In Deutschland sind die Themen biologisch-nachhaltige Produktion und bewusster Konsum bereits fest im gesellschaftlichen Diskurs verankert. Täglich laufen einschlägige Dokumentationen im Fernsehen und auch im Alltag wird man immer wieder mit erhobenem Zeigefinger an seine moralische Verantwortung erinnert, beispielsweise auf dem Weg zum Einkaufen, wenn einem die Werbeanzeigen von Bio-Marken wie Alnatura oder denn's begrüßen. In der Bundesrepublik macht der Umsatz von Bio-Nahrungsmitteln daher bereits knapp 5 Prozent am Gesamtlebensmittelmarkt aus. In Ungarn liegt der Anteil dagegen gerade einmal bei 0,3 Prozent. Auch Werbung für ökologisch produzierte Waren gibt es kaum und um Bio-Märkte ausfindig zu machen, muss man sich gründlich informieren. Doch liegt das etwa an der unterschiedlichen ethischen Einstellung von Ungarn und Deutschen? Keineswegs.

Problemkind Bio-Siegel

Bio-Produkte sind teuer, das gilt sowohl für Deutschland als auch für Ungarn. Oft kosten die Produkte aus ökologischer Herstellung fast doppelt so viel wie konventionell hergestellte Lebensmittel. Für viele ungarische Verbraucherinnen und Verbraucher sind sie daher unerschwinglich. Dass aber auch die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln in Ungarn vergleichsweise niedrig ist, erklärt eine Studie der Szent-István-Universität für Agrarwissenschaften damit, dass Konsumierende vor allem die Glaubwürdigkeit von Öko-Siegeln und ähnlichen Zertifikaten anzweifeln. Bewusstsein und Transparenz zu schaffen sowie das Marketing in diesem Wirtschaftsbereich zu fördern, sehen die Urheber der Studie daher als unentbehrliche Maßnahmen, um die Nachfrage zu steigern.

Doch auch dem Angebot steht einiges im Wege: Dass der Markt für Bioprodukte in Ungarn nicht expandiert, läge auch an mangelnden politischen Anreizen für Produzierende, wie etwa möglichen Subventionen. In Ungarn ein Bio-Siegel zu erlangen, ist zudem eine langwierige Prozedur. Zwei private Firmen, Biokontroll Hungária und Hungária Öko Garancia Kft., nehmen bisher die Bio-Zertifizierung vor. Das Zertifikat kostet Geld, was viele Bauern abschreckt, da schon da die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht mehr aufgeht. Im Vergleich dazu ist die Verwendung des deutschen, staatlichen Bio-Siegels zwar mit Verordnungen verbunden, aber kostenlos. Ein staatliches Siegel gibt es in Ungarn nicht. Das sei ein weiteres Problem, argumentiert die Studie der Szent-István-Universität. Durch ein fehlendes standardisiertes Logo seien ökologische Produkte nicht leicht als solche zu erkennen, was das niedrige Bewusstsein erkläre. Darüber hinaus würden viele Produkte, die eigentlich den Richtlinien entsprächen, gar nicht erst als „Bio“ gekennzeichnet.

Lebendige Bauernmärkte

Sich als Endverbraucher diesem eher trostlosen Fazit entgegenzustellen, ist allerdings gar nicht so schwierig. Denn es gibt sie, die Biomärkte, in ländlichen Regionen mehr als in städtischen, doch auch in der ungarischen Hauptstadt sind sie zu finden. Oft von einem Rahmenprogramm begleitet, laden sie zu einem längeren Aufenthalt ein. Manche davon sind wind- und wetterbeständig, andere werden für ein paar Stunden sogar direkt in Bürogebäuden aufgebaut, um Einkaufenden den Zugang zu ökologisch produzierten Nahrungsmitteln zu erleichtern.

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Er ist auf Bauernmärkten besonders beliebt: Käse. In allen Formen und Farben wird er feilgeboten.


Geheimtipp „Biopiac“

Der Biopiac, zu Deutsch Biomarkt, auf dem Gelände des MOM-Park-Kulturzentrums in Buda, ist so riesig, dass man gut eine Stunde damit verbringen kann, sich durch das gesamte Angebot zu arbeiten. Hier kann nahezu jedes erdenkliche Lebensmittel erstanden werden – und das in Bio-Qualität. Der erste Blick auf die knapp 70 aneinandergereihten Stände führt zu einer Reizüberflutung: Da findet sich Salz aus dem Himalaya, eingelegtes Kraut, Hefebrezeln, Bio-Weine ebenso wie Öl aus Bio-Oliven, getrocknete Früchte, Quittenbrot, Bio-Bratwürste, Setzlinge für Küchenkräuter, glutenfreie Chips sowie Hartweizenprodukte, fair gehandelter Kaffee und vieles mehr. Sogar Naturkosmetik und ökologische Wasch- und Reinigungsmittel kann man kaufen. Weil diese mitsamt der deutschen Etiketten importiert wurden, braucht es hier auch keine langwierige Übersetzungsarbeit. Aber auch unzählige Gemüse- und Obststände buhlen auf dem Biopiac um Kundschaft. Das Schöne daran: egal, für welchen Stand man sich entscheidet, ausnahmslos alle Produkte sind eindeutig biologisch zertifiziert. Der Markt wirkt zudem herrlich authentisch. Hier sieht man noch Verkäuferinnen mit erdigen Fingernägeln und Karotten, die so krumm gewachsen sind, dass sie beim Ausmusterungsprozess für das Supermarktregal sicher rausgeflogen wären. Nach dem Bezahlen verstaut man in echter Bauernmarkttradition die Köstlichkeiten in Strohkörben, Plastiktüten sieht man hier eher selten. Das Preisniveau bewegt sich knapp unter dem Niveau der festen Bioläden. Wenn man genug sucht, kann man hier aber auch echte Schnäppchen ergattern.

Kunterbuntes Ambiente im Szimpla Farmer's Market

Auch auf dem sonntäglichen Biomarkt im atmosphärischen Ambiente der Ruinenbar Szimpla Kert tragen alle Produkte ein Bio-Siegel. Im Gegensatz zum Biopiac ist dieser Markt eher auf bereits verarbeitete Lebensmittel spezialisiert. Einzelne Stände mit ökologisch angebauten Gemüse- und Obstsorten findet man hier zwar auch, doch das Wurst- und Käseangebot, sowie Brotaufstriche und Dips sind in wesentlich größerer Zahl vertreten. Zu den Highlights gehören etwa Trüffelbutter und -Öl sowie mit einer speziellen Presstechnik hergestelltes, weizenfreies Brot aus Gemüse. Doch der Szimpla Farmer's Market bietet noch weitere Besonderheiten: So sorgt beispielsweise eine Swingband während des Einkaufens für musikalische Unterhaltung, Tische und Bänke laden zum Verweilen ein und für die Bewirtung sorgt die Bar des Szimpla Kert. Wen der Hunger packt, der findet sogar ein traditionell ungarisches Mittagessen. Für alle Brunchliebhaber wird im Obergeschoss beim „Farmer's Breakfast“ ein reichhaltiges Buffet angeboten – natürlich alles Bio. Einziger Haken: Vor lauter Besuchern kann man nicht geradeaus laufen. Möchte man hier den Wocheneinkauf erledigen, empfehlen wir einen frühen Besuch ab 9 Uhr, wenn der Markt öffnet. Danach kann man im Szimpla Kert einen entspannten Sonntagmittag verbringen.

Die ruhige, lokale Alternative

Während das Szimpla vornehmlich Touristen anzieht, zücken beim Bauernmarkt im Élesztő, einer weiteren Ruinenbar, eher lokale Gäste die Geldbörsen. Bei freundlicher und ruhiger Atmosphäre kann man sich hier an einem reichhaltigen Angebot und vielen Probierhäppchen laben. Das kulinarische Highlight: Jeden Sonntag ab 10 Uhr wird eine Kochshow präsentiert, deren Resultate man natürlich im Anschluss verkosten kann. Ein einladendes und interaktives Klima zu fördern, ist das Ziel der Organisatorin Réka Rattner. Sie wählt ihre Händler persönlich aus und steht mit jedem Einzelnen in einer vertrauensvollen Beziehung. Dabei geht es ihr in erster Linie um die Förderung der regionalen Wirtschaft. „Ich glaube nicht an ökologische Erzeugung, ich glaube an lokale und saisonale Produktion. Das ist der Weg in die Zukunft“, ist sie sich sicher. Orsolya Sztanó ist eine der Verkäuferinnen, hauptberuflich arbeitet sie als Köchin, und heute Morgen ist sie extra früh aufgestanden, um die Dips, die sie hier verkauft, zuzubereiten. Ungefähr 30 unterschiedliche Rezepte hat sie entwickelt, alle glutenfrei, die meisten laktosefrei und einige davon sogar vegan. Ihre Kolleginnen und Kollegen an den anderen Ständen bieten außerdem ungesüßte Säfte und Marmeladen sowie leckere Kuchen und Quiches an, zubereitet ohne Milchprodukte, Gluten oder Zucker. Auch vor Zusatz- und Konservierungsstoffen wird man hier zweifelsfrei bewahrt. Achtung: Da nicht alle Produkte dieses Wochenmarktes mit dem Bio-Siegel zertifiziert sind, sollte man vor dem Kauf nachfragen, wie die Waren produziert wurden.

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Bauernmarkt auf Rädern

Um den Handel mit Waren aus ökologischer Produktion weiter anzukurbeln, braucht es die Arbeit von überzeugten Vorkämpfern wie Anikó Botos. Sie ist die Organisatorin des Mozgó Piac – also eines mobilen Marktes. Dieser findet immer an einem anderen Ort statt, vornehmlich jedoch in und vor Bürogebäuden. Denn Botos will ihre Kundschaft dort erwischen, wo deren Aufwand am geringsten gehalten wird: in der Mittagspause. Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet eben zum Berg. Auch sie steht gängigen Bio-Siegeln eher skeptisch gegenüber, weshalb man auf ihrem Markt auch nur wenige zertifizierte Produkte findet. Aus Protest gegen die beschwerliche Prozedur im Zusammenhang mit dem Bio-Zertifikat dachte sich Botos eine individuelle Lösung aus: ihr eigenes Zertifikat sozusagen. Auch sie stellt Händlerinnen und Händler persönlich ein und sichert in einem Gespräch die Herkunft der Ware ab. Daraufhin fährt sie persönlich zu allen Betrieben. Dort überprüft sie vor allem die Haltung und Besitzverhältnisse der Tiere, Produktionsbedingungen, Herstellungsprozesse und Lieferketten, um die Qualität der angebotenen Waren zu garantieren – alles auf eigene Faust. Gleichzeitig hilft sie Bauern bei der Bewerbung um ein Bio-Siegel.

Mehr gesellschaftlicher Diskurs nötig

Bewusster Konsum bleibt das A und O, wenn man sich für einen ökologischen Lebensmittelkreislauf einsetzen möchte. Auch wenn das Thema noch keinen allzu großen Platz im gesellschaftlichen Diskurs Ungarns gefunden hat, so wird doch viel getan, um Konsumierenden den Zugang zu nachhaltig produzierten Lebensmitteln zu erleichtern. Was jedoch jeder Einzelne von uns weiterhin tun kann, ist eine oder zwei Stunden zu investieren und sich zum Beispiel auf einem der genannten Biomärkte selbst ein Bild zu verschaffen. Aufgrund der vielerorts spannenden Begleitprogramme lässt sich der Besuch auch gut mit einem Sonntagsspaziergang beziehungsweise einem Ausflug mit der Familie verbinden.

Hier noch einmal alle Märkte im Überblick:

Biopiac Eco Market

Samstags von 6 bis 14 Uhr in der Csörsz utca 18


Szimpla Kert Farmer's Market

Sonntags von 9 bis 14 Uhr in der Kazinczy utca 14


Élesztő Gasztroplacc

Sonntags von 9 bis 14 Uhr in der Tűzoltó utca 22


Mozgó Piac

Termine nach Bekanntgabe. Infos unter www.mozgopiac.hu/helysz


Wo steht nochmal Bio, außer im Stundenplan?

Laut EU-Richtlinien werden solche Lebensmittel biologisch zertifiziert, bei deren Herstellung der menschliche Einfluss auf die Umwelt minimal bleibt. So kann gewährleistet werden, dass das landwirtschaftliche System so natürlich wie möglich funktioniert. Dazu unterliegt die Produktion gesonderten Kontrollen und höheren Sicherheitsstandards. Diese setzen typischerweise den Gebrauch von Pflanzen voraus, die über mehrere Jahre Früchte tragen, also an lokale Bedingungen angepasst sind. So wird die Verwendung von synthetischen Pflanzenschutz- und Düngemitteln weitgehend vermieden, damit die Fruchtbarkeit des Bodens nicht beeinträchtigt und das ökologische Gleichgewicht aufrechterhalten wird. Auch die Herkunft des Futters und die artgerechte Haltung der Nutztiere, beispielsweise im Freiland, sind festgesetzt. Genmanipulierte Inhaltsstoffe dürfen nicht verwendet werden. Bei verarbeiteten Bio-Produkten gelten weitere Beschränkungen für den Gebrauch von chemischen Zusatzstoffen und Verarbeitungshilfsmitteln. Zudem werden Lieferketten minimiert, sodass möglichst wenig Transportkosten und nur geringe Mengen CO2-Emissionen entstehen.

Weitere Infos unter www.ec.europa.eu/agriculture/organic/index_de

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