarische Küche hat viel zu bieten. Sie hat den großen Vorteil, dass sie auf fantastische Zutaten zurückgreifen kann, die durchaus auch dem internationalen Vergleich standhalten können. Denken wir nur an das Fleisch, aber auch an Gemüse. Hier hat sich in den letzten Jahren viel entwickelt.

Die ungarische Gastronomie ist in Bewegung. Es ist wie ein Beben und die Vibrationen dieses Bebens sind bis nach Italien zu spüren. Auch hier hört man in den letzten Jahren immer öfter von Ungarn, zum Beispiel vom ungarischen Mangalica-Schwein. Deshalb habe ich mich auch sehr über die Einladung des „Volkswagen Dining Guide“ gefreut.

Sie haben den „Volkswagen Dining Guide“ insbesondere in Bezug auf die neu geschaffene Konditorei-Sektion des Restaurantführers mit ihrem Expertenrat unterstützt. Warum sind Sie eigentlich so leidenschaftlich, wenn es um die süßen Speisen geht?

Mein Vater – ein fantastischer Mann und ein Visionär – hat mich und meine Karriere sehr geprägt. Als ich mich entschieden habe, Koch zu werden, hat mein Vater mich fortgeschickt, um in den besten Küchen der Welt zu lernen. Schon damals ahnte er, dass ich mich wohl besonders für den Bereich Pâtisserie interessieren würde, oder er hat es zumindest gehofft (lacht), denn das war der Bereich, der in unserem Familienrestaurant noch etwas unterentwickelt war. Das haben die Kritiker damals immer bemängelt.

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Für mich war das ein großer Ansporn und ich habe mir Mühe gegeben, so viel wie möglich zu lernen und mich immer mehr in diesem Bereich zu verbessern. Mit 25 Jahren habe ich dann mein erstes Buch mit Rezepten aus der Pâtisserie herausgegeben. Das Buch sorgte damals in Italien für einen kleinen Skandal, denn alle meine Kreationen sollten, ähnlich wie ein Hauptgericht, auf dem Teller angerichtet serviert werden. Bis dahin wurden Torten und andere Desserts noch mit dem Trolley an jeden Tisch gerollt und so dem Gast angeboten. Es war also regelrecht eine kleine Revolution. Auch deshalb ist Pâtisserie immer ein wichtiger Teil meiner Karriere geblieben.

Gibt es denn ein ungarisches Dessert, das Sie besonders überzeugt hat?

Tatsächlich waren es die einfachen Dinge, die mich sehr fasziniert haben. Zum Beispiel Kürtőskalács, aber auch Túró Rudi. Ich interessiere mich immer besonders für Gerichte, die sich auch gut innerhalb der italienischen Küche einfügen würden. Nehmen wir Túró Rudi zum Beispiel: Natürlich ist das eine ungarische Spezialität, die es in Italien nicht gibt, aber auch wir mögen Schokolade und Frischkäse, es würde also auch nach Italien passen. Auch die ungarischen Torten sind für mich natürlich etwas Besonderes.

Sie haben bereits für Persönlichkeiten wie die ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama und Bill Clinton, Sängerin Tina Turner und sogar die „Queen“ gekocht. Wird auch ein Drei-Sterne-Koch manchmal noch nervös, wenn er etwa für die englische Königin kochen soll?

Es macht für mich keinen Unterschied, ob ich gerade für Obama, die Queen oder einen beliebigen Gast in unserem Restaurant koche, ich wende mich immer mit meiner vollen Aufmerksamkeit und all meiner Leidenschaft den Gerichten zu. Das ist einfach so, wenn man Perfektionist ist. Und das erwarte ich auch von meinen Mitarbeitern. Sobald die Konzentration nachlässt, kann vieles schiefgehen.

Aber lassen Sie mich Ihnen eine Anekdote erzählen: Ich habe mit meinem Team einmal das Catering für eine sehr vornehme Hochzeit zwischen zwei sehr wichtigen Menschen bestellt. Sie wollten eine riesige Hochzeitstorte mit allem Drum und Dran. Doch als wir den Kuchen in den Saal rollen wollten, merkten wir, er passt nicht durch die Türen. Das Ding war einfach zu breit. Wir haben dann kurz versucht, die Torte etwas zu kippen, aber es ging einfach nicht. Es war eine Katastrophe. Ich hatte das Glück, dass das Wetter gut war, also haben wir schnell den Garten hergerichtet, und den Kuchen dort serviert. Das ist Gott sei Dank bei den Gästen sehr gut angekommen. Ihre Frage war, ob ich manchmal noch nervös werde: Da war ich richtig nervös.

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