Ein Vierteljahrhundert nach dem Kalten Krieg und siebzig Jahre nach dem zweiten Weltbrand gibt es erneut eine deutsche Dominanz, wobei Europa gerade dies zu verhindern versuchte.

Unser Kontinent steht heute unter dem Einfluss der deutschen Industrie, des chinesischen Kapitals, der amerikanischen Ideologie und – immer weniger – der russischen Gasversorgung. Das Gegenpol Deutschlands, Großbritannien und Frankreich, hat inzwischen sein Ansehen verloren. Unser aller Schicksal hängt in Wirklichkeit von einem einzigen Menschen ab. Sein Name lautet: Angela Merkel.

Geopolitisch mächtiges Land

Die Situation ist natürlich nicht ganz so simpel, die weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Prozesse sind bei Weitem komplexer. Es steht aber außer Zweifel, dass das wiedervereinte Deutschland mittlerweile nicht nur über seine Bevölkerungszahl eine mächtige Kraft symbolisiert. Berlin ist heute für alle anderen europäischen Hauptstädte ein richtungsweisender Kompass. Gespannt beobachten wir jede noch so kleine Regung der deutschen Politik, denn wir wissen ganz genau, dass dies die Zukunft der Europäischen Union bestimmen wird.

Die Art und Weise, wie die griechische Krise gehandhabt wurde, die Flüchtlingspolitik, die Bestrebungen auf eine engere Integration der Union, die Pflege einer partnerschaftlichen Beziehung mit Russland – all dies geschieht nach der Vorstellung Berlins. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, dass Deutschland auch militärisch wieder erstarkt, nachdem es seine bisherige Politik, die auf dem historischen Schuldbewusstsein basiert, aufgibt. Dazu wird Deutschland auch von der geopolitischen Situation gezwungen, denn die NATO-Staaten, die über die größten Truppen verfügen, darunter die Vereinigten Staaten, die Türkei und Großbritannien, wenden sich immer mehr von Europa ab.

Merkel und Schulz vorne, AfD über zehn Prozent

Ob dieses erneute Erstarken Deutschlands gut für Europa sein wird, weiß die Zukunft. Ob die aktuelle Situation für die Deutschen selbst gut ist – die wirtschaftliche Stabilität, der Wohlstand, die geringen Arbeitslosenzahlen, der spektakuläre deutsche Fußball, das gute bayrische Bier, die wunderschönen Mercedes-Fahrzeuge –, davon konnte sich letzten Sonntag ganz Europa überzeugen, als Angela Merkel zum dritten Mal wiedergewählt wurde. Laut der aktuellen Hochrechnung – während dieser Kommentar entsteht – erhielten die beiden Regierungsparteien etwa die Hälfte der Stimmen. Die Grünen und die liberale FDP, die die Ideologie der zuvor genannten beiden Parteien teilen, bekamen etwa zwanzig Prozent.

Trotz der kleinen Popularitätseinbußen der Regierungsparteien gibt es keine Proteststimmung in Deutschland. Selbst die gescheiterte Willkommenskultur brachte die Bevölkerung nicht gegen die Regierung auf. Den einzigen „brauchbaren“ Widerstand, der sich wegen der Status-Quo-Unzufriedenheit zeigte, stellt die Anti-Migrationspartei AfD dar.

Die kühlen Pragmatiker, die Europa maßgeblich prägen

Die Lage ist folgende: Heute ist es fast schon gänzlich egal, wer Deutschland regiert. Die robuste deutsche Industrie und die florierende deutsche Wirtschaft sorgten für die jeweilige Berliner Führung für den Umstand, dass sie zu einer unumgehbaren Kraft bei der Gestaltung der europäischen Politik wird. Martin Schulz, Wolfgang Schäuble oder Horst Seehofer würden wahrscheinlich alle mit einer ähnlichen Pragmatik und ebenfalls unter der Berücksichtigung deutscher Interessen die Geschicke Deutschlands weiter lenken beziehungsweise auf die weitere Aufrechterhaltung einer guten Bündnispolitik mit den Nachbarstaaten achten. Sie alle wissen, dass es sich nicht auszahlt, Russland längerfristig zu isolieren. Sie alle wissen, dass es sich nicht auszahlt, Ungarn längerfristig zu bestrafen. Die Deutschen haben Merkel bloß deshalb wiedergewählt, weil zurzeit gerade sie diese Stabilität am besten verkörpert. Ihre Person ist das Symbol dieser Ausgeglichenheit.

Die impulsiven Drohungen, die in der Hitze des Gefechts im Laufe des Wahlkampfs herausgerutscht sind, muss man deshalb einfach vergessen. Deutschland setzt seinen Weg entlang einer kühlen Pragmatik fort. Das ist die Realität. Und wir Europäer können nur darauf hoffen, dass die jeweilige deutsche Führung entlang dieses Weges nicht nur von deutschen, sondern gleichzeitig auch von europäischen Interessen geleitet wird.

Der hier wiedergegebene Kommentar erschien am 25. September auf dem Online-Portal der konservativen Regierungszeitung Magyar Idők.

Aus dem Ungarischen von Dávid Huszti

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