Das Wahlrecht für Auslandsungarn bescherte dem Fidesz schon 2014 einen massiven Zuwachs an Wählerstimmen. Damals wählten mehr als 95 Prozent der Wähler aus ihren Reihen die Regierungspartei. Mit der Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft für ungarischstämmige Bürger, die als Minderheit im angrenzenden Ausland leben, könnte der Fidesz seinen Vorsprung nun noch weiter ausbauen.

Meldeadresse entscheidet über Wahlrecht

Schon 2014 unterstellte man der ungarischen Regierung, die Regularien des Wahlrechts geschickt zu ihrem Vorteil auszunutzen. So sorgte etwa der Umstand für viel Ärger und Unverständnis, dass zwar diejenigen, die eine ungarische Staatsbürgerschaft, aber keine inländische Meldeadresse besitzen, per Briefwahl abstimmen durften, wohingegen die geschätzt mehr als 600.000 im Ausland lebenden Ungarn, die das Land (zeitweilig) verlassen haben, in eine ungarische Auslandsvertretung reisen mussten, um ihre Stimme abzugeben. Die vermeintlich mehrheitlich oppositionellen Wähler hatten es daher ungemein schwerer, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen.

Auch in diesem Jahr entflammte die Diskussion um das Zwei-Klassen-Wahlrecht erneut: Zwar hatte Ungarns oberstes Gericht, die Kurie, entschieden, dass die Unterscheidung bei der Stimmabgabe rechtens sei, doch viele Bürger sind damit mehr als unzufrieden.

Zum Teil machte sich die Wut über die als Ungerechtigkeit wahrgenommene Regelung auch im Netz Luft: So tauchte etwa bei Facebook eine Seite mit dem Titel auf „Wer hier NIE gelebt hat, der soll auch nicht wählen dürfen“, unter der auch Inhalte gepostet wurden, die über die Grenzen des guten Geschmacks hinausgehen. Ein Beispiel dafür ist ein Post, der einen Ausschnitt aus einem Zombiefilm zeigt. Die Bildunterschrift lautet: „Invasion! Auslandsungarn gehen ihre Stimme per Briefwahl abgeben!“

Die Seite ist mittlerweile aus dem sozialen Netzwerk verschwunden, hatte jedoch vor dem Abschalten mehr als 35.000 (teils sehr aktive) Anhänger. Dass die Seite nun offline gegangen ist, dürfte jedoch nicht der Einsicht der Betreiber geschuldet sein, sondern gleich zwei Ermittlungsverfahren wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Ein auf der Seite veröffentlichtes Bild zeigte beispielsweise eine Familie in Siebenbürgen. Die Rechte an dem Bild gehören aber dem Pensionsbesitzer Endre Kálmán Parajdi, der rechtliche Schritte gegen die Nutzung seines Bildes einleitete.

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Anna Kelemen: „Wer chancenlos ist und nicht zurücktritt, ist die eigentliche Prostituierte.“ (Foto: Facebook / Anna Kelemen)

Am Wahlrecht hat sich in der Zwischenzeit jedoch nichts geändert, wer eine Meldeadresse in Ungarn hat, der muss in einer Auslandsvertretung wählen. Das Nachrichtenportal index.hu berichtete, das die Regelung vor allem die in Island lebenden Ungarn hart trifft: In Ermangelung einer Botschaft vor Ort gehört Island in den Zuständigkeitsbereich der ungarischen Vertretung in der norwegischen Hauptstadt Oslo. Wer also in Ungarn geboren und aufgewachsen ist und derzeit in Island lebt, muss, um seine Stimme abzugeben, einen mehrstündigen Flug in Kauf nehmen.

Amtstreue Wahlkampfhelfer

Eine weitere Seltsamkeit ereignete sich Ende der vergangenen Woche in Szentendre, nur 20 Kilometer nordwestlich von Budapest. Durch eine versehentlich an einen falschen Empfänger gesendete E-Mail wurde bekannt, dass eine Abgeordnete des Fidesz das eigentlich parteiunabhängig arbeitende Bürgermeisteramt in die Wahlkampfarbeit einbezog.

Judit Spät, Kandidatin der Partei Együtt in Szentendre, wandte sich daraufhin an den örtlichen Wahlausschuss. Die Einbeziehung des Amtsapparates in den Wahlkampf gehe deutlich über die zu erwartende Amtstreue hinaus, so Spät. Abgeordnete der Kommunalverwaltung dürften sich während der Arbeitszeit und von ihren Arbeitsplätzen aus nicht am Wahlkampf des Fidesz beteiligen, selbst wenn sie Mitglied eben jener Partei und in deren Farben ins Bürgermeisteramt eingezogen sind.

Dass die Regierungspartei in diesem Jahr im Wahlkampf allerlei neue Register zieht, zeigt sich auch im Falle des Kandidaten Péter Juhász. Der Kandidat der Partei Együtt ist politisch vor allem für sein Engagement gegen den Fidesz-Politiker Antal Rogán und dessen undurchsichtige Immobiliengeschäfte während seiner Amtszeit als Bürgermeister des V. Bezirks bekannt. Jüngst kam Juhász jedoch erneut in die Schlagzeilen: Mit der Bekanntmachung seiner Scheidung wurden auch Vorwürfe publik, er habe seine ehemalige Partnerin misshandelt. Der Wahrheitsgehalt dieser Anschuldigungen ist bisher ungeklärt, doch die regierungsnahen Medien hatten sich ausgesprochen bemüht, daraus eine Rufmordkampagne gegen Juhász zu stricken.

Wie die liberale Wochenzeitschrift hvg unter Berufung auf Leserbriefe berichtete, erhielten Wähler im Wahlbezirk von Juhász (I. Wahlbezirk) mysteriöse Anrufe. Dabei würde automatisiert die Stimme einer „besorgten innerstädtischen Mutter“ abgespielt, die ihre Bedenken bezüglich Juhász mitteilt. Und auch in Nyíregyháza erhalten Wähler ähnliche Anrufe bezüglich des dortigen aussichtsreichen Kandidaten der Partei Együtt. Wer hinter den Anrufen steckt, ist bisher unbekannt.

Pornodarstellerin kündigt Kandidatur an

Doch auch am Rande der mit harten Bandagen ausgefochtenen Wahlschlachten spielen sich zum Teil merkwürdige Szenen ab. So etwa mit der Kandidatur von Anna Kelemen. Die ehemalige Darstellerin in Erwachsenenfilmen gab am Dienstagabend vergangener Woche auf Facebook bekannt, sich zur Wahl stellen zu wollen, sollte ein bestimmtes Foto von ihr auf dem sozialen Netzwerk mehr als 5.000 Likes erhalten. Und tatsächlich, weit vor Ablauf der gesetzten Frist kamen die nötigen Daumen zusammen. Kelemen teilte daraufhin mit, in welchem Wahlkreis sie antreten will.

Das Rennen versprach interessant zu werden, denn auch der Ex-Pornostar plante im mit bekannten Politikern bereits gut ausgestatteten I. Wahlkreis anzutreten, sich also mit Péter Juhász und dem Vorsitzenden der Momentum, Andras Fekete-Győr, messen zu wollen. Doch wer gehofft hat, demnächst auf Wahlplakaten den offiziellen Slogan Kelemens zu lesen („Politik ist eine orale Disziplin und darin bin ich die Beste!“), der wurde am Montag herb enttäuscht. Die ehemalige Pornodarstellerin zog überraschend, dafür aber mit nicht weniger direkten Worten, ihre Kandidatur zurück.

Der Sieg Péter Márki-Zays in der Fidesz-Hochburg Hódmezővásárhely habe sie zum Nachdenken gebracht. Sie habe sich daher zum Rückzug entschieden. „Wer chancenlos ist und nicht zurücktritt, der ist die wahre Prostituierte!“, so Kelemen und führte fort: „Am 8. April müssen wir alle ran!“ (wortwörtlich sagte Kelemen: „Am 8. April müssen wir alle ‚gehen‘“. Im Ungarischen schwingt hier ein Wortwitz mit. Denn umgangssprachlich „geht“, wer „zum Orgasmus kommt“.)

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