Wie wird Ungarn in Deutschland wahrgenommen?

Ungarn, aber auch insgesamt die V4-Länder sind für Deutschland wirtschaftlich immer wichtiger. Ihre wirtschaftliche Rolle wird bei uns aber dennoch zuweilen unterschätzt beziehungsweise: ihre enorme wirtschaftliche Bedeutung für Deutschland spiegelt sich in der politischen Behandlung dieser Länder nicht wieder. Im Moment wird zu wenig über die Bedeutung der Wirtschaft und der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit unserer Unternehmen gesprochen. Das Bild, das in den deutschen Medien von den vier Ländern gezeichnet wird, ist vor allem von den bekannten politischen Aufregerthemen geprägt, insbesondere von der abweichenden Haltung dieser Länder in der Migrationskrise. Der Begriff „V4“ ist übrigens in Deutschland im Prinzip nicht existent. Es geht lediglich stets um Polen, die Slowakei, Tschechien und Ungarn.


Momentan scheinen sich die deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen von den politischen Beziehungen beider Ländern etwas abgekoppelt zu haben. Während bei der Wirtschaft eine hervorragende Stimmung herrscht – siehe die entspannte Atmosphäre heute Abend – tun sich Deutschland und Ungarn auf politischem Gebiet etwas schwer.

Das ist schade, denn dadurch kann es vorkommen, dass beide Volkswirtschaften ihr Potenzial nicht richtig ausschöpfen. Durch die schlechte Presse über Ungarn können mittelständische Investoren abgeschreckt werden. Sie haben häufig nicht die Mittel für tiefschürfende Standortanalysen. Eines ist aber ganz klar: Die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit sind ohne Produktionsstandorte in Ländern wie Ungarn nicht mehr vorstellbar. Auf der anderen Seite sind natürlich auch diese Länder von Deutschland wirtschaftlich stark abhängig. Allein schon aus dieser Interessenlage heraus fände ich es wichtig, dass sich unsere Länder verstärkt auf verbindende Themen konzentrieren. Sie sollten etwa gemeinsam ihre Stimme gegen die handelsfeindliche Rhetorik der neuen US-Administration erheben und gemeinsam über sinnvolle Freihandelsverträge sprechen. Genau da führen wir aber keine gemeinsame Linie und ziehen nicht an einem gemeinsamen Strang. Im besten Fall überlassen wir solche Themen Brüssel. Das gleiche gilt für Themen die Digitalisierung oder auch die Zukunft des Verbrennungsmotors. Die politisch schlechte Stimmung verhindert, dass wir uns ausreichend über solche Themen unterhalten und daraus resultierend gemeinsam handeln. Das ist für beide Seiten nicht gut.


Wie kann dieser Zustand verbessert werden?

Wir von der Wirtschaft versuchen, die Situation dadurch zu verbessern, dass wir immer wieder die immer große Bedeutung unserer Wirtschaftsbeziehungen darstellen. Beispielsweise im Rahmen von Veranstaltungen unter Einbeziehung von Politikern. So hatten wir beispielsweise in Berlin eine erfolgreiche V4-Veranstaltung durchgeführt. Außerdem bitten wir regelmäßig vor Ort aktive deutsche Geschäftsleute um ihre Einschätzung. Wir bitten sie, die Rahmenbedingungen einschätzen und fragen sie nach Hindernissen, die sie davon abhalten, noch mehr zu investieren. All das sind Mittel, um die Bedeutung und die Probleme dieser Wirtschaftsstandorte adäquat darzustellen.


Was kann die ungarische Seite zur Normalisierung beitragen?

Wichtig ist, dass auf beiden Seiten die Erkenntnis wächst, dass wir wechselseitig voneinander abhängig sind. Wenn diese Erkenntnis erst einmal da ist, dann reduziert sich auch die Gefahr von kontraproduktiver Rhetorik, die vielleicht kurzfristig einen Effekt in den Medien bewirkt, letztendlich aber unser gemeinsames Arbeiten an wichtigen Themen erschwert. Man darf aber nicht nur von dem anderen erwarten, dass er auf einen zugeht, man muss auch selbst bereit dazu sein. Stärker zueinander finden können wir übrigens auch über eine bewusste Zusammenarbeit bei Themen, bei denen weitgehende Interessensgleichheit herrscht. Wie machen wir Europa stärker? Welche Reformen sollten wir anpacken? Was muss getan werden, damit in den einzelnen Ländern noch mehr investiert wird? Wie kann der gegenwärtigen Konjunktur mehr Nachhaltigkeit verliehen werden? Durch die Arbeit an gemeinsamen Themen könnte sich ein konstruktives Gesprächsklima entwickeln, das wiederum auf andere Themenfelder positiv ausstrahlt.

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