Das Orbán-Regime hat in einer seiner Hochburgen eine Niederlage erlitten. Dabei stand hinter seinem Kandidaten niemand Geringeres als Kanzleramtschef János Lázár, aber auch Geld, landesweite Infrastruktur, Öffentlichkeit und ein großer Stab an Wahlkampfhelfern. Und trotzdem hat er es nicht geschafft. Es ist das erste Mal seit 1990, dass der Fidesz Hódmezővásárhely verliert.

Und oh, wie süß sind die Tränen des Fidesz. Die ungarische Erde brauchte sie so sehr wie einen Regenschauer im Mai. Es ist ein sanftes, wärmendes Gefühl, den Schmerz und den Schrecken auf den Gesichtern derer zu sehen, die sich seit Langem vor nichts mehr fürchteten: Allen voran János Lázár, der sich schon sicher war, dass ihn niemals jemand danach fragen würde, wie er zu seinem Schlösschen und all dem restlichen Gutsherrenzubehör gekommen ist.

Jetzt ist es keineswegs mehr sicher, ob nicht doch einer kommt und fragt, mein lieber János. Nichts ist mehr sicher, wenn der Fidesz in einer traditionell rechten Stadt trotz aller Unterstützung und jahrelangem Kampfgetrommel deutlich scheitert. Ab hier wird es nur noch schwieriger. Sogar Felcsút kann einmal fallen.

Nicht einmal das Drohen hat den Fidesz gerettet. Dabei wurde eindeutig ausgesprochen, dass Hódmezővásárhely abgestraft wird, sollte es für die Opposition stimmen. Und natürlich existieren Pläne, laut denen mit Péter Márki-Zay ebenso verfahren werden soll wie mit Éva Tétényi damals in Esztergom (Anm.: Die parteilose Tétényi war zwischen 2010 und 2014 Bürgermeisterin der Stadt, ihre Arbeit wurde durch einen mehrheitlich mit Fidesz-Abgeordneten besetzten Stadtrat blockiert.)

Einschüchterung endet an der Wahlkabine

Dieses Draufgängertum dürfte dem Fidesz bei den Parlamentswahlen im April nur wenig helfen. Sollten sie diese verlieren, werden sie nämlich keine Möglichkeit mehr haben, ihre Versprechen einzulösen. Stattdessen werden sie damit beschäftigt sein, ihre Haut zu retten.

Das System der Einschüchterung hat seine Grenze am Eingang zur Wahlkabine: Vor Ort kann zwar niedergetrampelt werden, wer seine Stimme erhebt, es kann über Familienmitglieder und durch Ämter Druck auf Kandidaten ausgeübt werden, es kann sogar ein verrufener Priester gefunden werden, der gegen diese öffentlich predigt, aber die Wut der Bürger sammelt sich und schwelt. Bietet sich die Gelegenheit, werden sie zurückschlagen.

Das weiß auch der Fidesz. Nicht umsonst hat er sich bisher vor jedem Schlag weggeduckt, hat Referenden mittels juristischer Kniffe oder gar mit Gewalt verhindert. Bei Kommunalwahlen hingegen nutzte er bisher seine Macht und sagte geradeheraus: Wer sich nicht anpasst, der stellt sich gegen den Staat. Was man den Leuten nicht schon alles ins Gesicht geschleudert hat, angefangen von den Lehrern über Künstler bis hin zu den Roma.

Nun konnte der Fidesz dem Vergleich nicht mehr ausweichen und musste eine deutliche Niederlage einstecken. Das heißt, auch überall woanders im Land ist dies prinzipiell möglich. Mehr noch, die Chancen stehen andernorts sogar besser! Denn nicht hinter jedem Kandidaten steht ein Kanzleramtschef nebst Heerscharen an Aktivisten und landesweiter Aufmerksamkeit. Es wird auch wesentlich peinlichere Kandidaten geben, bekannte Diebe und gemeinhin gehasste kleine Könige. Um gegen sie zu gewinnen, braucht es keine Superhelden, nur ganz normale, umgängliche Menschen. Es werden sich wohl noch 106 (Anm.: Anzahl der Wahlkreise in Ungarn) solcher Menschen finden lassen. Sie können Unabhängige oder Parteimitglieder sein, Jobbik-Anhänger oder alte Kommis, zivile Stipendiaten der Norweger oder Unternehmer, vielleicht sogar ehemalige Fidesz-Mitglieder. Hinter ihnen kann György Soros, Brüssel oder – verhüt´s Gott – sogar Ferenc Gyurcsány stehen. Nur eines zählt: Sie sollen nicht zum Fidesz gehören.

Der Fidesz kann geschlagen werden

Was aus uns jedoch wird ohne die Allmacht Viktor Orbáns, liegt noch im Ungewissen. Soviel steht fest: Abriegelung, Abrechnung und schwere Abstürze werden kommen. Das Programm bleibt also spannend. Aber wir wissen auch, was uns erwarten würde, würde uns der Fidesz weiter zu Leibe rücken. Die Schlösser sind schon verteilt – nun kämen die Harems.

Der Fidesz kann geschlagen werden und es tut einfach gut, ihn zu treten. Ungarn trägt seit fast einem Jahrzehnt die zur Faust geballte Hand in der Hosentasche. In Hódmezővásárhely nun holte es die Faust hervor und meißelte damit sein Kreuz beim Nicht-Fidesz-Kandidaten.

Wie gut wird es diesem Land tun, das die Augenwischerei und Klauberei seiner Machthaber bisher mit ansah und von dem man glaubte, alles sei ihm egal! Immerhin bemühten sich die Menschen nun zur Wahlkabine, auch die, die sich bisher zierten und lieber außen vor bleiben wollten, nämlich die Generation, die unter dem Druck Orbáns herangewachsen ist. Auch sie ging zur Wahl und hinterließ dem Fidesz ihr „Dislike“ – allein aus Freude an der Ohrfeige und für das Gefühl der Katharsis beim Zurückschlagen. Unter dem Motto: Bisher habt ihr uns in den Arsch getreten, jetzt sind wir am Zug.


Der hier in Auszügen wiedergegebene Kommentar erschien am 26. Februar auf dem Onlineportal der linksliberalen Wochenzeitung hvg.

Aus dem Ungarischen von Elisabeth Katalin Grabow.

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