Alles fing damit an, dass im Rahmen des jährlich stattfindenden Budafoker Weinfestivals – jedem Budapester dürfte dies bereits ein Begriff sein – nicht nur unterschiedlichste Livemusik auf insgesamt vier Bühnen gespielt und Wein genossen wurde, sondern für ein ganzes Wochenende alle Weinkeller Budafoks, für Führungen offenstanden. Letztere erfreuten sich derartiger Beliebtheit, dass es den Budafokern und ihren Gästen bald nicht mehr reichte, nur einmal im Jahr in die Weinkeller reinschauen zu können: Seit Mai 2017 findet daher immer am ersten Samstag des Monats der sogenannte „Pincejárat” (dt.: Kellerbegehung) statt. Damit soll die Stimmung des Weinfestivals auf das ganze Jahr ausdehnt werden.

An diesen Samstagen sind nicht bloß alle Weinkeller geöffnet, sondern es werden auch Kellerführungen angeboten, man kann die Weine und Sekte Budafoks probieren und es fährt sogar ein eigener Bus – der „Weinkeller“-Bus – zwischen dem Budapester Stadtzentrum und Budafok hin und her, um die Gäste auch sicher zum Ziel und wieder zurück in die Innenstadt zu bringen. Initiiert wurde das Projekt von der Kommunalverwaltung des XXII. Bezirks (zu dem Budafok gehört). Ebenfalls am Projekt beteiligt sind Kelterer wie Judit Lics, Leiterin des bereits 30 Jahre alten Lics-Weinkellers in der Kossuth Lajos utca 44, und ihre Kollegin Judit Salamon, die auch Projektmanagerin des „Pincejárat“ ist.

Schwäbische Wurzeln

Angekommen im Lics-Weinkeller merkt man schon beim Betreten das Abtauchen in eine völlig alltagsferne, beinahe schon romantische Welt: Hohe Kellerkatakomben, höhlenähnliche Gänge und ein typischer, feuchter Kellergeruch vermitteln diesen Eindruck. Zwischen riesigen Fässern gehen geschäftige Winzer ihrer Arbeit nach. In einem der zwei beheizten Vorführ- und Verkostungsräume des 1.200 Quadratmeter großen Lics-Weinkellers erzählt uns Judit Lics, dass es ab April 2018 in ihrem Keller zusätzlich zu deutschen und ungarischen Führungen auch Führungen in englischer Sprache geben soll. „Der Fokus lag zunächst auf der deutschen Sprache, da unser Weinkeller eine besondere Bindung dazu hat – er besitzt quasi schwäbische Wurzeln“, erzählt Lics. Ihr Weinkeller sei jedoch nicht der Einzige in Budafok, der dieses kulturelle Erbe teile.

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„Die Zusammenarbeit mit der Kommunalverwaltung war uns allen sehr wichtig – vor allem damit in das Projekt ernsthafte Arbeit gesteckt wird, beispielsweise in Form einer eigenen Buslinie und qualitativer Werbung, die auch die Menschen erreicht“, erzählt Lics. „Uns ist es ein Anliegen, der Welt die Vielfalt der Budafoker Weinkeller zu zeigen“, ergänzt Judit Salamon und führt fort: „Hier finden sich Werte, die in ganz Europa einzigartig sind.“ Das Projekt solle natürlich besonders inländische wie ausländische Touristen ansprechen, aber auch die Budafoker. „Für uns alle ist das ein tolles Projekt, bei dem wir Kellerleiter uns gegenseitig auch nicht als Konkurrenten ansehen: Denn die schärfste Konkurrenz ist es, wenn Menschen nicht nach Budafok kommen“, so Judit Lics schmunzelnd. Jeder Budafoker Weinkeller biete etwas anderes an, ein buntes Angebotspaket, das für jeden Besucher den passenden Wein oder Sekt anbietet, entstünde daher nur dann, wenn alle Weinkeller zusammenarbeiten.

„Das Projekt ist noch ausbaufähig. Wir haben viele Ziele für die nächsten Monate und Jahre, aber momentan läuft es trotzdem überraschend gut“, betont Judit Salamon, „Qualität, Wein und Kultur treffen schon jetzt an diesem Ort zusammen.“ Dadurch, dass jeder Weinkeller andere Wurzeln habe, sehe man das Projekt auch als eine Form des kulturellen Austausches, erzählt die Projektmanagerin. Verschiedene Kulturkreise sollen sich so vorstellen können.

Anita Deutsch ist auch dabei

Die Dritte im Team des „Pincejárat“-Projektes ist Anita Deutsch. Die Schauspielerin ist aufgrund ihrer Bekanntheit das „Gesicht“ der Initiative. Budafok besitzt ein riesiges Kellersystem, das sich beinahe schon wie ein Labyrinth unter dem Stadtteil ausdehnt – 100 Kilometer Kellergebiet, davon 60 Kilometer Weinkeller, alle in Nutzung – und das innerhalb der Grenzen einer Landeshauptstadt. So etwas finde man laut Lics auf der Welt kein zweites Mal. Deshalb seien Gesichter wie das von Anita Deutsch wichtig, um diese Werte bekannter zu machen.

Judit Lics verbrachte schon ihre Kindheit hier im Weinviertel Budafoks. Ihr Vater war Winzer und sorgte dafür, dass sie in den „Winzerkindergarten“ gehen konnte, in dem auch Judit Salamon ging, was sich allerdings erst Jahre später herausstellen sollte. Lics war, vielleicht durch ihre schwäbischen Wurzeln, schon damals sehr angetan von der deutschen Sprache, engagierte sich später im Kulturkreis deutscher Frauen und veranstaltete des Öfteren Weinverkostungen in deutscher Sprache für die Mitglieder des wohltätigen Vereins.

Ihre Liebe zu ihrem Heimatbezirk in Budafok hält sich bis heute: „Ich liebe dieses Kleinstadtfeeling mitten in einer Millionenstadt, den Zauber, den man verspürt, wenn man durch Budafok spazieren geht. Außerdem gefällt mir, dass wir uns direkt am Donauufer befinden, und dass die ehemalige Hauptstraße, schaut man sich die kleineren Häuser an, auch heute noch ein echtes Schwaben-Gefühl vermittelt.“ Genau dieses Gefühl wolle sie in ihren Führungen weitergeben.

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Dafür sorgen bei den Kellerführungen zum Beispiel auch von Anita Deutsch organisierte schwäbische Musikkapellen oder spezielle Ausstellungen, die die schwäbische Geschichte der verschiedenen Weinkeller erzählen. Diese wurden zum Beispiel mithilfe des Lokalhistorikers László Garbóci erforscht. Die dadurch gegebene Authentizität mache auch die Magie des Budafoker Weinkellersystems aus und sei der Grund dafür, weshalb die Nachfrage nach den Führungen immer größer werde, so Lics. „Wir wollen den Besuchern einen Einblick in die Arbeit der Winzer vermitteln, die hier tagtäglich stattfindet.“

Mit dem Bus zur Weinprobe

Trotzdem sei das Ziel des „Pincejárat“-Projektes nicht, unbedingt nur Gruppen anzusprechen, sondern auch, eine gezielt intime Atmosphäre zu schaffen. „Zum Beispiel ist die Kellerbesichtigung die ideale Gelegenheit für Familienausflüge oder ein erstes Date“, wirbt Judit Salamon lächelnd. Sie ist sich sicher: „Bei einem Gläschen Wein – und bei gutem Wetter einem Spaziergang durch die Weingärten – kann man nicht nur Budafok und die verschiedenen Wein- und Kellerarten, sondern auch sich selbst besser kennenlernen.“

Für 2018 sei eines der größten Ziele des Projekts, die in Budapest lebenden Expats zu erreichen, erzählt die Projektmanagerin. „Mit erschwinglichen Preisen wollen wir die Besucherzahlen verdoppeln.“ Der Eintritt im Lics-Weinkeller beträgt 1.200 Forint, beinhaltet jedoch auch eine Führung durch den 30 Meter unter der Erde gelegenen Keller, bei der man insgesamt drei Straßen durchläuft. Auch das Probieren der hochwertigen Weine ist im Preis inbegriffen. Die Fahrt mit dem „Wein“-Bus kostet, wenn man online bucht 1.000, beim Fahrer 1.200 Forint.

Einer der besten Weine des Lics-Weinkellers ist der Rosé „Nora-Bora Kadarka“, der sogar beim Ungarischen Rosé-Weinwettbewerb 2017 die Goldmedaille gewann. Hinter dem Namen „Nora-Bora“ steckt eine persönliche Geschichte: Denn Nóra ist der Name der Tochter von Judit Lics, die zum Zeitpunkt der Abfüllung acht Jahre alt war und unbedingt ihren eigenen Wein haben wollte. Ihre Mutter tat ihr den Gefallen und benannte den Wein nach ihr. Wie sie sagt, habe sie schon damals geahnt, dass der Wein etwas Besonderes sei und beim Publikum gut ankommen würde. Zurzeit beträgt der Preis für einen Deziliter des edlen Tropfens 300 Forint. Die Trauben für den Wein stammen aus Szekszárd, einem von zwei Weingütern des Lics-Weinkellers. Das zweite befindet sich im nicht weit entfernten Etyek. Andere Weinkeller Budafoks verwenden Trauben aus anderen Weingebieten, sodass man bei den Kellerführungen also Weine aus Weintrauben aus ganz Ungarn probieren kann – und nicht nur aus einem Weingebiet, wie bei den meisten Kellerbesichtigungen anderer Weinviertel.

Historische Bedeutung

Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Lics-Weinkeller übrigens als Bunker genutzt, erzählt uns Lics, hier hätten sich die Anwohner versteckt, wenn es Bombenalarm gab. „Bei unserer Arbeit im Keller ist uns diese Vergangenheit natürlich nicht so präsent“, erzählt Judit Lics. Allerdings sei es schon vorgekommen, dass sie während der Arbeit von Menschen unterbrochen wurden, die vorbeikamen, um ihre damaligen Verstecke zu besuchen und ihre Fluchtwege zu rekonstruieren. „Für diese Menschen war das dann ein ganz bewegender Moment, wieder durch die Kellergänge zu laufen und es floss dabei die eine oder andere Träne“, erinnert sich die Winzerin.

Weitere Informationen zum Lics-Keller finden Sie unter www.licspince.hu. Die nächsten Kellerführungen finden am 7. April 2018 statt.

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